Mit Blick auf den Herbst gibt es nicht nur die nächste Corona-Welle zu bedenken. Auch die Influenza könnte sich bemerkbar machen. Bei Infektionen parallel könnten zu Co-Infektionen führen.

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Schon vergangenen Winter war es für manche ein Schreckgespenst: Eine Influenzainfektion gleichzeitig mit einer Corona-Erkrankung. Und angesichts der Tatsache, dass aktuell die Influenzazahlen etwas über dem langjährigen sommerlichen Durchschnitt liegen, stellt sich die Frage der Gefährlichkeit einer solchen Situation erneut – vor allem auch mit Blick auf den Herbst.

Tatsache ist ja, dass die alljährliche Influenzawelle aufgrund der Covid-Maßnahmen in den vergangenen zwei Jahren mehr oder weniger komplett ausgefallen ist. Erst im späten Frühjahr, mit dem Wegfallen vieler Maßnahmen, hat es zumindest einige Fälle gegeben. Aufgrund dieser Ausgangssituation ist es wahrscheinlich, dass es in der kommenden Saison eine starke Influenzawelle geben wird – immer unter der Voraussetzung, dass es keine oder nur wenige Schutzmaßnahmen gibt und sich die Viren großteils ungebremst verbreiten können. Denn das Immunsystem wurde nicht geprimt, die Immunität ist zurückgegangen.

In diesem Meer an Befürchtungen gibt es nun eine zumindest begrenzt positive Nachricht: Eine Influenzainfektion könnte eine gleichzeitige Sars-CoV-2-Infektion hemmen. Zu diesem Ergebnis kommen zumindest Forschende vom Institut für Mikrobiologie der New York University in einer Studie im "Journal of Virology". Anhand von kultivierten Zellen und in einem Hamstermodell fanden die Wissenschafterinnen und Wissenschafter heraus, dass das Influenza-A-Virus die Vermehrung von Sars-CoV-2 in der Lunge beeinträchtigt – und dies auch noch mehr als eine Woche nach der Influenzainfektion.

Goldhamster mit Grippe

Es gab unterschiedliche Ausgangssituationen: Den Goldhamstern wurden beide Viren gleichzeitig verabreicht – oder zunächst nur ein Virus, das jeweils andere drei Tage später. Im Anschluss wurden die Tiere regelmäßig untersucht. Bei jenen Hamstern, die beide Viren gleichzeitig bekamen, waren die Sars-CoV-2-Lungentiter zum Teil niedriger als bei den Tieren, die nur mit dem Coronavirus infiziert waren. Wurden die Hamster dagegen zuerst mit Sars-CoV-2 infiziert, so hatte diese Infektion offenbar keinen Einfluss auf die Vervielfältigung der später eingebrachten Influenzaviren.

Die verminderte Replikation der Coronaviren nach einer Infektion mit dem Grippeerreger korrelierte laut den Autoren mit höheren Interferon-Spiegeln. Diese Botenstoffe kurbeln in Zellen die Produktion antiviraler Proteine an. Interferone sind Teil der angeborenen Immunabwehr gegen fremde Organismen und Stoffe. Insgesamt sei die Reaktion des Wirts auf beide Viren vergleichbar mit der auf eine Sars-CoV-2-Infektion allein, hieß es.

Die Studie könnte den Forschenden zufolge als Beispiel dafür dienen, wie eine Immunreaktion auf etwas Unverwandtes einen Schutz gegen Sars-CoV-2 bieten könnte. Zusammengenommen deuteten die Daten darauf hin, dass eine Co-Infektion von Sars-CoV-2 und Influenza wahrscheinlich nicht zu einer schwereren Erkrankung führt. Diese Erkenntnis steht im Gegensatz zu bisherigen Studien, wie etwa eine kürzlich im Fachjournal "The Lancet" erschiene, die bei Co-Infektionen mit beiden Erregern eher erhöhte Sterblichkeitsraten zeigt.

