Über Geschlechterpolitik reden, aber etwas anders als bisher.

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Seit in Deutschland der Entwurf zum neuen "Selbstbestimmungsgesetz" vorgestellte wurde, das das 40 Jahre alte "Transsexuellengesetz" ersetzen soll, ist erneut eine Genderdebatte "hochgekocht". Menschen sollen ohne psychologische Gutachten ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern können. Anders als mit "hochkochen" lässt es sich nicht beschreiben, denn sobald es Geschlechterpolitik betrifft, geht es offenbar nicht anders. Hochkochen, Lagerbildung und somit zwei Seiten. Zwei Seiten, in denen die einen viele Angstszenarien kreieren und Missverständnisse befeuern und die anderen keine Nachfragen hören wollen und jede davon als transfeindlichen Angriff deuten. Wobei: In der österreichischen und auch deutschen Medienlandschaft sind von ersterer Seite wohl mehr sicht- und hörbar.

Doch wie auch immer: Beide Seiten verzerren die Debatte gewaltig. Wo sind etwa die Stimmen von jenen Trans-Frauen, für die feministische Räume nur für Cis-Frauen kein Problem sind– und die nur wissen wollen, woran sie sind? Die gibt es ebenso wie Trans-Frauen, die sich in der Umkleidekabine für Frauen nicht wohlfühlen, weil Umkleidekabinen oder Toiletten in der aktuellen Debatte quasi zu dem Tatort schlechthin für sexualisierte Übergriffe durch Trans-Frauen gemacht werden. Es sind nüchterne Berichte über einen anstrengenden Alltag in einer zweigeschlechtlich organisierten Welt. Ohne Aufregung, ohne Vorwürfe. Dafür interessiert man sich kaum.

Und wo sind die Stimmen jener, die fragen, wie wir mit den bisher entwickelten Gleichstellungsmaßnahmen – zum Beispiel Frauenförderprogramme auf dem Arbeitsmarkt – umgehen wollen? Das sind wichtige Fragen, die wir diskutieren sollten, und viele wollen das ganz ohne Angriffsmodus auf Trans-Personen tun. Denn es kann nicht im Sinne von intergeschlechtlichen Menschen oder Trans-Frauen sein, sich von Fall zu Fall allein durchzukämpfen.

Es sind zweifelsohne große Fragen, die aufkommen, wenn wir Geschlecht anders als bisher denken sollten – wovon wir im Übrigen noch weit entfernt sind. Misstrauen allem Neuen gegenüber wird uns bei den Antworten auf diese Fragen nicht weiterhelfen. Und ebenso wenig eine Haltung, die rein auf ein Gefühl von moralischer Überlegenheit baut. Für den Anfang könnten diese drei Vorschläge helfen, damit es nicht mehr ständig "hochkocht", sondern damit gemeinsam nachgedacht wird und Perspektiven erweitert werden.

1. Soziale Medien verzerren

Social-Media-Debatten sind der maximal aggressive, aber nur sehr kleine Ausschnitt zu einem Thema. Dieser Punkt ist keine Überraschung, wird aber trotzdem gerne ignoriert. Ja, Twitter bringt massenhaft wichtige Information niederschwellig zu uns. Insbesondere bei der Debatte um Trans-Rechte läuft aber vieles schief. Zum Beispiel wenn feministische Veranstaltungen von Accounts für angeblich transfeindliche Redebeiträge fertiggemacht werden – wie gesagt, auf Twitter und nicht von Angesicht zu Angesicht.

Insbesondere feministische Veranstaltungen müssen Diskussionen zu ihrer Einladungspolitik durchkauen, da hilft nichts. Wenn immer dieselben dort Platz finden und andere kaum bis nie, dann ist das berechtigte Kritik. Auf Twitter läuft es allerdings gern so, dass massig seltsame Accounts koordiniert und hasserfüllt loslegen. Das sind nichts anderes als Trolle, und von ihnen gibt es bei Genderdebatten viele. Sie zerstören gezielt Diskussionen, und wir sollen sie daher nicht als Beleg dafür nehmen, wie aggressiv diese aktuelle Debatte verlaufe. Diese Accounts und die Leute dahinter wollen geschlechterpolitische Debatten offenbar als völlig durchgeknallt darstellen. Deshalb ist es wichtig, hier genauer zu schauen, bevor wir Trolle als "Trans-Aktivistinnen" bezeichnen, wie es immer wieder geschieht.

