Reden wir also wieder einmal über Laufschuhe. Und falls Sie sich da jetzt an den Kopf greifen und fragen, "Wieso denn das schon wieder?", dann lade ich Sie herzlich ein, einmal einen Blick auf die Füße jener Menschen zu werfen, die auf den Laufstrecken dieser Welt die Mehrheit darstellen.

Schauen Sie zuerst darauf, wie die Leute laufen – und dann womit. Und dann gehen Sie in ein Sportgeschäft. Also in einen x-beliebigen Kettenladen. Schauen und hören Sie zu, wie dort Laufschuhe verkauft werden. Das Wort "Beratung" kommt mir da schwer über die Finger. Wieso? Fragen Sie einfach einmal nach: "Welche Sprengung hat der XY-Schuh? Und: Gibt's den auch für starke Pronierer?"

Sie werden sich danach nie wieder wundern, wieso "draußen" so viele Leute mit Schuhen laufen, die schon beim Hinschauen wehtun.

Foto: Tom Rottenberg

Das Dilemma ist immer das gleiche: Wirklich schlechte Laufschuhe gibt es nicht. Von keinem mir bekannten Hersteller. Der Fehler passiert erst im Verkauf. Weil es eine Million Schuhe gibt, die nicht zu Gewicht, Tempo, Füßen und Laufstil des Läufers oder der Läuferin oder dem zu belaufenden Untergrund, der Distanz oder der Jahreszeit passen.

Die Sache mit dem Untergrund verstehen Laien auch: Niemand würde mit einem spikebewehrten Bahn-Sprintschuh auf die Prater-Hauptallee gehen.

Aber je eher der oder die Befragte zur Zielgruppe "Einsteiger:in" zählt, desto öfter kommt zu allen anderen Parametern die Standardantwort: "Geh bitte, bei dem bisserl, das ich laufe, ist das doch nicht wichtig!"

Foto: Tom Rottenberg

Raten Sie also, wer Laufschuhe wohl eher nach den Kriterien "Farbe" und "günstig" bei absolut ahnungslosem Fachpersonal oder im Onlineshop aufgrund eines Magazintests (mit danach folgender Inseratenstrecke) kauft: die x-fache Marathonfinisherin – oder der übergewichtige Couchpotato, der endlich Chips, Tschick und TV gegen die PHA tauschen will?

Noch eine No-na-Frage: Wer wird wohl eher danebengreifen – und statt Spaß und Erfolgserlebnissen, Knie- oder sonstige Schmerzen heimbringen? Wer wird dann aber eher nicht auf die Idee kommen, dass das Ziehen in der Hüfte, das Stechen im Knie vom Schuh herrühren könnte? Obwohl der Olympiasieger, die Weltmeisterin doch die gleiche Marke läuft?

Foto: Tom Rottenberg

Das alles wissen Sie sicher schon längst. Ich auch. Aber ich weiß noch etwas: Jedes Mal, wenn in einer Laufgruppe ein neues Gesicht auftaucht, sehe ich in staunend-ungläubige Augen, wenn ich frage, wie alt die mitgebrachten Laufschuhe denn sind, von wem sie wie verkauft und angemessen worden sind – und ich dann sage: "Nein, gerade bei weniger erfahrenen Läuferinnen und Läufern ist genau das eben nicht wurscht."

Deshalb erzähle ich hier regelmäßig ein bisserl über Schuhe, die bei mir aufschlagen – und betone eines ausdrücklich: Ob ich mit denen glücklich bin oder leide wie ein Hund, muss nicht heißen, dass für Sie nicht genau das Gegenteil zutrifft.

Weil Sie andere Füße haben – und anders laufen als ich. Nur weil Sie und ich je zwei Ohren haben, mögen wir ja auch nicht die gleiche Musik.

Foto: Tom Rottenberg

Aber den eigenen Horizont immer wieder zu erweitern, Dinge zu probieren, schadet nie. Womit wir bei meiner Beziehung zu Mizuno wären: Ich bin "die Japaner" noch nie gelaufen. Es hat sich einfach nicht ergeben. Bis ich im Frühjahr als Gast von "Kärnten läuft" am Katschberg bei einem Höhenlauf-Workshop war: Das 1906 in Osaka gegründete Label ist Schuhpartner von Michael Kummerers-Wörthersee-Lauf.

Oben, auf dem Berg, konnten sich alle durch die Schuhpalette des Labels gustieren: von minimalen Tempo- über Allround- und gestützte Modelle bis hin zu leichten oder auch richtig stabilen Trail-Modellen.

Wer sich für so einen Event anmeldet, steht meist nicht ganz bei null. Zielgruppe hier waren aber dennoch ausdrücklich Normalos. Und mit gut der Hälfte der Teilnehmenden hatte noch nie jemand über den Unterschied zwischen Schuhen und Schuhen gesprochen.

