In der Obersteiermark kann man einen Blick in die potenzielle Zukunft der Stahlproduktion werfen: In einer Anlage in Donawitz wird die Stahlerzeugung mittels Wasserstoffs erprobt.

Möchte man sich zur Entspannung in die Berge zurückziehen, ist die Obersteiermark der richtige Platz dafür. Den Menschen, die zwischen den Seen des Salzkammerguts, den hoch aufragenden Mauern des Gesäuses und dem traditionsreichen Erholungsraum am Semmering ihren Alltag bestreiten, stehen allerdings weniger entspannende, von großen Veränderungen geprägte Zeiten bevor.

Besonders viele Jobs hängen hier an der Stahlindustrie, die sich in den kommenden Jahrzehnten gewaltig wandeln muss, um CO2-neutral zu werden. Wie in vielen anderen Regionen Europas, die durch Bergbau, Industrie oder Kraftwerksbetrieb ebenfalls von fossilen Energieträgern abhängig sind, wird dies mit enormer wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Veränderung einhergehen.

Ambivalentes Bild der Obersteiermark

Im EU-Projekt Entrances ("Energy transitions from coal and carbon: effects on societies") sehen sich Forschende aus ganz Europa diese Transformationsprozesse genauer an. 13 Fallstudien werden dabei in Deutschland Norwegen, Polen, Italien, Rumänien, der Slowakei, Spanien, Großbritannien und Österreich durchgeführt. Zu den sieben untersuchten Kohlebergbauregionen gehört etwa der polnische Teil Schlesiens – das größte Steinkohleabbaugebiet der EU.

Zu den sechs CO2-intensiven Industriegebieten im Projekt zählen neben der Obersteiermark auch Brindisi, das mit seinen Kraftwerken etwa ein Drittel des aus Kohle produzierten Stroms Italiens bereitstellt, oder die Region um Stavanger, die lange als die Öl-Hauptstadt Norwegens galt.

Hintergrund der Forschung

Das für die Studie verantwortliche Konsortium besteht aus Forschungsteams in allen beteiligten Ländern. In Österreich ist das Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) in Wien mit an Bord. Manfred Spiesberger und Martina Lang untersuchen hier nicht nur die Transformation der Obersteiermark, sondern verantworten auch die Entwicklung der methodischen Herangehensweisen im Projekt, das über alle 13 Regionen hinweg vergleichbare Erkenntnisse schaffen soll.

In Stavanger sind viele Menschen in der Ölindustrie beschäftigt – noch.
Foto: APA/AFP/NTB Scanpix/CARINA JOHAN

Fokusgruppen-Diskussionen, Workshops, Umfragen und die Analyse von Texten, die regionale Entwicklungen widerspiegeln, werden eingesetzt. "Wir kombinieren wirtschaftliche, technische, ökologische, kulturelle und sozialpsychologische Perspektiven, um die Bewältigungsstrategien der lokalen Gesellschaften im Zuge der Energiewende zu untersuchen", resümiert Spiesberger.

Ein erstes Bild, das sich durch die noch nicht gänzlich abgeschlossene Studie von der Obersteiermark ergibt, ist facettenreich und in vielen Aspekten ambivalent. "Die Industrie floriert in der Region, Fachkräfte werden gesucht – und nicht nur in der Stahlerzeugung der Voestalpine. Beispielsweise gibt es auch ein neues Leiterplattenwerk von AT&S bei Leoben. Eine wichtige Frage für viele Menschen hier ist, warum es dennoch einen Bevölkerungsrückgang und Abwanderung gibt", skizziert Lang ein zentrales Spannungsverhältnis.

Emotionale Bindung an Region

"Unsere Umfragen ergaben dazu, dass zwar die emotionale Bindung der Obersteirer an ihre Heimat sehr stark ist, eine Verwurzelung und Abhängigkeit von diesem Ort aber deutlich niedriger eingeschätzt wird", erklärt Spiesberger erste Studienergebnisse.

Der Einwohnerrückgang ist nicht nur der Abwanderung geschuldet. Die Bevölkerung ist überaltert, den Sterbefällen stehen zu wenige Geburten gegenüber. Zusätzlich verstärken aber wohl die bestehenden Wohnangebote, die von einem unattraktiven Altbestand aus der Nachkriegszeit geprägt sind, den Abzug, erklärt ZSI-Forscherin Lang.

Gerade in der Stahlindustrie sind zudem häufiger Männer beschäftigt, die hier auch gut verdienen. Die Einkommensschere zwischen den Geschlechtern geht deshalb hier auch besonders weit auf, was Frauen eher zur Abwanderung motivieren könnte.

Imageproblem aus den 1980er-Jahren

Dazu kommen Altlasten aus einer Zeit, in der es der lokalen Industrie weniger gutging. "Die Obersteiermark leidet bis heute unter dem schlechten Image, das im Zuge der Verstaatlichten-Krise in den 1980er-Jahren entstand, das aber der heutigen Realität nicht mehr entspricht", sagt Spiesberger.

Vorsichtige Anzeichen einer Energiewende sind hier durchaus zu bemerken. Bei Wasserkraft, Biogas und Windkraft ringt man um umweltverträgliche und anrainerkompatible Standorte. Beim großen Brocken der Stahlindustrie fehlt es noch an technischen und ökonomisch konkurrenzfähigen Lösungen, die die Nutzung von Koks oder Erdgas ersetzen.

Eingebettet in die schöne steirische Landschaft liegt die zukunftsweisende Stahl-Versuchsanlage in Donawitz.
Foto: Voestalpine

Immerhin entstand in Donawitz bei Leoben, wo mit dem Stahlwerk der Voestalpine einer der größten CO2-Emittenten des Landes beheimatet ist, auch eine Versuchsanlage, die zur Entwicklung einer neuartigen Wasserstoff-Plasmatechnologie zur klimaneutralen Herstellung von Rohstahl dient.

Schleppender Ausbau der Erneuerbaren

"Die Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung der Obersteiermark die Energiewende nicht ablehnt", erklärt Lang. Bei den Gründen, warum der Erneuerbaren-Ausbau dennoch nur schleppend läuft, nannten regionale Entscheidungsträger, die im Zuge der Studie ebenfalls befragt wurden, Altbekanntes: die vor dem Ukraine-Krieg zu niedrigen Energiepreise, die anhaltende Förderung fossiler Energien oder mangelnde Anreize zum Energiesparen. Dazu kommen langwierige Verfahren bei Energieprojekten und ein Mangel an einschlägig geschultem Personal.

"Eine wichtige Rolle bei der Energiewende wird den regionalen Entwicklungsagenturen zugestanden, die Projekte fördern und regionale Organisationen vernetzen", betont Spiesberger. "Kritisch wird in unseren Erhebungen dagegen die mangelhafte Koordination zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Bundesländern zur Energiewende gesehen." Ein Endbericht mit einem Überblick über alle 13 Studien im Projekt soll im Herbst vorliegen. (Alois Pumhösel, 18.7.2022)