Die Regierungen in Berlin und Wien befürchten, dass Russland unter technischem Vorwand gar kein Gas mehr liefern wird.

Die Nervosität ist groß, gar nicht, weil Putin das Gas zunächst abdreht, sondern weil völlig unklar ist, ob er es je wieder aufdreht. Am Montag beginnt eine schon länger angekündigte Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1, die via Ostsee Russland mit Deutschland verbindet. Bereits vor Wochen wurde die damit verbundene Abschaltung der Pipeline angekündigt. Montagfrüh sind nun die Buchungen für den Durchfluss durch die Gaspipeline auf null gefallen, wie aus der Website des Betreibers hervorgeht.

Die große Frage ist aber, ob am 21. Juli tatsächlich das Gas wieder fließen wird? In Europa und besonders in Deutschland geht die Angst um, dass Russlands Staatspräsident Wladimir Putin die Gelegenheit nutzen könnte, um gar kein Gas mehr zu schicken.

Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte schon im Juni die Liefermenge via Nord Stream 1 gedrosselt. Auch die Gaslieferungen über andere Leitungen nach Deutschland und damit in weitere Länder, darunter Österreich, waren zurückgegangen. Und mehrere europäische Staaten bekommen jetzt schon kein Gas mehr aus Russland. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck bezeichnete einen Gasstopp am Sonntag in einem Interview wegen der damit verbundenen Folgen für die Wirtschaft als "politisches Albtraum-Szenario".

Vom Lieferstopp via Nord Stream ab Montag wird auch Österreich betroffen sein, Klimaministerin Leonore Gewessler sprach am Sonntag von einer deutlichen Lieferreduktion, die erwartet wird. Wobei die Dimensionen andere sind als für Deutschland: Österreich bezieht die größte Menge Gas aus Russland via Landtransit über die Ukraine. Gewessler hofft, dass auch die Befüllung der Speicher weitergehen kann, wenn auch langsamer.

Turbine kommt nach Deutschland

Die bereits erfolgte Lieferkürzung via Nord Stream wurde von Russland damit begründet, dass eine für die Pipeline benötigte Turbine zur Wartung nach Kanada geschickt wurde, aber bisher wegen der Sanktionen nicht retourniert werden konnte. Am Wochenende hat die kanadische Regierung angekündigt, die Siemens-Turbine nach Deutschland zurückzuschicken.

Der Brüsseler Thinktank Bruegel hat unterdessen eine Analyse dazu präsentiert, wo Europa bei dem Versuch steht, Gas aus Russland zu ersetzen. Demnach bezog die EU im vergangenen Jahr 40 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland. Diese Abhängigkeit konnte bereits reduziert werden. Im Juni 2022 wurden EU-weit noch 20 Prozent des Gases aus Russland bezogen. Ersetzt wurde der Rohstoff aus Russland in erster Linie durch verflüssigtes Erdgas (LNG) aus den USA. Aus Sicht der Experten von Bruegel ist das Maximum damit bereits erreicht, ab nun lässt sich russisches Gas also nur mehr durch eine tatsächliche Verbrauchsreduktion einsparen.

Mit einer Simulation haben die Experten versucht zu berechnen, wie groß der Verbrauchsrückgang sein müsste, damit das Gas, das in den Speichern schon da ist oder aus anderen Quellen kommt, ausreicht. Sollte kein russisches Gas mehr kommen, müsste die Nachfrage in der EU nach dem Rohstoff um 15 Prozent zurückgehen.

Verzicht in Österreich

Auf die einzelnen EU-Länder heruntergebrochen, sind die Herausforderungen ganz unterschiedlich. Manche Staaten sind sehr stark von Gas abhängig, andere haben dafür ihren Verbrauch bereits eingeschränkt. Die baltischen Länder und Finnland etwa erhalten kein russisches Gas mehr, sie haben ihren Verbrauch auch schon deutlich reduziert, um gut 40 Prozent. Der Verbrauch müsste jedoch noch weiter zurückgehen, um die Lücke ganz zu schließen.

Herausfordernder ist die Situation für eine Ländergruppe mit Österreich, zu der auch Tschechien gehört: Hier müsste der Verbrauch um gut 40 Prozent sinken, damit das Gas für den Winter reicht. In der Simulation von Bruegel wurde ein durchschnittlich kalter Winter unterstellt. (szi, 11.7.2022)