Die Zahl derer, die an sexuell übertragbaren Infektionen erkranken, steigt an – auch in Österreich.

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Es passiert sehr viel unauffälliger als bei Corona, auch nicht so schnell, aber trotzdem ist die Verbreitung besorgniserregend. Die Anzahl derer, die an sexuell übertragbaren Infektionen erkranken, nimmt zu. Vor allem die Tripper- und Syphilis-Fälle wurden in den vergangenen Jahren drastisch mehr. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet den Anstieg der Geschlechtskrankheiten als eine "stille Epidemie".

Die vom US-amerikanischen Center for Disease Control and Prevention veröffentlichen Daten machen das deutlich. In den ersten Monaten des Jahres 2020 ging die Zahl der an Gonorrhoe und Syphilis erkrankten Personen erwartungsgemäß zurück – schließlich war die Zeit von Lockdowns und Isolation geprägt. Danach stiegen die Infektionsraten jedoch so stark an, dass die Fallzahlen bis zum Jahresende um zehn bzw. sieben Prozent über denen von 2019 lagen.

Keine zentrale Meldestelle für Geschlechtskrankheiten

Auch aus den für Wien vorliegenden Zahlen lässt sich "ein gewisser Trend im Sinne einer Zunahme der Infektionen" ablesen, bestätigt man vonseiten der Magistratsabteilung 15. Österreichweite Zahlen gibt es kaum. Das liegt daran, dass es nur für die klassischen Geschlechtskrankheiten (etwa Gonorrhoe und Syphilis) eine beschränkte Meldepflicht gibt, alle anderen Infektionen werden zahlenmäßig nicht erfasst.

Die vorliegenden Zahlen zu Gonorrhoe und Syphilis seien aufgrund regional unterschiedlicher Meldemoral aber nur bedingt verwertbar und werden deshalb seit 2011 nicht mehr im Jahresbericht des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege, und Konsumentenschutz veröffentlicht, heißt es aus der MA 15.

Im Rahmen der Behandlung von an einer Geschlechtskrankheit erkrankten Person werden Daten zu Infektionsquelle, Kontaktpersonen und sexueller Präferenz erhoben. Diese werden jedoch nicht anonymisiert an eine zentrale Stelle übermittelt, was eine statistische Auswertung unmöglich macht. "Ohne Änderung des Geschlechtskrankheitengesetzes mit dezidierter Meldepflicht wird man diese Daten nicht bekommen", kritisiert Marianne Emri-Gasperlmair. Sie leitet das amtsärztliche Referat für Sexuelle Gesundheit und Prostitution (MA 15). Die Zuständigkeit für eine solche Gesetzesänderung liegt beim Bund.

Niederschwelliger Zugang und mehr Aufklärung

Aus ebendiesen Daten könnten erforderliche Maßnahmen abgeleitet werden. Und die bräuchte es dringend, betont Emri-Gasperlmair. Vor allem gehe es dabei um einen niederschwelligen Zugang zu Diagnose und Therapie für alle Bevölkerungsschichten und zielgruppengerechte Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten.

Aufklärung sei für einen angemessenen Umgang mit diesen Krankheiten ganz besonders wichtig, denn – so beobachtet Emri-Gasperlmair das in der Praxis – viele scheinen zu denken: "Geschlechtskrankheiten haben die anderen, nicht ich." Das sei ein Grund, warum es in Österreich die Untersuchungspflicht für Prostituierte noch gebe. Viele machen diese Gruppe vorrangig für die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten verantwortlich.

Aber Geschlechtskrankheiten bzw. sexuell übertragbare Infektionen sind nicht auf eine bestimmte Personengruppe beschränkt. "Wechselnde Sexualpartnerinnen und Sexualpartner sowie ungeschützter Kontakt mit einer Zufallsbekanntschaft bedeuten für jede und jeden ein beträchtliches Infektionsrisiko. Effektiven Schutz vor einer Infektion erreicht man nur durch die konsequente und richtige Verwendung von Kondomen. Dieses Bewusstsein gilt es zu festigen", appelliert die Expertin.

Langfristige negative Folgen

Werden Krankheiten nicht oder zu spät erkannt, bedeutet das nicht nur mögliche negative Folgen für die Erkrankten. Es betrifft auch potenzielle Sexualpartner und Sexualpartnerinnen oder auch ungeborene Kinder, warnt Emri-Gasperlmair. Syphilis etwa kann das Fortpflanzungssystem unwiderruflich schädigen. In den USA werden jährlich rund 20.000 Frauen durch unbehandelte sexuell übertragbare Krankheiten unfruchtbar.

Im Jahr 2020 wurde ebenso in den USA ein fast 15-prozentiger Anstieg von Syphilis bei Neugeborenen verzeichnet, wie die "New York Times" berichtet. Das kann zu schweren und lebenslangen gesundheitlichen Komplikationen und Totgeburten führen. Von 2.148 Säuglingen, die sich im Jahr 2020 mit Syphilis infizierten, überlebten 149 nicht.

Regelmäßiges Testen essenziell

Durch Corona wurden viele Vorsorgeuntersuchungen und Testungen nicht durchgeführt. Weil Geschlechtskrankheiten aber oft asymptomatisch verlaufen, sind sie umso wichtiger, betont Emri-Gasperlmair, denn wer sexuell aktiv ist, kommt unweigerlich auch mit Krankheitserregern in Kontakt. (poem, 15.7.2022)