Die Millennium City samt dazugehörendem Turm beinhaltet auch ein weithin populäres Einkaufszentrum, das im Dezember zum Tatort wurde.

Foto: Christian Fischer

Wien – Was bringt Teenager dazu, straffällig zu werden? Ist es die pubertäre hormonelle Inbalance? Der familiäre Hintergrund? Frustration über ungleiche Vermögensverteilung? Eine Mischung aus all diesen Gründen? Oder etwas ganz anderes? Fragen, die man sich beim Raubprozess gegen den 15-jährigen D. und seinen ein Jahr älteren Mitangeklagten C. stellen kann. Ohne darauf eine letztgültige Antwort zu bekommen.

Zwei Delikte werden den beiden Unbescholtenen vorgeworfen: Am 1. Oktober sollen sie bei einer Baustelle einen Bolzenschneider entwendet haben, um damit ein Fahrradschloss zu knacken, wobei sie ertappt wurden. Am 17. Dezember sollen sie im nächtlichen Einkaufszentrum Millennium City andere Jugendliche mit einer Glasflasche sowie einem Messer bedroht und sie geschlagen haben, um zu Geld zu kommen. Die Beute laut Staatsanwalt: 1,70 Euro in Münzen, die ihnen die Opfer zuvor freiwillig gaben.

Rauferei statt Raubversuch

Beide bekennen sich teilweise schuldig. Mit Hängen und Würgen geben sie die Fahrradgeschichte zu. Den versuchten Raub bestreiten sie dagegen. "Dass ich dem eine Faust gegeben habe und Streit angefangen habe", sagt D. zu diesem Anklagepunkt. C. gesteht ebenfalls die körperliche Auseinandersetzung ein, beide beteuern aber, es habe sich um einen Streit unter Teenagern gehandelt und nicht um einen Raubversuch.

Ein finanzielles Motiv könnte man aber durchaus vermuten: Beide sind arbeitslos, der Erstangeklagte bekommt angeblich 20 Euro Taschengeld im Monat, der zweite 550 Euro vom Arbeitsmarktservice.

Ihre Version des Ablaufs in der Millennium City erzählen die beiden in Österreich geborenen Serben im Groben so: Sie seien um Mitternacht a) dort und b) betrunken gewesen. Sie wollten angeblich Kleingeld, um sich entweder Zigaretten oder etwas zum Essen zu kaufen. Also schnorrten sie andere junge Besucher an. Nicht wissend, dass die anderen sieben Jugendlichen, die zu zweit oder dritt herumstanden, alle zusammengehörten. Einer gab ihnen die 1,70 Euro und zeigte sogar seine Taschen vor, da sie mehr forderten.

"Provokante Blicke"

Laut der Darstellung der beiden Angeklagten versuchten sie es dann bei einem Trio, das nichts spendete. "Als wir gegangen sind, haben sie irgendwelche Anmerkungen gemacht. Als ob ich arm wäre oder so", sagt der Erstangeklagte. Nummer zwei will schon im Vorfeld "provokante Blicke" bemerkt und "Penner" gehört haben. Also seien sie zum Trio zurückgegangen, ein Wortgefecht sei eskaliert und D. habe einem Kontrahenten einen Faustschlag ins Gesicht verpasst. Als dessen Freund flüchtete, sei er ihm nachgelaufen. "Ich gebe zu, ich wollte ihn auch mit einem Stuhl jagen, aber dann bin ich gegen eine Kante gelaufen und gestürzt."

"Warum sagt der Zeuge, Sie hätten ihn mit einem Messer in der Hand verfolgt?", fragt Katharina Adegbite-Lewy, Vorsitzende des Schöffengerichts. "Keine Ahnung. Vielleicht will er mich ficken?", kann der 15-jährige Erstangeklagte nur mutmaßen. Auch Zweitangeklagter C. beteuert mehrmals, dass er nur eine Plastikflasche in der Hand gehabt habe. Gedroht habe er damit nie, er sei nur seinem Freund im Gerangel beigestanden.

60 Euro in der Jackentasche

Der von Volkert Sackmann verteidigte Zweitangeklagte überrascht dann mit einer Aussage bezüglich seines Jackeninhalts. Die beiden Angeklagten waren nämlich geflüchtet, C. kehrte allerdings an den Tatort zurück, da er sein Mobiltelefon verloren hatte. Und er kam ohne Jacke. "Die Zeugen haben vermutet, dass Sie sich so tarnen wollten", hält ihm die Vorsitzende vor. "Nein, ich habe D. die Jacke gegeben, damit er sie meiner Mutter bringt. Da waren 60 Euro drinnen. Und ich bin davon ausgegangen, dass ich festgenommen werde, weil schon so viel Polizei dort war." – "Sie haben 60 Euro in der Jacke gehabt? Warum haben Sie dann um Geld gefragt?", ist eine Schöffin erstaunt. "Ich habe das Geld vergessen", behauptet der Zweitangeklagte. "Aber warum geben Sie dann die Jacke weg? Das ergibt ja keinen Sinn!", meint Adegbite-Lewy dazu.

Die Angeklagten wurden noch vor Ort beziehungsweise am Nachmittag des 18. Dezembers festgenommen und verbrachten vier Tage in Untersuchungshaft, ehe sie gegen gelindere Mittel auf freien Fuß gesetzt wurden. Dazu gehörte die Bewährungshilfe, deren Notwendigkeit die beiden am Beginn nicht ganz einsahen. Der Erstangeklagte schwänzte auch die Erhebungen der Jugendgerichtshilfe, obwohl er und seine Mutter mehrmals schriftlich und telefonisch zum Kommen aufgefordert wurden. Auch vor Gericht fehlt die Mutter, die das Sorgerecht hat, allerdings ist D.s Vater anwesend, der einem der Opfer auch die geforderten 200 Euro Schmerzensgeld bar bezahlt.

Familie seit Jahren betreut

Zweitangeklagter C. ging zur Jugenderhebung, und als die Vorsitzende die Ergebnisse verliest, wird ein düsteres Bild gezeichnet. Seit elf Jahren wird die Familie vom Jugendamt betreut, die Schwester des 16-Jährigen ist fremduntergebracht. Der Verdacht körperlicher Gewalt durch den Stiefvater steht im Raum, die im Saal sitzende Mutter schreibe alle Probleme dem "dysfunktionalem System" der Verwaltung zu.

Da mehrere Zeugen bestätigen, dass C. eine Glasflasche dabeihatte, und die Vorsitzende überzeugt ist, diese auch auf einem Überwachungsvideo zu sehen, erinnert sich C. dann nach kurzer Rücksprache mit seinem Verteidiger doch wieder daran. Aber er habe damit nicht gedroht, beharrt er.

Der Senat glaubt ihm das nicht, ebenso wenig wie die Version des Erstangeklagten, er habe nur nach einer Provokation zugeschlagen. Beide werden anklagekonform verurteilt, bei einer Strafdrohung bis zu siebeneinhalb Jahren Haft fassen beide 18 Monate bedingt aus. Zusätzlich wird weiter Bewährungshilfe angeordnet, und beide müssen ein Antigewalttraining absolvieren. Der Erstangeklagte akzeptiert, der Zweiangeklagte nimmt sich Bedenkzeit, der Staatsanwalt gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 11.7.2022)