Vollbeschäftigung in Tirol. Mit dieser Jubelmeldung ging das Arbeitsmarktservice jüngst an die Medien. Mit Stichtag 30. Juni 2022 waren im Tourismus-Bundesland Nummer eins nur noch 10.806 Personen arbeitslos gemeldet – satte 30 Prozent weniger als im Vorjahr zu dieser Zeit. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von drei Prozent – so niedrig war diese zuletzt im Jahr 2001. Man habe damit "ein zentrales Ziel der Arbeitsmarktpolitik erreicht", erklärte AMS-Tirol-Landesgeschäftsführer Alfred Lercher.

Zugleich stieg die Zahl der unselbstständig Beschäftigten um zwei Prozent auf insgesamt 351.000 – ein bislang nie dagewesener Wert um diese Jahreszeit in Tirol. Doch nicht alle Branchen stimmen in den Jubel mit ein. Denn Wirtshäuser wie auch Hotels berichten zwar von ausgebuchten Gaststuben und Zimmern, allerdings fehle es ihnen am Personal, um diese Gäste zu betreuen. Von den aktuell 11.880 offenen Stellen in Tirol entfallen 3655 auf "Beherbergung und Gastronomie", sprich den Tourismus. Schon seit Monaten klagt Tirols Paradebranche über einen eklatanten Mangel an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Bereitschaft "sehr hoch"

Das Bemerkenswerte daran: Mit Stand 31. Mai 2022 war die Zahl der Beschäftigten in der Beherbergung und Gastronomie in Tirol mit 30.961 so hoch wie nie. Das sei ein Indiz dafür, dass die Bereitschaft, eine Stelle im Tourismus anzunehmen, durchaus "sehr hoch" sei, wie man seitens des AMS Tirol bestätigt.

Woran krankt es also? Die Antwort ist komplex, wie eine österreichweite Auswertung von Arbeitsmarktdaten, die das AMS für den ORF durchgeführt hat, zeigte. Denn im Zuge der Corona-Pandemie haben viele Arbeitgeber im Tourismus ihre Beschäftigten gekündigt. Als sich dann die Lage wieder besserte, suchten allerdings viele Branchen gleichzeitig Arbeitskräfte. Und viele dieser Branchen bieten offenbar attraktivere Arbeitsbedingungen. Sprich keine Teildienste, keine Wochenend- und Nachtarbeit, was gerade im Tourismus meist als gegeben, also ohne Zuzahlungen, eingefordert wird. Statt adäquater Bezahlung wird auf Trinkgelder, Personalzimmer oder Verpflegung als "Boni" verwiesen.

Die Idylle trügt – in der Tourismusbranche herrscht akuter Fachkräftemangel, zum Teil ist er selbstgemacht.
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Dass es am mangelnden Willen zu arbeiten liegt, wie die Arbeitgeberseite immer wieder moniert, stimmt also nicht – das belegen die Zahlen. Der Tourismus muss am Arbeitsmarkt ganz einfach attraktiver werden, dann wird man auch gutes und williges Personal finden. Denn der Konkurrenzkampf um Arbeitskräfte ist größer denn je. Einerseits am Binnenmarkt, wo auch andere Branchen händeringend suchen. Andererseits herrscht im Ausland ebenfalls Mangel an Manpower, wodurch immer mehr Menschen, die bisher bereit waren, "auf Saison" nach Österreich zu kommen, lieber in ihren Heimatländern bleiben, wo sie nun besser bezahlte Optionen vorfinden als zuvor.

Manche Hoteliers haben die Zeichen der Zeit erkannt und wissen darüber hinaus, wie wichtig zufriedenes Personal in einer Dienstleistungsbranche ist. Andreas Perger betreibt in Innsbruck zwei Hotels, zwei Appartementhäuser und ein Restaurant. Von seinen 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat er während der Corona-Krise "keinen einzigen gekündigt", wie er betont. "Jetzt habe ich einen großen Vorteil gegenüber meinen Mitbewerbern: Ich habe alle Stellen besetzt."

