Ein moderner Konservativer japanischen Zuschnitts: Bevor Fumio Kishida im Dezember 2021 in die Residenz des Premierministers einzog, lebte der 64-Jährige mit zweien seiner drei Söhne in einer Männer-WG. Der Älteste ist noch heute sein Sekretär.

Fumio Kishida wäre ohne Shinzo Abe nicht Japans Premier. Nun ist er allein.
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Der Vater war fürs Geschirrspülen und Badputzen zuständig, weil "da kann ich nichts falsch machen". Die Söhne kümmerten sich ums Kochen und Einkaufen, die Ehefrau leitete das Bürgerbüro zu Hause in Hiroshima.

Kishidas Markenzeichen ist Bescheidenheit – im Gegensatz zur Arroganz von Shinzo Abe, Japans einflussreichstem Politiker der letzten zehn Jahre. Ein Attentäter hat Abe am vergangenen Freitag getötet – und nun ist Kishida der unglückliche Erbe von Abe, der ihn bei der Wahl zum Chef der Liberaldemokraten (LDP) unterstützt und im Gegenzug eine Politik nach seinem Gusto aufgezwungen hatte.

In dieser Zwickmühle bleibt Kishida auch nach seinem klaren Sieg bei der Oberhauswahl am Sonntag stecken, weil seine Hausmacht nicht groß genug ist. Denn Abe führte die größte LDP-Faktion. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht, sodass der LDP ein Machtvakuum droht. Die absehbaren Führungskämpfe könnten dem jetzigen Premier gefährlich werden.

Machtpolitik zwischen den Parteiflügeln

Zugleich muss Kishida darauf achten, dass ihn die bisher von Abe gelenkten Rechten weiter unterstützen. Also stellt er sich hinter deren ultrakonservative Agenda: den Verteidigungshaushalt "drastisch" erhöhen und eine Verfassungsreform vorbereiten. Abes Lieblingsprojekt soll der Armee mehr Einsatzmöglichkeiten geben und dadurch Japans Nation stärken.

Der gelernte Banker Kishida war Vater und Großvater ins Parlament gefolgt und diente Abe vier Jahre lang als Außenminister – daher weiß er aber auch: Mit der Reform der seit 75 Jahren unveränderten Verfassung lässt sich kein Blumentopf gewinnen.

Dennoch wird er den Anschein wahren und das Parlament darüber diskutieren lassen. In Wirklichkeit will er sich Freiraum für den von ihm propagierten "neuen Kapitalismus" verschaffen und den Japanern höhere Löhne bescheren. Die neoliberale Wirtschaftspolitik der "Abenomics" erwähnt er dabei nicht. "Nur Wachstum allein bringt kein reales Glück", meint er. Die wertkonservative Aussage zeigt den wahren Kishida, der in bisher 30 Notizbüchern die Gefühle seiner Wählerschaft niederschreibt. Das beeindruckte die Japanerinnen und Japaner so sehr, dass die Notizbücher dieser Marke oft ausverkauft sind. (Martin Fritz aus Tokio, 11.7.2022)