Nächsten Dienstag wird die Nasa der Öffentlichkeit die ersten Aufnahmen des James-Webb-Weltraumteleskops präsentieren. Thomas Zurbuchen, Chefastronom der US-amerikanischen Weltraumbehörde, konnte freilich schon vorab einen Blick auf die Fotos werfen. Als er die Bilder das erste Mal sah, sei er zu Tränen gerührt gewesen, sagte der gebürtige Schweizer. Solche Aussagen steigern natürlich die Vorfreude. Um der wissenschaftlichen Community das Warten zu versüßen, veröffentlichte die Nasa nun ein Bild, das im Mai aufgenommen wurde. Das aus 72 Bildern zusammengesetzte Falschfarbenfoto mit insgesamt 32 Stunden Belichtungszeit zeigt ein oranges Lichtermeer.

Zu sehen sind auf der Infrarotaufnahme einige Sterne, die an den schwarzen Zentren und sechs Strahlen zu erkennen sind. Erstere entstehen, da die empfindlichen Detektoren vom starken Licht der Sterne gesättigt wurden. In Folge erscheint die Mitte der Sterne schwarz. Die sechs Strahlen sind ein Beugungseffekt der sechseckigen Spiegelsegmente des Weltraumteleskops. Doch nur wenige der unzähligen Lichtpunkte sind Sterne – die überwiegende Anzahl sind Galaxien. Viele dieser Sterneninseln haben eine sehr geringe Helligkeit und sind damit sehr weit entfernt. Nach Angaben der Nasa ist das Testbild damit die bisher tiefste Infrarotaufnahme des Kosmos.

Das neu veröffentlichte Bild von Webb zeigt einige Sterne vor unzähligen Galaxien.
Foto: NASA/CSA/FGS-Team

Ungeplanter Vorgeschmack

Die Nasa hat bereits mehrere Webb-Bilder veröffentlicht, die in der Justierungsphase des Teleskops entstanden sind. So stammt auch die neueste Aufnahme aus einem Instrumententest: Damit Webb während einer Beobachtung auf denselben Punkt ausgerichtet bleibt, hat es den sogenannten Fine Guidance Sensor (FGS; in etwa: genauer Nachführungssensor) an Bord. Das Gerät misst 16-mal pro Sekunde die Position ausgewählter Sterne, an denen sich das Weltraumteleskop orientiert. Nebenbei kann der FGS auch Bilder aufnehmen. Diese Aufnahmen werden aber normalerweise nicht zur Erde übertragen, da die Kommunikationskanäle mit dem Teleskop den Daten der eigentlichen wissenschaftlichen Instrumente vorbehalten sind.

Selbst solche ungeplanten Bilder zeigen, wie leistungsfähig Webb ist. Das Weltraumteleskop war nach über 30 Jahren Planungs- und Bauzeit vergangenen Dezember ins All gestartet und hat an seinem Beobachtungsplatz am erdabgewandten Lagrangepunkt L2 Stellung bezogen. Dort hält es nach Infrarotstrahlung aus den Tiefen des Alls Ausschau. Mit dem Fokus auf diesen Spektralbereich erhoffen sich Astronominnen und Astronomen neue Einsichten über das frühe Universum und die Entstehung von Galaxien und Planetensystemen. Außerdem sollen spektroskopische Messungen detaillierte Informationen über die Zusammensetzung von Planeten und ihren Atmosphären liefern. Das Teleskop wird dabei unter anderem unser Sonnensystem und weit entfernte Exoplaneten untersuchen.

Erste Bildmotive endlich angekündigt

In der Zwischenzeit verrieten die europäische Weltraumagentur Esa und die Nasa sogar, welche Himmelskörper und Konstellationen auf den ersten fünf Bildern zu sehen sind, die in wenigen Tagen mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Das Teleskop blickte demnach bereits auf den Carinanebel, eine interstellare Gaswolke, die zu den größten und hellsten Emissionsnebeln am Nachthimmel gehört. Der Carinanebel ist Teil der Milchstraße und etwa 7.600 Lichtjahre entfernt. Hier entstehen zahlreiche neue Sterne.

Ein Ausschnitt des Carinanebels. Neue Bilder, die vom James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) stammen, werden am kommenden Dienstag erwartet.
Foto: APA/AFP/NASA/ESA

Neben der Geburt von Sternen wird es aber auch neue Einblicke in ihren Tod geben. Ein weiterer Nebel aus dem Sternbild Segel des Schiffs ist nämlich ebenfalls unter den ersten Motiven: Der Südliche Ringnebel NGC 3132 befindet sich mit 2.000 Lichtjahren Entfernung näher an der Erde. Es handelt sich um eine Gaswolke rund um einen sterbenden Stern, die sich mit einem Tempo von 15 Kilometern pro Sekunde ausbreitet.

Der Südliche Ringnebel.
Foto: Nasa / The Hubble Heritage Team / APA / AFP

Kosmischer Tanz in Stephans Quintett

Auch ein 1.150 Lichtjahre entfernter Exoplanet war offenbar bereits im Fokus des Webb-Teleskops: Wasp-96 b wurde erst im Jahr 2014 entdeckt und umkreist seinen Stern in rasantem Tempo – innerhalb von dreieinhalb Tagen. Von ihm dürfte aber wohl kein Bild gezeigt werden, sondern das Ergebnis einer Spektralanalyse. Diese zeigt, aus welchen Elementen die Atmosphäre des Gasplaneten besteht.

Stephans Quintett, vom Weltraumteleskop Hubble eingefangen.
Foto: Nasa / Esa / Hubble SM4 ERO Team

Daneben wird es Bilder einer Gruppe von fünf Galaxien geben, die als Stephans Quintett bezeichnet wird. Sie befindet sich im Sternbild Pegasus und ist 290 Millionen Lichtjahre entfernt. Es handelt sich um die erste kompakte Galaxiengruppe, die je entdeckt wurde, und ihr Zwischenspiel ist besonders interessant: Vier der Galaxien "tanzen", sie ziehen sich gegenseitig an und verformen sich dadurch. Womöglich werden sie einmal miteinander verschmelzen.

Die Ära Webb steht bevor

Schließlich wird auch ein gigantischer Galaxiehaufen namens SMACS 0723 gezeigt. Er verzerrt das Licht von allem, was sich aus unserer Perspektive hinter diesem Cluster befindet. Dieser Gravitationslinseneffekt sorgt dafür, dass weit entfernte Galaxien, die sonst kaum erkennbar wären, vergrößert sichtbar sind. Ein Bild, das wohl durch die schiere Menge und die Details der abgebildeten Galaxien beeindrucken wird – wie bereits die veröffentlichten Testfotos.

Ähnlich wie das Hubble-Ultra-Deep-Field-Bild (hier dargestellt), das 2006 veröffentlicht wurde, dürfte die Webb-Aufnahme des Galaxiehaufens SMACS 0723 für Faszination sorgen.
Foto: NASA, ESA, S. Beckwith (STScI), the HUDF Team

Webb ist das größte Weltraumteleskop der Menschheit. Kein Wunder, dass überall Wissenschafter sehnsüchtig darauf warten, mit dem Gerät zu arbeiten. Doch auch über die Forschung hinaus ist zu erwarten, dass Webbs Bilder in die Populärkultur eingehen werden, wie es bei Hubble der Fall war. Nächsten Dienstag beginnt die Ära Webb, ein Feiertag für die Wissenschaft. (Dorian Schiffer, Julia Sica, 8.7.2022)