Für Perger war wichtig, sich seinen Mitarbeitern gegenüber solidarisch zu verhalten, auch und vor allem in Krisenzeiten: "Ich war der Einzige hier im Vier-Sterne-Segment, der alle behalten hat." Was ihm nun aber die Zornesröte ins Gesicht treibt, ist das Verhalten einiger Mitbewerber in der Innsbrucker Stadthotellerie. "Und zwar derjenigen, die alle ihre Beschäftigten rausgeschmissen haben, ihre Betriebe zusperrten und Corona-Hilfen einstreiften. Und die versuchen nun, meine Leute abzuwerben", ärgert sich der Hotelier. Es habe bereits Fälle gegeben, bei denen Konkurrenten probiert hätten, Pergers Angestellte mit "100 Euro mehr pro Monat" zum Wechseln zu bewegen. Er habe dieses Verhalten bereits der Wirtschaftskammer gemeldet.

Weil er sein Personal als wichtigstes Kapital ansieht, erklärt Perger, sorge er für gute Arbeitsbedingungen: "Die Mitarbeiter sind unser größtes Gut, und es macht sich bezahlt, zu ihnen zu stehen." Das Gejammer vieler Branchenkollegen könne er daher nicht nachvollziehen. Denn wer gute Konditionen biete, der finde auch gutes Personal, ist Perger überzeugt.

Katastrophe im Stubaital

Gänzlich anders stellt sich die Situation für Dominik Oberhofer dar, der in Tirol Spitzenkandidat der Neos ist und dessen Familie in der Ferienhotellerie im Stubaital tätig ist. "Eine Katastrophe" ist für ihn die Situation am Tiroler Tourismus-Arbeitsmarkt: "Wir finden keine Mitarbeiter, und es kommen keine neuen nach." Wenn jemand aus dem Betrieb ausscheide, sei es unmöglich, die Position nachzubesetzen. "Wir haben im Haus zum Beispiel keine Kosmetik und Massage mehr, weil wir einfach niemanden dafür finden. Und an Sonntagabenden und montags haben wir in der Nebensaison keine Küche mehr", beschreibt Oberhofer die Auswirkungen des Arbeitskräftemangels im Familienbetrieb.

Dass im Tourismus die Zahl der Wieder- und Neueinsteiger sinkt, bestätigen auch die AMS-Zahlen. Gerade während der Corona-Pandemie zeigte sich diese Entwicklung deutlich. Wie erwähnt, ist die Konkurrenz durch andere, attraktivere Branchen ein wichtiger Grund dafür. Oberhofer hat selbst erlebt, dass ungarische Mitarbeiter nicht mehr nach Tirol kamen, "weil sie zu Hause nun gute Arbeitsplätze gefunden haben".

Problem vieler Branchen

Ob also der Ball nicht bei der Tourismusbranche liege, für bessere und attraktivere Rahmenbedingungen zu sorgen? Oberhofer verneint: "Wir haben nicht nur im Tourismus einen Mangel. Auch Lehrer und Ärzte fehlen." Die Wirtschaft boome, zudem habe man es mit geburtenschwachen Jahrgängen zu tun, zählt der Tiroler Neos-Chef weitere Ursachen für die aus seiner Sicht komplexe Problemlage am Arbeitsmarkt auf.

Allerdings räumt Oberhofer auch ein, dass "der Tourismus in Tirol schon immer mit Selbstausbeutung zu tun" hatte. Und er meint damit beide Seiten: Arbeitgeber und -nehmer. Gerade die saisonale Ferienhotellerie kämpfe – anders als die Ganzjahres- und Stadthotellerie – mit schwierigen Rahmenbedingungen. Das reiche von der Wetterabhängigkeit bei saisonal begrenzter Geschäftstätigkeit bis zum Preisdruck, dem man sich beugen müsse, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Der Tiroler Tourismus wirbt mit naturbelassenen Almen.
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Hinzu komme, sagt Oberhofer, dass vor allem junge Menschen weniger Stunden arbeiten wollen. Er verstehe das auch: "Man kann sich sowieso kein Eigenheim mehr erarbeiten, also achtet man lieber auf eine gute Work-Life-Balance." Auf der anderen Seite hätten es aber auch Hoteliers nicht immer leicht und könnten daher oft keine besseren Bedingungen bieten: "Bei uns gibt es keine Überbezahlung, wir orientieren uns an Landesgehältern. Außerdem stellen wir Personalunterkünfte und Verpflegung bereit." Ob und wie man damit Fachkräfte ansprechen will, die vor Ort wohnen und leben wollen, kann auch Oberhofer nicht beantworten.