Foto: Tom Rottenberg

Wir liefen dort oben – abgesehen von Trailschuhen – mehrere Modelle: unter anderen den komfortablen "Wave Rider 25" (hier im Bild), den leichten "Wave Shadow" und den schnellen "Wave Rebellion". Das "Wave" im Namen verweist auf ein in der Sohle verbautes Feature, mit dem Mizuno sein Dämpfungs-, aber auch Vortriebskonzept umschwurbelt. "Brand-Voodoo" zur Betonung der Alleinstellungsmerkmale gehört überall dazu. Hier ist es eine – bewusst respektlos gesagt – ziehharmonika- oder wellblechgeformte und in der Zwischensohle verbaute "Energy Wave", die gleichzeitig für Stabilität, aber auch Kraft sorgt.

Die Schuhe? Der "Rider" ist das, was ich "die Golfklasse" nenne. Ein Allroundschuh. So einen hat jede Marke. So einen sollte (markenunabhängig) jeder und jede daheim haben: Wenn ein Golfklasse-Schuh zum Fuß passt, kann man damit nicht viel falsch machen. Man läuft angenehm, leicht, locker und lang – aber auf die Suche nach Bestzeiten sollte man sich damit halt nicht machen.

Foto: Tom Rottenberg

Dafür gibt es andere Modelle. Etwa den "Wave Rebellion": Leicht und reduziert – und für mich persönlich jener Kompromiss aus Dämpfung und Dynamik, mit dem ich zügig weit ebenso wie knackig kurz (innerhalb meiner Bereiche natürlich) laufen kann. Die "Golfklasse" ist komfortabler – aber auch behäbiger.

Den von Mizuno ebenfalls als Temposchuh vorgelegten "Wave Shadow" zog ich nach fünf Minuten wieder aus: Sohle und der "Bumms" im Abdruck waren zwar ein Hammer – aber im Vorderteil schwammen meine Zehen. Das Obermaterial war zu lose, ich kam mit dem Schuh schlicht nicht zurecht.

Andere jubelten: "Boah, ich habe mich noch nie so schnell gefühlt!"

Preisfrage: Ist der "Rebellion" der "bessere" Schuh?

Aber ich greife sogar damit zu weit: Zurück in Wien lautete die erste Frage prompt: "Ich brauche neue Schuhe. Ist Mizuno gut?"

Foto: Tom Rottenberg

Das Spiel lässt sich natürlich genauso mit anderen Brands spielen. Salomon zum Beispiel ist im Gelände, auf dem Trail, eine Macht. Doch obwohl alle Straßenmarken versuchen, auf dem prestigeträchtigen Trail Fuß zu fassen, ist unbestritten, dass der große Markt die Straße ist. Dass Salomon deshalb seit Jahren Asphalt-Ambitionen zeigt, ist nachvollziehbar. Dass die Franzosen aber – speziell im High-Performance-Bereich – noch nicht auf dem Niveau sind, auf dem sie im Gelände seit Jahrzehnten spielen, ist bekannt.

Umso aufmerksamer wurde der "Phantasm" begutachtet, als er von Salomon im Rahmen von "Wings for Life" (Salomon ist Schuh-Sponsor) verteilt wurde: leicht, superleicht. Eine Sohle, die auf den ersten Schritt "Vollgas!" ruft. Von der Passform, Dynamik und Co schwärmen mein Coach, seine Frau und noch etliche andere Leute seit der ersten Minute.

Foto: Tom Rottenberg

Ich habe den "Phantasm" nach eineinhalb Stunden ausgezogen: Fürs Laufen mit einer eher gemütlichen Gruppe ging es. Aber beim anschließenden Intervalltraining wurde das zunächst leichte Scheuern an der Außenseite der linken kleinen Zehe bald unangenehm. Nur an dem einen kleinen Punkt. Obwohl der Schuh sogar mich nach vorn katapultierte, wie ich es sonst nur eher selten erlebe: Das geht nicht.

Die Vereinskollegin, der ich ihn zum Probieren weiterreichte (siehe voriges Bild), wollte ihn gar nimmer zurückgeben.

Ich entriss ihn ihr trotzdem – und foltere den wehrlosen Schlapfen seit ein paar Wochen mit einem Schuhstrecker. Manchmal hilft das.

Aber auch wenn nicht, lautet meine Antwort auf die unvermeidliche Frage, ob das denn "ein guter Schuh" sei: "Ja, wenn er dir passt. Aber das findest du nicht durch meine Erzählung heraus."

Foto: Tom Rottenberg

Manchmal geht es aber nicht nur ums Passen, sondern auch ums "Derrennen". Womit wir bei den derzeit so angesagten Carbon-Schuhen wären. Dass diese wie Sprungfedern wirkenden Inlays in den Sohlen schneller machen, ist unbestritten. Auch wenn vernünftige Köpfe vollkommen zu Recht fragen, was einem Läufer meiner (oder einer noch langsameren) Klasse drei oder fünf Sekunden am Kilometer tatsächlich an Mehrwert bringen, kaufen viele, wirklich viele gern dieses Gefühl von Ermächtigung und Speed. Und sei es nur durch den Look.

