Trotz der harten Zeiten zeigt sich das Personal der Karma-Bar zumindest für einen Augenblick gutgelaunt.

Daniela Prugger

Barkeeper Alexander Haikovich lässt in die Karma-Bar mittlerweile nur noch Freunde hinein.

Daniela Prugger

Die Adresse der Karma-Bar sucht man im Internet vergeblich. Eine unscheinbare Kellertür, kein Hinweisschild, nur eine Türsprechanlage. Drinnen tönt aus den Boxen psychedelische Rockmusik, in der Luft hängt der Geruch von Räucherstäbchen, weiter hinten wird geraucht. Auf der Toilettentür kleben Antifa-Sticker, darunter steht "Migration is fancy" geschrieben. Mit ihren sowjetischen Möbeln, die vom Sperrmüll oder im Internet zusammengesucht und renoviert wurden, wirkt die Karma-Bar wie eine x-beliebige Hipster-Kneipe. Doch für Linke, Künstler und Intellektuelle aus der belarussischen Diaspora ist die Underground-Bar noch immer einer der wichtigsten Treffpunkte in Kiew.

"Wir lassen mittlerweile nur noch Freunde herein", sagt Alexander Haikovich, der 31-jährige Barkeeper. Mit einem Glas Limonade in der Hand zeigt er die Räume, die in den vergangenen Monaten keine Partygäste, sondern humanitäre Hilfsgüter und freiwillige Helfer beherbergt haben. Doch obwohl das Leben langsam wieder nach Kiew zurückkehrt, bleibt die Karma-Bar weiterhin geschlossen.

Seit Kriegsbeginn wird belarussischen und russischen Staatsbürgern das Betreiben von Unternehmen erschwert: Die Bankkonten wurden im Februar eingefroren – offiziell, um die Finanzierung von terroristischen Aktivitäten zu bekämpfen. "Ich habe dafür Verständnis. Es herrscht Krieg. Aber das hier ist nur eine Bar, und seit mehr als vier Monaten wurden keine Mechanismen geschaffen, damit Leute wie wir aus dieser Situation herauskommen", so Haikovich.

Mit offenen Armen empfangen

Infolge der Proteste gegen die Regierung und Präsident Alexander Lukaschenko kam er als einer von mehr als 10.000 Belarussen im Jahr 2020 in die Ukraine. Damals, sagt er, wurden jene, die sich gegen das brutale Regime in Minsk gestellt haben, hier noch mit offenen Armen empfangen. In Kiew überwogen das Verständnis und die Sympathie füreinander. Damit war die Eröffnung der Karma-Bar in der Ukraine eine Formalität, so Haikovich. Doch dann griff Russland an.

Seit dem ersten Tag der Invasion werden aus Belarus Raketen auf ukrainische Städte und Dörfer abgefeuert. Zwar hat Kiew die diplomatischen Beziehungen mit Minsk noch nicht gestoppt, doch die Situation ist hochangespannt.

Seit dem Krieg kämpft Haikovich nun für das Überleben der Bar. Er sucht nach neuen Investoren, die im Gegensatz zu ihm keinen belarussischen Pass besitzen. "Wir haben alle Lizenzen für den Ausschank von Alkohol, für die Küche. Aber wir sind nun mit der surrealen Situation konfrontiert, dass unser Bankkonto gesperrt ist und wir kein Recht haben zu wirtschaften." Haikovich hat die Bar gemeinsam mit Freunden eröffnet, darunter Gleb Kowaljow. Der 30-Jährige floh am 24. Februar aus Kiew nach Warschau. "Wir haben die Bar aufgesperrt, als es noch eine noble Sache war, wenn man als Belarusse, der vor dem Lukaschenko-Regime geflohen ist, in Kiew etwas aufgebaut hat", sagt er am Telefon.

Nächste Flucht

Getrieben von der Angst, wieder unter einem totalitären Regime zu leben und im Alltag Anfeindungen vonseiten der Ukrainer zu erleben, haben viele Belarussen Kiew nach Beginn des Krieges verlassen. Richtung Polen, Armenien oder Georgien. In Warschau hat Kowaljow mittlerweile einen weiteren Ableger der Karma-Bar eröffnet, der nächste soll bald in Danzig aufsperren. Die erste Karma-Bar in Minsk, ein enges Kellerlokal, war ein Treffpunkt für politisch Andersdenkende. So lange, bis die belarussische Polizei im Protestjahr 2020 auch diese Tür einbrach.

"Wir haben die Tattoo- und Sticker-Kultur unterstützt und haben die linke Hipster-Untergrund-Szene versammelt. Damit waren wir dem Regime natürlich ein Dorn im Auge", erzählt Kowaljow. "Die Menschen in der Ukraine sind traurig. Sie sind wütend. Das verstehe ich. Sie kämpfen für ihr Land", sagt er. "Aber sie sind auch wütend auf uns Belarussen. Weil wir nicht gegen die Russen kämpfen."

Bangen um Aufenthaltserlaubnis

Während Kowaljow aus Polen versucht, die Belarussen und Ukrainer im Exil wieder zusammenzubringen, blieb Alexander Haikovich mit seiner ukrainischen Ehefrau in Kiew. So wie viele seiner Landsleute bangt jetzt auch er um seine Aufenthaltserlaubnis, die er jährlich erneuern muss. Sie läuft in einem Monat aus. "Wir können uns in der Ukraine frei auf der Straße bewegen. Aber wir haben ständig Angst, dass wir von der Polizei kontrolliert werden", sagt Haikovich. Laut ukrainischem Zensus leben im Land mehr als 250.000 belarussische Staatsbürger. Genaue Zahlen gebe es aufgrund der visafreien Reisebestimmungen für Belarussen nicht, erklärt Palina Brodik, Koordinatorin der NGO Free Belarus.

Obwohl der Sprecher des staatlichen Migrationsdienstes erklärt, dass es für belarussische Staatsbürger "keine Verbote und Einschränkungen gibt", berichten Betroffene von Hürden. "In den meisten Fällen hören wir, dass sie Schwierigkeiten haben und die Anträge nicht bearbeitet oder abgewiesen werden", so Brodik. Sie lebte bis zum Krieg in Kiew, hält sich nun aber in Polen auf. Ob sie in die Ukraine zurückkehren wird, weiß sie nicht.

Kein Zugang für Belarussen

Brodik zeigt Fotos, die sie aus Städten wie Lwiw zugeschickt bekommt, wo an den Türen mancher Restaurants Zettel hängen, die darauf hinweisen, dass russischen und belarussischen Staatsbürgern der Zugang verwehrt wird. "Wir sind Verbündete, keine Gegner", sagt sie. "Aber der Dialog lässt sich gerade schwer aufrechterhalten. Wir werden der Ukraine helfen, egal was passiert. Denn wir verstehen, dass die Zukunft von Belarus von der Zukunft der Ukraine abhängt." (Daniela Prugger aus Kiew, 14.7.2022)