Was tun, wenn einer/einem das Gehirn juckt? Die Antwort gab der Strich, von dem die aus Kärnten gebürtige Künstlerin Maria Lassnig nicht zu sagen wusste, wohin er führte: "Augensprache (Eye Language)" von 2000, Bleistift/Kreide auf Papier.

Foto: Maria-Lassnig-Stiftung

Das Gehirn juckt mich, steht auf einem Blatt von 1995, man sieht darauf und spürt auch förmlich, wie sich dieses Jucken als nervöses Liniengekröse wie ein Helm über den Kopf stülpt. Dass sich beim Schauen leises Kribbeln einstellt, mag an der suggestiven Kraft des Titels liegen oder auch an der "Empfindsamkeit der Bleistiftspitze", auf die Maria Lassnig jedenfalls große Stücke hielt. Bereits ab dem Ende der 1940er-Jahre begann sie, zeichnend die eigenen Körperzustände zu analysieren, ließ auch schon Leib und Dingwelt ineinander verwachsen wie in Sexy Interieur mit menschlichem Stuhl von 1947.

Die Zeichnung nimmt im Œuvre der 2014 verstorbenen Kärntner Malerin von Weltrang breiteren Raum ein, als das bislang in Ausstellungen thematisiert wurde, wobei es natürlich Präsentationen von Arbeiten auf Papier gegeben hat, zumeist auch mit Fokus auf das Aquarell. In Maria Lassnig. Die Zeichnung im Ferdinandeum glänzt die Farbe abgesehen von den puderrosa gestrichenen Museumswänden nun erst einmal konsequent durch Abwesenheit.

Konzentrierter Blick

Die in Kooperation mit der Maria-Lassnig-Stiftung entstandene, von Peter Assmann, Peter Pakesch und Rosanna Dematté kuratierte Schau beginnt mit Bleistift- und Kohlezeichnungen aus zwei weit auseinanderliegenden Phasen besonders intensiver Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Feld der Zeichnung.

Daraus ergibt sich ein konzentrierter und geradezu intimer Blick auf Lassnigs Strich, von dem sie selbst mit der ihr eigenen, ironischen Koketterie einmal behauptet hat, sie habe keine Ahnung, wo er hingehe. Stimmt nicht. Er ging zielgerichtet ins körperliche Fühlen hinein, führte in den späten 1940er- und 1950er-Jahren den Strömungen der Zeit entlang in tachistische Serien und zu autonomen Formen, um sich allmählich zu einem ersten "Bodyawareness-Kopf" auszuwachsen. In den 1990er-Jahren begann Lassnig eine zweite Phase der Abstraktion, griff dabei auch auf frühere Werke zurück und nutzte Bleistift und Radiergummi als Werkzeuge, um neue Wege einzuschlagen.

Besonders schön tritt hier auch das Verhältnis der Zeichnerin zur Sprache zutage, mit deren spitzzüngiger Doppeldeutigkeit sich Teresa Präauer im Ausstellungskatalog (Residenz-Verlag) beschäftigt. Titel wachsen sich zu poetischen und philosophischen Notationen aus, "Ich zeichne also denke ich", notiert Lassnig auf ein Blatt, anderswo verwebt sie den "sublimierten Rülpser einer Nixe" in ein fein gestricheltes Gedankenbild oder bezeichnet den "Zwang Kopf zu sein".

Gestalt eines Würfels

Den Kopf unterzieht sie verschiedensten Metamorphosen, lässt ihn die Gestalt eines Würfels annehmen, setzt ihm ein Zyklopenauge auf die Stirn, verwandelt ihn in ein Stück löchrigen Schweizer Käse. DesRealitées heißt die Arbeit, mit der Lassnig 1968 den Hauptpreis des jahrelang vom Ferdinandeum ausgerichteten Österreichischen Grafikwettbewerbs gewonnen hat und die sich seither in der musealen Sammlung befindet.

In einer Art Séparée werden auch andere Lokalbezüge hergestellt, man erfährt etwa von Lassnigs Besuchen im legendären Innsbrucker Institut français, das Tirol nach 1945 mit Kunst der französischen Moderne den Nazi-Mief auszutreiben versuchte.

Vereinzelt werden Brücken zur Malerei geschlagen, die logische Erweiterung des zeichnerischen Kosmos sind freilich auch Animationsfilme wie das 1972 in New York entstandene Selfportrait oder die satirisch mit der Rolle der Frau in der Kunstwelt spielende Art Education. "Jede Zeichnung ist ein Triumph über die Unruhe der Welt", lautet eine von Lassnigs Notationen, das Zeicheninstrument mutiert dabei mitunter zur Waffe in der Hand, die ihrerseits auch gern einmal von außen eingreift. Wenn’s juckt, zum Beispiel. Da taugt der Bleistift auch zum Kratzen. (Ivona Jelcic, 8.7.2022)