Cannabisprodukte sollen bei vielen Beschwerden helfen, von Schmerztherapie bis zu posttraumatischen Belastungsstörungen. Die
Datenlage zur tatsächlichen Wirkung ist aber sehr gering.

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Der Hype um Hanf findet kein Ende. Immer noch eröffnen neuen CBD-Shops, selbst auf dem Land muss man nicht weit fahren, um den nächsten zu erreichen, und auch der Internethandel blüht. Vertrieben werden dort CBD-haltige Produkte, die meist gegen Schmerzen, depressive Verstimmungen oder Schlafstörungen eingesetzt werden, in sehr vielen Fällen in Selbstmedikation ohne ärztliche Beratung. Die wissenschaftliche Studienlage zur Wirksamkeit dieser Behandlung ist eher bescheiden.

CBD ist einer von zahlreichen Stoffen, die in der Hanfblüte enthalten sind. Sein Vertrieb ist in Österreich legal. Wichtig dabei ist: Er wirkt nicht psychoaktiv – im Gegensatz zu THC, dem wohl bekanntesten Inhaltsstoff der Hanfblüte. Die ärztliche Verschreibung von Cannabis ist in Österreich streng reglementiert. Für medizinisches Cannabis in seiner natürlichen Form, also die gesamte Blüte, gibt es ein generelles Verschreibungsverbot. Ausgenommen sind nur Zubereitungen aus Cannabisextrakten, die als Arzneispezialitäten zugelassen sind. Zu bezahlen sind sie selbst.

In Deutschland unterscheidet die gesetzliche Lage etwas. Dort ist die Verschreibung von Cannabisarzneien und auch der gesamten Blüte für medizinische Zwecke seit 2017 legal, die Krankenkassen bezahlen es auch – wenn es in einem vorhergehenden Bewilligungsverfahren für die jeweilige Verschreibung freigegeben wurde. Da die Studienlage dazu aber moderat ist, hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Auftrag bekommen, eine Begleiterhebung zur Wirksamkeit durchzuführen. Der Abschlussbericht dieser Erhebung wurde nun präsentiert.

Einsatz vor allem in der Schmerztherapie

Um die Daten zu erfassen, waren Ärztinnen und Ärzte dazu verpflichtet, anonym Daten zur Therapie mit Cannabisarzneien zu melden, wie die jeweilige Erkrankung, Dosierung, Wirkung und Nebenwirkungen. Dem Bericht zufolge wurden vor allem Schmerzen mit Cannabisarzneien behandelt (76,4 Prozent), weiters Spastiken (9,6 Prozent), Anorexie (5,1 Prozent), Tumorerkrankungen (14,5 Prozent) und multiple Sklerose (5,9 Prozent). In den meisten Fällen (62,2 Prozent) verordneten die Ärztinnen und Ärzte den Wirkstoff Dronabinol, als in der Apotheke hergestellte Rezeptur oder als Fertigarznei. Weiters wurden Cannabisblüten (16,5 Prozent) und Extrakte (13 Prozent) verschrieben.

Bei der Verwendung aller Cannabismittel traten laut Bericht typische Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel, Schläfrigkeit und Übelkeit häufig auf. Schwerwiegende Nebenwirkungen wie Depression (1,2 Prozent), Halluzinationen (0,7 Prozent) und Sinnestäuschungen (0,6 Prozent) kamen selten vor. Die Arzneien wurden Männern und Frauen insgesamt gleich häufig verschrieben.

Besonders bei jüngeren Männern wurden jedoch die gesamten Blüten verschrieben. Diese weisen aber im Vergleich zu Dronabinol eine 16-fach höhere mittlere Tagesdosis an Tetrahydrocannabinol (THC) auf, dem Hauptwirkstoff der Cannabispflanze. In den meisten Fällen werden die Blüten über einen Verdampfer inhaliert, dadurch kommt es zu einer sehr schnellen Anflutung von THC im Blut. Aber auch die Abflachung des THC-Spiegels passiert recht schnell. Es stelle sich daher die Frage, ob dadurch eine "andere Art der Wirkung" eintritt, als es bei den anderen Cannabis-Arzneimitteln der Fall ist, wie in dem Bericht festgehalten wird.

Insgesamt ist die internationale Studienlage zur Wirksamkeit von Cannabis in der Medizin, insbesondere bei stark THC-haltigen Präparaten, moderat – für viele therapeutische Ansätze fehlen umfassende Untersuchungen. Auch die BfArM-Erhebung lässt viele Fragen offen, auch wenn sie bei 75 Prozent der Anwendungen von einem positiven Therapieeffekt berichtet. Eine Einschätzung zur tatsächlichen Wirksamkeit lässt sich daraus aber nicht ableiten, da die Daten nur die Verschreibungspraxis nach Bewilligung durch die Krankenkassen darstellen können. Das BfArM möchte die Begleiterhebung auch explizit nicht als klinische Studie verstanden wissen, sondern als Grundlage für ebensolche.