2. Sprache darf nicht zur Waffe werden

Zweiter Vorschlag: Die von Feminist:innen angeregte Sprach- und Diskurspolitik der letzten Jahrzehnte war um Inklusion bemüht, verkehren wir sie doch deshalb nicht in ihr Gegenteil – und das gilt für beide polarisierte Seiten. So wird dort der Einsatz für Trans-Rechte pauschal als "sektenartig" beschrieben und Genderdebatten werden mit "Religionskriegen" verglichen. Dass plötzlich ein paar wenige der Mehrheit vorschreiben wollen, was sie zu tun und zu sagen hätten. Demokratiepolitisch sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass eine Mehrheit nicht über eine diskriminierte Minderheit bestimmen sollte. Einer kleinen, lange ungehörten Gruppe reine Aggression und Herrschaftsansprüche unterstellen– das muss doch bitte nicht sein.

Apropos "Krieg". Schon seit Ewigkeiten wurden jegliche gleichstellungspolitische Forderungen mit einer martialischen Sprache assoziiert, um ihr so maximale Aggressivität zu unterstellen. Das ist nichts Neues, doch bei allem, was sich erfolgreich durchgesetzt hat, wird das gern vergessen. Stichwort Frauenwahlrecht oder auch Frauen inkludierende Sprache. So hieß es kürzlich in einem Beitrag im "Profil": Was "harmlos mit einem Binnen-I zur Sichtbarmachung der Frauen begonnen hat, endet mit der Streichung des Wortes 'Frau', um die Transsexuellen nicht zu kränken." Doch "harmlos" stimmt so nicht. Auch die Argumente für ein Binnen-I wurden mal als "unsägliche Zensurversuche", als "Geschlechterkrampf" und "Tugendterror" bezeichnet. Über Jahre hinweg, und wenn es um andere gendergerechte Schreibweisen geht, hören wir das bis heute. Diese Kontinuität in Geschlechterdebatten sollten wir nicht vergessen. Früher hieß es sinngemäß, bei jedem generischen Maskulinum würden Feminist:innen ausflippen, jetzt wird gewarnt, wer "Frau" sagt, werde auf ewig als transphob gebrandmarkt. Vielleicht tun das Einzelne, es ist aber sicher nicht "die Entwicklung schlechthin" in der Debatte. Feministische Magazine und Aktivist:innen sprechen weiterhin von "Frauen", ebenso von Trans-Frauen – oder auch einfach mal von Menschen.

Bitte Geduld!

Sprachpolitisch läuft aber auch aufseiten einiger queer-feministischer Aktivist:innen oft etwas falsch. Im Übrigen ist das wohl bei vielen politischen Gruppierungen so, aber bleiben wir bei Geschlechterpolitik. Das Begriffsinstrumentarium in dieser hat sich vervielfältigt, das ist gut und dient der Beschreibung von vielem, wofür uns lange die Worte fehlten. Queer, inter, trans, nicht-binär oder dass viele Trans-Personen inzwischen "transsexuell" ablehnen und als "transident" bezeichnet werden wollen – wer sich hierbei (noch) nicht auskennt, wird oft zu schnell als ignorant abgetan. Doch viele dieser Begriffe basieren auf Geschlechtertheorien, auf den Thesen zu Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht. Deshalb, nein: Es ist nicht ignorant, sich damit nicht total auszukennen. Zumindest gilt das für Nicht-Journalist:innen, die keine öffentlichen Beitrage zur Genderdebatte schreiben, die sollten sich nämlich sehr wohl einlesen. Doch in Diskussionsbeiträgen auf Veranstaltungen oder auch eben in Sozialen Medien jemanden allein durch ein nicht vollumfänglich informiertes Wording am Krawattl zu packen – das ist akademische Hochnäsigkeit.