Nur: Dass diese Tempomacher halt auch ganz andere Belastungen für Waden und Achillessehnen bedeuten, bedenken die, die es am meisten betrifft, oft nicht.

Foto: Tom Rottenberg

Ich kenne mich. Ich weiß, dass ich mit so einem Schuh etwa 25 Kilometer souverän schaffe. Für jemanden mit meinem Gewicht und meiner Technik ist das eh viel: Wings for Life lief ich daher mit dem "On Cloudboom Echo" – über die Marathondistanz (der Schuh wird ja als "Marathonschuh" beworben) hätte ich mich damit aber nicht getraut.

Dafür gibt es aber auch im Land der hippen Schweizer andere, mehrheitstauglichere Schuhe – etwa den "Cloudmonster". Das Brand-Voodoo (hier bei einer Präsentation im Wiener RunINc-Shop) framt ihn als "komfortabel" – aber nicht für den "langen Wettkampf".

Bei mir steht er genau dafür aber ganz oben auf der Liste. Obwohl ich lange mit "Straßen-Ons" Probleme hatte – und weiß, dass es vielen Läuferinnen und Läufern mit dem Schweizer Konzept von "Running on Clouds" immer noch so geht.

Wo Sie da dazugehören, werden Sie durchs Lesen allein aber nicht herausfinden.

Foto: Tom Rottenberg

Das gilt natürlich genauso für jenen Schuh, den ich vor ein paar Wochen beim Traunsee-Halbmarathon ausprobierte: Die Jungs im Donaustädter Wemove-Laden schupften mir Sauconys "Endorphine Speed 3" wenige Tage vor dem Bewerb und noch vor offiziellem Verkaufsstart zu. Abgesehen vom Anprobieren im Shop und einer Aufwärmrunde war der Schuh beim Bewerb noch "jungfräulich": Dass so was richtig danebengehen kann, ist kein Geheimnis – gerade bei einem Schuh, der "beinahe" eine Carbon-Sohle besitzt.

Beinahe? Ja: Die Speed-Serie hat "nur" eine Nylonplatte verbaut. Verleiht auch Bumms – aber halt nicht ganz so brutal. Können sollte man dafür trotzdem was.

Foto: Tom Rottenberg

Manchmal nutzt aber auch Routine nichts: Von Joe Nimble hatte ich, bis mich die PR-Leute des Labels im März anschrieben, noch nie gehört.

Die Idee, Füße – insbesondere Problemfüße wie meine – via App zu vermessen und dann die dazu passenden Laufschuhe anzufertigen, klang spannend. Perfekte Zehenfreiheit, keine Scheuer- oder Druckstellen, keine Blasen – und ein perfektes Lauf-Abrollerlebnis: Die "Pain-Free Stories" auf der Label-Homepage sprachen eine klare Sprache. Dass der "Ultreya" aufgrund von Lieferkettenproblemen lange auf sich warten ließ, irritierte mich nicht. Dass er mit 390 Gramm ein Schwergewicht ist, auch nicht: Es geht um Funktionalität – und beim ersten Reinschlüpfen hatten sich meine Zehen tatsächlich richtig wohlgefühlt.

Foto: Tom Rottenberg

Ich bekomme auf "zivilen" Distanzen fast nie Blasen oder scheuere mir die Füße wund – obwohl ich ein recht gut erkennbares Überbein habe. Im Joe Nimble dauerte das Vergnügen letzten Donnerstag aber keine halbe Stunde: Ich lief Hügelintervalle nach und in Schönbrunn, also unterschiedliche Tempi, Böden und Geländeformen. Nichts, was ich nicht schon 1.000-mal gemacht hätte.

Nach 30 Minuten waren beide Fersen offen (hier im Bild). Ich stopfte Taschentücher in die Socken. Nach 45 Minuten gab ich auf – beide Fersen waren blutig.

Foto: Tom Rottenberg

Zu Joe Nimbles Ehrenrettung: Am Wochenende zuvor war ich im Bregenzer Wald in harten Radschuhen immer wieder über teils schwieriges Gelände marschiert. Ich hatte die hinteren Ränder der Bike-Schuhe an der Ferse durchaus gespürt. Unangenehm bis schmerzhaft.

Nur: Sonntag, Dienstag und Mittwoch war ich auch laufen. Ohne irgendwelche Probleme.

Dennoch würde ich nicht sagen, dass der Schuh oder die Idee dahinter per se schlecht ist. Im Gegenteil. Nur: Zu meinen Füßen passt Joe halt nicht – und nur darum geht es bei der Suche nach dem richtigen Laufschuh. (Tom Rottenberg, 12.7.2022)


Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Schuhe wurden und werden von Herstellern zu Test- und Rezensionszwecken zur Verfügung gestellt und werden danach in manchen Fällen retourniert, meist jedoch weiterverwendet oder karitativ weitergegeben.


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Foto: Tom Rottenberg