Einschätzung der Wirksamkeit schwierig

Was bedeutet der Bericht nur für die Anwendung medizinischer Cannabisprodukte? Das versuchen Expertinnen und Experten zu beurteilen. Zwar ist die Rechtslage in Deutschland eine andere als in Österreich. Da das Thema auch hierzulande immer wieder diskutiert wird, sind die Einschätzungen des Berichts dennoch interessant.

Lukas Radbruch, Direktor der Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn, etwa kann den Hype um Cannabisblüten nicht ganz nachvollziehen: "Wir hatten von Anfang das Gefühl, dass wir nicht wissen, warum Cannabisblüten so gehypt wurden, und es ist immer noch nicht wirklich klar, welchen Vorteil die Blüten, bei denen die Hauptwirkstoffe mit einer Vielzahl von anderen Substanzen vorliegen, bieten. Die Blüten erzeugen dem Bericht zufolge nicht weniger Nebenwirkungen als andere Cannabismedikamente."

Er bestätigt zwar, dass man in der Schmerztherapie mit Cannabis durchaus Erfolge erzielen könne: "Hier ist aber nie eindeutig klar, ob durch das Cannabis tatsächlich der Schmerz gelindert wird oder der euphorisierende Effekt so manches übertüncht." Und er betont, dass Cannabis kein harmloses Medikament sei. "Es ist kein Allheilmittel, das man breitflächig unter die Leute streuen sollte."

Trotzdem setzt Radbruch das Medikament vornehmlich in Form von Dronabinol in seiner Klinik ein – mit mäßigem Erfolg: "Viele unsere Patienten brechen die Cannabistherapie aufgrund der Nebenwirkungen wie Müdigkeit ab. Aber wenn ich einen Krebspatienten habe, der selbst schon an Schmerzen, Appetitmangel und Übelkeit leidet, kann ich ihm drei Medikamente verabreichen, oder ich versuche es mit Cannabis."

Fehlende Forschung

Ein großes Problem ist, dass nicht klar ist, wer die nötige Forschung zu Cannabisprodukten in der Medizin finanziert, betont Ursula Havemann-Reinecke, Professorin für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin an der Universitätsmedizin Göttingen. Dabei sei es enorm wichtig, dass es wissenschaftliche, nicht finanziell und interessengeleitete unabhängige Forschungsprogramme gebe, die derartige Forschungen finanziell unterstützen. "Es ergeben sich aus dem Bericht viele für die Praxis relevante Fragen, die teils auch für künftige Forschungen interessant sein können."

Die Suchtmedizinerin weist außerdem auf einen wesentlichen Aspekt für den recht häufigen Einsatz in der Schmerztherapie hin: "THC oder Cannabidiol verhindern den Opioid-Abbau über pharmakokinetische Wechselwirkungen oder können ihn zumindest stark mindern. Das sollte bei einer Kombinationstherapie stets berücksichtigt werden."

Die fehlende Studienlage kritisiert auch Franz Petke, Leiter der Schmerzmedizin an der Universitätsmedizin Göttingen: "Es gibt im Bereich des medizinisch verwendeten Cannabis keine zufriedenstellende Evidenz. Für viele Mittel sind keine Studien gemacht worden, vor allem keine Studien zu den Extrakten. Bisher lassen die Hersteller hier auch wenig Interesse erkennen, entsprechende Untersuchungen zu starten."

Problem der Stigmatisierung

Insgesamt bleibt die wissenschaftliche Informationslage zur richtigen Einschätzung von Cannabis also wenig zufriedenstellend. Und Oliver Tolmein, Anwalt für Medizinrecht und Professor in Göttingen, nennt ein weiteres Problem in der Beurteilung: die Stigmatisierung von Cannabis als Droge.

Gerade wenn junge Männer Blüten auf Krankenschein verschrieben bekommen, werde damit suggeriert, dass sich da "Kiffer ein Rezept abholen". Deshalb gebe es nur wenige Ärzte, die über ausreichend medizinische Expertise verfügen, mit Cannabis zu therapieren. "Ich halte den Vorwurf in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle aber für unzutreffend. Es gibt gute Gründe, auf Blüten zu setzen und nicht auf synthetisierte Cannabisprodukte. Sie wirken anders und in etlichen Fällen auch besser. Für dieses Phänomen gibt es bisher nur wenige Antworten, aber es gibt ja auch viel zu wenig Forschung."

Der Medizinrechtanwalt kritisiert außerdem, dass Cannabisprodukte am ehesten in der Schmerztherapie bewilligt werden, selten dagegen bei der Behandlung von ADHS oder posttraumatischen Belastungsstörungen: "Das sind aber häufige Krankheitsbilder bei den Patienten, die Cannabis benötigen. Ich vertrete knapp ein Dutzend ehemaliger Soldaten, die psychische Störungen entwickelt haben. Und Cannabis hilft ihnen." Die Nebenwirkungen von Cannabis seien außerdem gering, sie lägen im Bagatellbereich, ganz im Gegensatz zu den Symptomen der Erkrankungen, an denen die Patienten leiden. (kru, 8.7.2022)