Marilyn Manson soll mehrere Frauen schwer missbraucht haben, darunter die Schauspielerin Rachel Evan Wood.

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Rachel Evan Wood in der zweiteiligen HBO-Dokumentation "Phoenix Rising" auf Sky.

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Erinnerungen können wehtun. "Ich könnte heulen", sagt Evan Rachel Wood beim Durchblättern ihrer Tagebücher. Ein Foto mit einem jungen Mann. "Damals war alles noch okay", sagt sie und beginnt zu weinen. "Erst, als ich meine alten Tagebücher las, wurde mir klar, was da passiert ist."

Was passiert ist, zeigt die zweiteilige Dokumentation "Phoenix Rising" von HBO, zu sehen auf Sky. Es ist die Geschichte von Woods Missbrauch durch den Popstar Marilyn Manson, der sie mutmaßlich schlug, vergewaltigte, sie mit Schlaf- und Nahrungsentzug folterte, mit Drogen gefügig machte und ihr mit Mord drohte. Wood führte eine Beziehung mit Manson. Es ist die unfassbare Geschichte häuslicher Gewalt und deren Befreiung. Die Schauspielerin gründete die Phoenix Act Coalition, mit der sie sich für Opfer häuslicher Gewalt einsetzt. Mit ihrem Einsatz brachte sie eine gesetzliche Verlängerung der Verjährungsfrist für Vergehen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt von bisher drei auf fünf Jahre durch. Regie in der Dokumentation "Phoenix Rising" (deutscher Titel: "Wie Phönix aus der Asche") führte Amy Berg. Die US-Amerikanerin war bereits mit einem Film über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche für den Oscar nominiert.

Opferschutz

Es geht Wood also nicht nur um persönliche Genugtuung, sondern um den Schutz der Opfer, die überall viel zu wenig gehört werden. Die Details in dieser Doku sind verstörend und schockierend. Sie zeichnen das Bild eines irren Rockstars, der sich in der Rolle des Außenseiters gefiel und in seinem Wahnsinn vor keinem Missbrauch zurückschreckte.

Im März, als "Phoenix Rising" im Original in den USA Premiere hatte, klagte Manson, der mit bürgerlichem Namen Brian Warner heißt gegen Wood. Der Vorwurf lautet Verleumdung und Verschwörung. Manche sehen bereits den nächsten Prozess im Stil von Amber Heard und Johnny Depp.

Wie Heard v. Depp?

Im Unterschied zum viel beachteten Rechtsstreit der beiden Hollywoodstars ist der Missbrauchsfall Wood vs. Warner durch den Film bestens dokumentiert. Der amerikanische "Rolling Stone" hat monatelang recherchiert und weitere Opfer befragt. Mindestens sieben Frauen erheben Vorwürfe gegen Manson, darunter die Schauspielerin Esmé Bianco ("Game of Thrones"). Diese Frauen berichten von Vergewaltigung, Schläge, Morddrohungen, Stromschlägen und psychische Gewalt. Das Los Angeles County Police Department ermittelt. Anklage wurde von offiziellen Stellen noch nicht erhoben.

Berg begleitete Wood zwei Jahre, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Schauspielerin zum ersten Mal Mansons Namen in einem Post nennt. Bis dahin hatte sie bereits öffentlich über das ihr Angetane gesprochen, aber ohne Namen zu nennen.

Plumpe Anmache

Es beginnt mit Woods Kindheit in einer Schauspieler-Familie. Das häusliche Umfeld erlaubte beides, Kreativität und Freiraum, aber eben auch heftige eheliche Kämpfe, bei denen es Gewalt gab. Die Mutter zog aus und floh nach Los Angeles, der geliebte Bruder blieb in North Carolina. Ein schmerzlicher Verlust.

Die Anmache Mansons ist so plump wie bei einem Schülerball. "Nicht hinfallen", sagt Manson, der Star zur damals 18-jährigen Jungschauspielerin in einer Bar. Aus dem Kennenlernen wird innerhalb kürzester Zeit Besessenheit. "Ich verfiel dem Marilyn-Manson-Kult." Wood ritzt sich ein M neben ihre Vagina, trinkt Blut. Auch sie fühlt sich als Außenseiterin und darin von ihm bestärkt: "Ich hatte das Gefühl, dass mich endlich jemand versteht."

Auf der Bühne fließt Theaterblut

"Verführerisch, frei, sexy, klug und kunstvoll", so erlebt Wood den Popstar am Anfang. Manson provoziert mit Aussehen, Aussagen, Nazi-Symbolik und aktionistischen Auftritten. Auf der Bühne fließt viel Theaterblut, Manson präsentiert sich als Hitler-Karikatur, zerreißt die Bibel und wischt sich den Hintern mit der amerikanischen Flagge. Abseits davon findet sehr reale Gewalt statt.

Der Missbrauch begann bei Dreharbeiten zum Video Heart Shaped Glass, wo Manson Wood mit Absinth abfüllt und sie vor laufender Kamera vergewaltigt. Das war erst der Anfang. Das Team sei daneben gestanden und habe – peinlich berührt zwar, aber doch – zugesehen.

Grauenhaft und unfassbar

Was danach noch alles geschah, ist grauenhaft und unfassbar genug. Wahrhaft schauerlich sind zudem Auszüge aus einem Hörbuch Mansons, die den Wahn des Popstars belegen. "Er ist ein Wolf im Wolfspelz", sagt Woods Bruder. "Jeder sah nur Marilyn Manson, keiner sah Brian Warner."

Bleibt die große Frage: Warum hat sie sich das nur gefallen lassen? Mit dergleichen Unverständnis sind Opfer fast immer konfrontiert. Sie hätte ja einfach gehen können, heißt es dann. Doch so einfach ist es nicht, wie auch die Doku zeigt. Das wird auch in Woods Aussagen deutlich, durch die immer wieder Bewunderung dringt und fast auf eine Art Stockholm-Syndrom hindeuten. In Sozialen Medien wird sie von Manson-Fans wüst beschimpft. Welche Kraft es diese Frau kostet haben muss, sich zum Schritt in die Öffentlichkeit durchzuringen, kann man sich gar nicht vorstellen.

Ihrer Karriere tat dieser Schritt immerhin keinen Schaden. Nach der gefeierten Rolle in der HBO-Serie "Westworld" ist sie an der Seite Daniel Radcliffes im Biopic "Weird: The Al Yankovic Story" in der Rolle der Madonna zu sehen. (Doris Priesching, 14.7.2022)