Native Immunantwort durch Interferone

Was bedeutet das nun konkret mit Blick auf den Herbst? Allgemeingültige Schlüsse für die reale klinische Situation sieht Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg, nicht: "Menschen sind keine Hamster. Ich würde mich nicht darauf verlassen, dass Co-Infektionen vergleichsweise harmlos verlaufen, auch wenn die Studie gute Daten liefert." Für gesicherte Aussagen brauche es pro- und restrospektive Studien am Menschen, man müsse auch Faktoren berücksichtigen wie den Impfstatus oder an welcher Covid-Variante man erkrankt sei. Die Studienautoren hatten ältere Virusvarianten verwendet.

Aber Becker bestätigt, dass es einen Effekt gibt, obwohl bisherige Studien eben eine höhere Sterblichkeit bei Co-Infektion zeigen: "Besonders interessant ist, dass selbst nach einer beendeten Influenzainfektion der dämpfende Effekt auf eine folgende Sars-Infektion zu beobachten ist. Denn die Grippe versetzt den Organismus des Hamsters quasi in einen antiviralen Status, bei dem nach der Infektion Interferon-stimulierte Gene hochreguliert werden. Für diesen antiviralen Status braucht es noch keine Antikörper. Es ist die natürliche Abwehrreaktion des Körpers auf fremde Organismen oder Stoffe. Diese native Immunantwort hemmt nach den Ergebnissen dieser Studie offenbar Sars-CoV-2 stärker, als es bei Influenza der Fall ist." Das könne daran liegen, dass Influenzaviren bekanntermaßen Proteine kodieren, die die zelluläre Immunantwort sehr effizient unterdrücken.

Und auch Ortwin Adams vom Institut für Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf betont, dass das beschriebene Phänomen, dass ein Virus offenbar zu verhindern versucht, dass ein zweites, anderes Virus in die Zelle eintreten kann, schon viele Jahrzehnte bekannt ist: "Man bezeichnet das als virale Interferenz. Dieser Begriff ist auch gleichzeitig Namensgeber für die dabei wirksamen Enzyme, die Interferone. Und vom Influenzavirus wissen wir, dass es eine starke Interferonantwort erzeugt. Es ist also durchaus plausibel, dass diese eine Sars-Cov-2-Infektion bremsen kann."

Vorsicht bei Älteren angesagt

In Bezug auf Prognosen für den Herbst gibt sich Adams aber zurückhaltend: "Es gibt eine alte Weisheit bei den Virologen: Nichts ist schwerer vorherzusagen als die nächste Influenzawelle. Es ist richtig, dass wir zurzeit ungewöhnlicherweise einige Influenzainfektionen sehen, das ist aber nicht vergleichbar mit einer richtigen Welle, wie wir sie aus früheren Jahren kennen. Influenza, RSV, Adenoviren und andere sind für die Jahreszeit auf erhöhtem Niveau, aber wir haben keine echte Welle."

Und er warnt davor, sich leichtfertig einer Co-Infektion auszusetzen, insbesondere Ältere oder immungeschwächte Menschen: "Beide Infektionen können bei den Risikogruppen zu schwerwiegenden Komplikationen und Tod führen. Von daher sollte man sich vor beiden Infektionen schützen und nicht darauf setzen, dass die beiden Viren sich gegenseitig neutralisieren. In Vorbereitung auf den Herbst und Winter sollte man sich beide Impfungen geben lassen."

Welcher Impfstoff das vor allem gegen Corona sein wird, ist noch fraglich. Virologe Becker empfiehlt: "Als Auffrischungsimpfung sollte man gegen Omikron eher auf einen der hoffentlich bald verfügbaren angepassten Impfstoffe setzen. Diese beruhen zwar auf der fast schon vollständig verdrängten Virusvariante BA.1, aber Impfstoffe basierend auf neueren Varianten wird es zeitnahwahrscheinlich nicht geben." (kru, 13.7.2022)