In Paralleluniversen vordringen zu wollen kann oft Kopfschmerzen verursachen. Zum Glück gibt es mildtätige Zwerge. Illustration aus Eugen Egners Trinkertagebuch.

Foto: Jung und Jung/Eugen Egner

In Paralleluniversen vordringen zu wollen kann oft Kopfschmerzen verursachen. Zum Glück gibt es mildtätige Zwerge. Illustration aus Eugen Egners Trinkertagebuch.

Foto: Jung und Jung/Eugen Egner

In diesem schmalen Buch lassen sich viele Sätze für die Ewigkeit finden. Zum Weinen schön, sind sie dazu angetan, sie fremden Menschen nachts in einer Absturzhütte ins Ohr zu raunen. Schauen wir uns etwa in Aus dem Tagebuch eines Trinkers. Das letzte Jahr Eugen Egners Tagebucheintrag vom 12. Juli an: "Wenn ich J. S. Bach wäre, würde ich folgenden Satz vertonen (Kantate): Ich bleibe oft lange auf, trinke viel und schäme mich für uns alle." Weil es sich hier um ein jetzt endlich wieder einmal neu aufgelegtes, lehrreiches literarisches Hauptwerk des ausgehenden 20. Jahrhunderts von 1991 handelt, kommt so eine Lebensbilanz natürlich nicht auf der Brennsuppe dahergeschwommen. Sie wird durch Feuerwasser ermöglicht. Egner schließt den Tagebucheintrag mit: "Elterliche Hausbar vorgeknöpft, wieder Notarzt."

Weinbrand und Nachfolge Christi

Das ist natürlich sehr traurig. Drogenmissbrauch ist eine hässliche Sache. Hier auch eine Bitte vor allem an die Kinder: Nicht nachmachen! Vor allem auch: Auf keinen Fall den aus der Flasche weggesoffenen Weinbrand mit Wasser auf die alte Füllhöhe aufgießen, die Mutti und der Papa merken das – und es ergeben sich häusliche Szenen. Andererseits findet sich in der Literaturgeschichte kaum ein besseres Buch, wenn es darum geht, dass der Leser am Ende einer solchen Untergangschronik sehr, sehr viel gelacht hat. Literatur beruht schließlich auch darauf, dass es uns Menschen nicht ganz unglücklich macht, wenn wir vom Unglück der anderen hören: "29. 11. Zwangsvorstellungen bezüglich der Nachfolge Christi sind abgeklungen. Viehisch besoffen."

Der heute 71-jährige deutsche Autor und Zeichner aus Wuppertal wurde nach seiner Tätigkeit für Die Sendung mit der Maus ab den 1990er-Jahren zum gefragten Mann im auf einen ungesunden Lebensstil wertlegenden Humoristenmilieu. Wenn es darum ging, den Zumutungen der Welt mit den Mitteln der Groteske beizukommen, wurde er auf Empfehlung von Loriot unter anderem für die im Haffmans-Verlag erschienene Zeitschrift Der Rabe geholt. Legendär etwa der "Rausch-Rabe" von 1989, in dem Eugen Egner eine Vorstufe für das Tagebuch eines Trinkers zündete. Bis heute gilt das gar nicht einmal so viel publizierende Multitalent als Redaktionsmitglied der Titanic. Wobei man jetzt sagen muss, dass man wieder einmal nachschauen sollte, ob auf der Titanic noch alle trinken dürfen.

Horrortrips und Flaschenfutter

Nachdem er mit den Bildergeschichten in seinem frühen Band Glücklich ist, wer vergisst, dass er nicht zu retten ist dem hinter der fröhlichen Säuferidylle lauernden Wahnsinn und dem Horrortrip Tür und Tor geöffnet hatte, wurde die Hinwendung vom Zeichnerischen zur Sprache immer wichtiger. Das alles ist am Rande der Bewusstseinsveränderung und der psychedelischen Realitätsverzerrung angesiedelt.

Egner belegte später mit seinem Roman Der Universums-Stulp oder den Erzählungen in Als der Weihnachtsmann eine Frau war, dass das Tagebuch eines Trinkers zwar das Egner’sche Delirium in früher Vollendung abbildete. Der tiefschwarze Humor, das ein wenig altertümliche Loriot-Deutsch, die lustigen, möglicherweise auf LSD in Makro- statt neumodischer Mikrodosierung beruhenden Räusche (Erfinder Albert Hofmann) sowie Einflüsse aus der fantastischen Literatur der Romantik – speziell des "Flaschenfutter" konsumierenden E. T. A. Hoffmann, Schöpfer von Die Elixiere des Teufels – zeitigten aber auch später noch wundersame Ergebnisse: "19. 3. Nachgedacht über Worte eines Freundes: ‚Die Sonne müsste nachts scheinen, am Tage ist es doch sowieso hell.‘ Wieder geweint. Rum." (Christian Schachinger, 9.7.2022)