Die Tiroler Festspiele Erl sehen sich nach dem Skandal um Gustav Kuhn wieder auf einem guten Weg.

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Erl – Hallo, Erl! Scharfkantig ragt das rabenschwarze Festspielhaus aus dem grünen Hügel, die Gäste, die am Wochenende eigentlich die erste Opernpremiere hätten genießen wollen, trudeln ein. Schon vorab angereist ist das Coronavirus, das die Sopranistin Heather Phillips infiziert hat. Und Rossinis Bianca e Falliero ohne Bianca: Das geht gar nicht. Also hat man in Erl innert Stunden ein Ersatzkonzert auf die Beine gestellt, mit akustischen Kostproben aus der selten gespielten Belcanto-Oper.

Wenn man schon einmal hier ist, kann man den Intendanten fragen, wie die Dinge so stehen in Erl. Bernd Loebe, der mehrfach ausgezeichnete Langzeitintendant der Frankfurter Oper, leitet Erl seit September 2019. Sein Vorgänger Gustav Kuhn, der Wilde mit seiner Maschin‘, hat die Tiroler Festspiele mit tat- und finanzkräftiger Unterstützung von Hans Peter Haselsteiner (und den Steuerzahlern) groß gemacht; das Erler Faktotum (Kuhn leitete das Festival, dirigierte fast alles und inszenierte auch noch) musste wegen Missbrauchsvorwürfen das Intendantenbüro und seinen "Maestro"-Parkplatz räumen.

"Schlackernde Knie" vor Corona-Absagen

Das Virus schlage zurück, kommentiert Loebe die Tageslage gefasst; die Kollegen in Bregenz und Bayreuth bekämen wohl auch schon "schlackernde Knie". In Frankfurt wäre er es seit zwei Jahren gewöhnt, von Tag zu Tag zu arbeiten. Aber so eine Verschiebung der Premiere, wenn bis zur Generalprobe alles wunderbar läuft: Das tue natürlich weh. Zum Publikum meint der 69-Jährige am Abend: "Wir müssen jetzt alle flexibel sein, dann kriegen wir das hin."

Das Festival sieht Loebe auf Kurs, Rheingold und Lohengrin seien im letzten Sommer sehr erfolgreich gewesen. Neben Wagner setzt man in Erl wie gehabt auf Belcanto und auf Raritäten – so wird heuer etwa Chaussons Le Roi Arthus gezeigt. Barockoper verbietet sich im Hinblick auf die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, Mozart überlässt man Salzburg. Mittelfristig möchte der Deutsche in Erl aber auch "dramatischer grundierte Werke" zeigen, ab der Wintersaison 23/24 etwa zwei russische Opern. "Meisterwerke bleiben Meisterwerke", sagt Loebe im Hinblick auf den diesbezüglichen Cancel-Drang.

"Wir zahlen, was wir können"

Der an der Frankfurter Oper groß geworden US-Amerikaner Erik Nielsen unterstützt Loebe in Zukunft als Chefdirigent mit breiter Repertoirekenntnis. "Je komplizierter ein Werk ist, desto ruhiger wird er", beschreibt der Intendant den 45-Jährigen. Und wie steht es um das Erler Festspielorchester: Entsprechen Arbeitsbedingungen und Bezahlung mittlerweile nationalen gewerkschaftlichen Mindeststandards? Alle Mitwirkenden seien bereit, den Festspielen entgegenzukommen, meint Loebe und stellt knapp fest: "Wir zahlen, was wir können."

Beim Ersatzkonzert ist das Orchester von Simone de Felice primär auf feingliedrige Akkuratesse getrimmt. Maria Ostroukhova ist ein Falliero mit lodernder, hochpräziser Intensität und einem faszinierenden Timbre; Theo Lebow gibt als Fallieros Widersacher Contareno und als Vater der Braut (Bianca) ordentlich Gas und prescht wie ein Formel-1-Auto auf einem Stadtkurs durch seine Arien. Bärenstark und nobel Božidar Smiljanić als Doge, porös der Bass von Giovanni Battista Parodi als Capellio. Applaus für die Künstler vom Publikum, Buhs für das Virus von dieser Seite. (Stefan Ender, 11.7.2022)