Mithilfe von viel Rechenleistung und Big-Data-Werkzeugen untersucht Astrophysiker David Hogg unsere Heimatgalaxie.
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Wie kaum eine andere Wissenschaftsdisziplin operiert die Astronomie mit riesigen Datenbergen. Unerlässlich dabei sind seit vielen Jahren maschinelles Lernen und Algorithmen. David Hogg, Professor für Physik und Data Science an der New York University, beschäftigt sich mit dem Einsatz dieser Technologien in der Astrophysik und hielt dazu vergangene Woche einen Vortrag in der Urania auf Einladung der Forschungsplattform Data Science der Universität Wien.

STANDARD: Die Astronomie hat maschinelles Lernen früher eingeführt als andere Wissenschaftsdisziplinen. Wie kam es dazu?

Hogg: Maschinelles Lernen spielt eine große Rolle bei vielem, was wir in der Astronomie tun: Im Grunde basieren alle astronomischen und kosmologischen Experimente darauf. Der Grund, warum es in der Astronomie so früh zum Einsatz kam, hat damit zu tun, dass wir eine der ersten wissenschaftlichen Disziplinen waren, die mit Big Data gearbeitet hat.

Maschinelles Lernen ist besonders hilfreich, wenn man in Situationen ist, wo man sich um bestimmte Aspekte kümmert und andere vernachlässigen kann – etwa wenn man die Doppler-Verschiebung von Galaxien messen will, aber keine weiteren Eigenschaften. In solchen Situationen sind wir in der Astronomie sehr oft. Aber auch große Tech-Konzerne arbeiten in solchen Situationen mit maschinellem Lernen, etwa wenn es darum geht, Objekte in Fotos oder Videos zu erkennen.

STANDARD: Die Astronomie und auch Tech-Konzerne sind bekannt dafür, mit großen Datenmengen zu arbeiten. Haben wir derzeit mehr Daten zu Menschen auf der Erde oder über die Sterne in der Milchstraße?

Der US-Astrophysiker David Hogg sprach zuletzt in Wien über Big Data in der Astronomie.
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Hogg: Das ist eine gute Frage! Ich persönlich würde annehmen, dass mehr private Daten für kommerzielle Zwecke analysiert werden, als die Gesamtheit der astronomischen Daten ausmacht. Aber die Astronomie produziert dennoch einen der größten Datenberge, die wir haben.

STANDARD: Maschinelles Lernen ist sehr hilfreich dabei, große Datenberge zu analysieren. Aber können Algorithmen auch dazu eingesetzt werden, herauszufinden, wonach es sich überhaupt zu suchen lohnt?

Hogg: Meine Sichtweise bezüglich dieser Frage ist wahrscheinlich etwas kontroversiell. Ich bin der Ansicht, dass maschinelles Lernen zu keinem Durchbruch geführt hat, was unser Verständnis angeht. Es hat zwar eine Rolle gespielt, weil es eingesetzt wurde für Projekte, die zu unserem Verständnis von Dunkler Materie und der Expansion des Universums geführt haben. Aber der eigentliche Durchbruch kam aus der Physik, durch sehr einfache, präzise physikalische Modelle. Es gibt heute viele Leute, die daran arbeiten, maschinelles Lernen interpretierbar zu machen und Erkenntnisse daraus zu gewinnen. Aber aus meiner Sicht ist das in der Astronomie noch nicht gelungen.

STANDARD: Wird maschinelles Lernen in der Zukunft wissenschaftliche Erkenntnisse hervorbringen?

Hogg: Die Art von maschinellem Lernen, die derzeit verwendet wird, ist wie eine Blackbox, die uns erlaubt, große Datenmengen zu analysieren. Obwohl das noch Science-Fiction ist, denke ich aber, dass wir eines Tages intelligente Maschinen entwickeln werden. Das scheint zwar derzeit noch nicht greifbar, ist also nicht in der nahen Zukunft zu erwarten, aber langfristig wäre das sehr interessant.

STANDARD: Sie engagieren sich stark in Citizen-Science-Projekten. Was fasziniert Sie, wenn sich Laien in wissenschaftlichen Projekten einbringen?

Hogg: Ich mag den Begriff Citizen-Science nicht so gerne, für mich trifft es besser die Bezeichnung Amateur in der ursprünglichen lateinischen Bedeutung: Liebender und Freund. In der Astronomie gibt es viele Projekte, in denen Amateure einen Beitrag leisten, um astronomische Objekte zu kategorisieren. Noch mehr interessieren mich aber Initiativen, bei denen Amateure ihre eigenen Projekte entwickeln und durchführen können.

Durch die Gaia-Mission wurde vor wenigen Wochen der größte Datenschatz über unsere Milchstraße zugänglich gemacht. Für David Hogg ist das "der wichtigste astronomische Beitrag Europas seit langem".
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STANDARD: Sie sind auch mit der Gaia-Mission der europäischen Weltraumorganisation Esa befasst, durch die das umfangreichste Datenpaket zur Milchstraße gesammelt werden konnte. Was ist Ihre Aufgabe dabei?

Hogg: Ich habe nur eine bescheidene offizielle Aufgabe bei Gaia: An meinem Institut in New York stellen wir unsere Rechenleistung zur Verfügung. Ich finde, Gaia ist eine wunderbare Mission, meiner Meinung nach ist das der wichtigste astronomische Beitrag Europas seit langem. Es liefert die besten Daten zu Sternen, die die Menschheit je zur Verfügung hatte.

STANDARD: Nicht nur Gaia befindet sich am Lagrange-Punkt L2, sondern auch das James-Webb-Weltraumteleskop. Welche der beiden Missionen finden Sie spannender?

Hogg: Was mein eigenes Forschungsfeld angeht: Gaia. Webb ist das bessere Instrument, aber was die Messdaten angeht, hat Gaia mehr zu bieten. (Dorian Schiffer, Tanja Traxler, 16.7.2022)