Der familieneigene Betrieb, den seit drei Jahren die Schwester führt, habe derzeit 22 Mitarbeiter. Früher hatte man im Vollbetrieb einen Bedarf von rund 50 Mitarbeitern, sagt Oberhofer. Mittlerweile wurde durch Automatisierung das nicht mehr zu findende Personal eingespart: "Wir haben auf Appartements und Self-Check-in umgestellt." Angesichts des Arbeitskräftemangels im Tourismus plädiert Oberhofer für mehr Zuzug und einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik: "Dass wir Flüchtlinge abschieben, die bei uns eine Lehre gemacht haben, wie es nun schon so oft der Fall war, vor allem im Tourismus: Da muss man sich schon fragen, was das soll?"

Kellner als Mangelberuf

Während Hotelier Perger auf bessere Rahmenbedingungen setzt, sieht Oberhofer die realistischere Lösung in mehr Zuzug von Arbeitskräften aus dem Ausland, um den Mangel auszugleichen. Ebenso die türkis-grüne Bundesregierung. Am Mittwoch hat Tourismusstaatssekretärin Susanne Kraus-Winkler (ÖVP) als Sofortmaßnahme gegen den Personalmangel im Tourismus angekündigt, dass "Kellnerinnen und Kellner und Gaststättenfachberufe auf die bundesweite Mangelberufsliste genommen werden" und das Saisonnierskontingent um 1000 Personen erhöht werde.

Zudem soll als weitere Maßnahme der Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte erleichtert werden, wenn sich Personen aufgrund einer Saisonbeschäftigung bereits in Österreich aufhalten. "Diese Maßnahmen sollen zusätzliche Anreize schaffen, um Arbeitskräfte verstärkt ganzjährig in Beschäftigung zu halten", erklärte Kraus-Winkler.

Anna Daimler, Generalsekretärin der Gewerkschaft Vida, nennt diese Ankündigung der Bundesregierung ganz unverblümt "eine Verhöhnung" all jener, die in Österreich auf Arbeitssuche sind oder wieder in den Tourismus zurückkehren wollen. Statt Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen, die bereit sind, "für wenig Geld alles zu tun", sei die Regierung vielmehr gefordert, für bessere Arbeitsbedingungen in der Branche zu sorgen.

Der Vorsitzende des Fachbereichs Tourismus bei der Gewerkschaft Vida, Berend Tusch, pflichtet Daimlers Kritik bei. Denn auch der Arbeitsmarkt sei ein Markt mit Angebot und Nachfrage: "Und solange es Arbeitssuchende am heimischen Arbeitsmarkt gibt, braucht es keine zusätzlichen Saisonniers." Regierung und Wirtschaftskammer würden seit Jahren die Augen vor den Problemen der Branche verschließen, kritisiert die Gewerkschaft.

Bessere Rahmenbedingungen schaffen

Es sei kein Wunder, dass im Tourismus unter den herrschenden Arbeitsbedingungen tausende Beschäftigte fehlten, sagt Daimler. Vollzeitarbeit müsse ein gutes Leben ermöglichen und genau das sei im Tourismus derzeit zumeist nicht der Fall. Die Gründe seien vielfältig und beginnen bei nicht planbarer Freizeit und nicht haltenden Dienstplänen. "Der vielbejammerte Fachkräftemangel existiert nicht. Wir haben vielmehr einen Ausbildungs- und Bezahlmangel in der Branche", konkretisiert Tusch die Missstände: "Wenn nicht ausgebildet und fair bezahlt wird, kann es auch keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben."

Eine aktuelle Untersuchung der Arbeiterkammer Wien zu den Arbeitsbedingungen und vor allem zu den Problemen in der Branche – die sich auch auf Tirol umlegen lässt – bestätigt die Vorwürfe der Gewerkschaft. Um kurz- wie auch langfristige Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel im Tourismus zu setzen, schlägt Vida-Generalsekretärin Daimler daher vor, bei der Bezahlung und den Rahmenbedingungen anzusetzen: "Die Arbeitgeber müssen umgehend an den Verhandlungstisch hinsichtlich Kollektivverträgen. Seit Mai wird uns von den Wirtschaftskammervertretern das Gespräch verweigert."

Es brauche zudem planbare Freizeit, verlässliche Dienstpläne sowie auf Lebensphasen abgestimmte Arbeitszeitmodelle und Sozialleistungen. Setze man das aufseiten der Arbeitgeber um, sei der Personalmangel Geschichte. Die Gewerkschaft Vida strecke die Hand aus, sagt Daimler: "Um ein Paket zu schnüren, wo sich die Kolleginnen und Kollegen wieder darum reißen, im Tourismus zu arbeiten." (Steffen Arora, 9.7.2022)