Denn es müssen auch jene mitreden, die bisher nicht die Möglichkeiten hatten, sich damit vertraut zu machen. Ein "falsches" Wort entscheidet noch lange nicht darüber, was und wem gegenüber man angeblich feindlich gesinnt ist, das wäre zu einfach. Gerade in linken Zusammenhängen erfahren viele Frauen, dass zum Beispiel ein politisch höchst achtsames Vokabular absolut nicht vor Machismo und übergriffigem Verhalten schützt.

Und schließlich noch zu dem Buzzword "Terf", also "trans-ausschließender radikaler Feminismus", das auch alles andere als optimal ist. Damit wird "transexkludierend" mit Feminismus in ein enges Verhältnis gesetzt – gerade so, als ob für Trans-Personen vorwiegend Feminist:innen das Problem seien. Sind sie nicht. Es sind nur wenige Feminist:innen, die Trans-Rechte und Inklusion von Trans-Frauen und nicht-binären Menschen ablehnen. Die eigentlichen Gegner:innen sind Rechtskonservative und religiöse Fanatiker:innen, sicher nicht Feminist:innen.

3. Auskenner:innen suchen

Und schließlich: Reden wir doch mit Expert:innen. Das wäre der dritte Vorschlag zur Güte. Sicher, wer Expert:in ist oder nicht, auch das steht zur Debatte. Das zeigt etwa die Ausladung der Humboldt-Universität in Berlin einer Rednerin, die mit einem offenen Brief gegen Aufklärung zu diversen Geschlechteridentitäten in "Die Welt" mit anderen Briefschreiber:innen polemisierte. Immer wieder hieß es, die Biologin sei "gecancelt" worden. Doch angesichts dessen, dass sie in einem vielbeachteten offenen Brief ein sehr traditionelles Geschlechterbild propagierte und das in einem reichweitenstark deutschen Medium veröffentlicht wurde, scheint "Canceling" wohl die falsche Beschreibung zu sein. Aber gut, über Ein- und Ausladungen soll man streiten können. Ihr Geschlechterbild beschreibt die Biologin auf Twitter übrigens so:

Richtig, jetzt wird hier gleich mal Punkt 1 torpediert. Ein Tweet wird herangezogen, um jemandem Expertise abzusprechen. Wir sehen, es ist verzwickt. Aber auf der Suche nach seriösen Expert:innen lässt sich bestimmt jemand finden, der sich – nun ja – differenzierter ausdrückt.

Ein Missverständnis über Expertise ist aber auch, dass jede:r Betroffene gleich Expert:in ist. Wer trans oder inter ist, kann sich trotzdem noch kaum mit Geschlechtertheorie auseinandergesetzt haben und muss auch nicht zwangsläufig Ahnung von den bisherigen Gleichstellungskämpfen der Frauenbewegungen haben. Wer aber um gewinnbringende und konstruktive Beiträge bemüht ist, muss diese Geschichte im Blick behalten, ebenso wie die Berichte von Trans-Personen über ihre alltäglichen Erlebnisse mit Hass, Argwohn und Ausgrenzung.

Alle ansprechen

Finn Mackay vom Institut für Soziologie an der Universität in Bristol kennt sich zum Beispiel bestens aus. Zu der immer lauter werdenden Sorge, man dürfe ja kaum noch "Frau" sagen, meint Mackay: Die Geschichte der Unterdrückung von Frauenkörpern ist wichtig, und sie dürfe nicht vergessen werden, weshalb es auch zentral sei, weiter von Frauen zu sprechen. Einerseits. Andererseits: Wenn etwa eine medizinische Einrichtung ein Vorsorgeservice für Gebärmutterhalskrebs anbiete, dann müsse sie alle ansprechen, die einen Gebärmutterhals haben. Und das sind nun mal auch nicht-binäre Menschen und Trans-Männer. Klingt einfach, ist es in der gesellschaftlichen Praxis natürlich nicht. Aber weniger "Hochkocherei" und mehr Interesse an Inhalten, das wäre schon mal was. (Beate Hausbichler, 14.7.2022)