Im Gastblog zeigt der Geologe und Bibliothekar Thomas Hofmann, wie "Forscherfrauen" den Wissenschaftsbetrieb und dessen Kontexte aus einer eigenen Perspektive heraus beobachteten und beschrieben.

"Prof. Virchow begrüsst die Versammlung in längerer aber inhaltsleerer Rede. [...]. Dr. Schliemann hält einen Vortrag über Troja und die Heroen Gräber. Er liest denselben ab und spricht dabei genau wie ein katholischer Pfarrer der über Sünde und Laster in Extase geräth." Diesen Zeilen vom fünften August 1880 aus der Feder von Georgiana von Hochstetter, der Ehefrau des Geologen und Mineralogen Ferdinand von Hochstetter, zeigen nur allzu menschliche Facetten zweier renommierter Forscherpersönlichkeiten.

Anlass dazu bot die Tagung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie in Berlin. Eine Festtafel mit mehr als 400 Personen durfte dort keineswegs fehlen. "Leider höre ich die Toaste nicht gut, Schliemann spricht lange und nennt Virchow ein Coloss der Wissenschaft." Trotzdem war für die aus Wien angereisten Hochstetters nicht immer alles eitel und Wonne. "Noch nie so wenig geschlafen, diese elenden Betten, wir beide können keine Ruhe finden."

Georgiana von Hochstetter: keineswegs bieder, sondern eine feinsinnige Beobachterin mit spitzer Feder. Nachzulesen in "Reisetagebücher einer Wiener Gelehrtenfrau" (Königshausen & Neumann, 2021).
Foto: Königshausen & Neumann

Schliemann, der Entdecker Trojas, muss nicht näher vorgestellt werden. Der Mediziner Rudolf Virchov gilt als Begründer der modernen Pathologie. Betrachtungen der Charakterzüge dieser zwei Männer durch Georgiana von Hochstetter finden sich im Buch "Reisetagebücher einer Wiener Gelehrtenfrau" (Königshausen & Neumann, 2021): "Beide, inzwischen befreundeten, Männer sind durch ihre Herkunft aus Pommern und eine geringe Körpergröße von außen betrachtet ähnlich, charakterlich aber grundverschieden." Schliemann ist besessen, "den Wahrheitsgehalt antiker Texte durch archäologische Befunde zu beweisen", Virchow indes ist "ein akribischer empirischer und deduktiver Forscher, geistig in sich gekehrt und nüchtern distanziert.", so die beiden Herausgeber Sascha Nolden und Christoph Schindler.

Der Pathologe Rudolf Virchov und der Archäologe Heinrich Schliemann.
Foto: Gemeinfrei

"Sie ist ihm weit überlegen"

So abfällig sich Frau Hochstetter über Schliemann äußerte, so wertschätzend beschrieb sie dessen Gemahlin. "Frau Schliemann ist eine ausserordentlich interessante Frau, sehr lieb und einfach und hat für mich etwas Fesselndes, er hat gar keinen Reiz, im Gegentheile finde ich, dass seine interessanten Arbeiten durch seine Erzählung verlieren, sie ist ihm weit überlegen und überragt ihn um so vieles."

Kurz noch einige Worte zu Ferdinand v. Hochstetter. Der gebürtige Deutsche wurde 1860 Professor für Geologie und Mineralogie an der heutigen Technischen Universität in Wien und war von 1874 bis 1875 dort auch Rektor. Ab 1876 war Hochstetter Direktor des k.k. Naturhistorischen Hofmuseums und damit Gestalter des Hauses, dessen Neubau im August 1889 eröffnet wurde. Familie Hochstetter wohnte in der Döblinger Hauptstrasse 60 in Wien Döbling. Die von ihm geplante Dienstwohnung im Museum wurde nie bezogen, da er 1884 verstorben war.

Das Ehepaar Diener in Mexiko und Wien

Anders als bei Georgiana von Hochstetter waren die Aufzeichnungen von Mietze Diener, die in Begleitung ihres Mannes Carl, Professor der Paläontologie an der Wiener Universität, im Spätsommer 1907 in Mexiko war, primär für die Veröffentlichung bestimmt. Ihr kleines Büchlein, "Reise in das moderne Mexico: Erinnerungen an den X. Internationalen Geologen-Kongress in Mexico", ist voller persönlicher Eindrücke, die sie bei Exkursionen quer durch das Land sammelte. Auch wenn sie eingangs von der freundlichen Aufnahme und der Gastfreundschaft schwärmt, war es hier doch deutlich weniger luxuriös als in Europa. Doch Luxus hatten sich die Dieners ohnehin nicht erwartet.

Das Grab des Ehepaares Diener am Matzleinsdorfer Friedhof in Wien.
Foto: Thomas Hofmann

Nicht nur Carl, sondern auch Mietze war Mitglied wissenschaftlicher Gesellschaften. Die k. k. Geographische Gesellschaft listet sie seit 1903 als "Universitätsprofessorsgemahlin in Wien", damals wohnhaft hinter dem Wiener Rathaus, später in Wien Alsergrund. Zunächst in der Liechtensteinstraße und ab 1911 in der Berggasse 21. Damit wohnten die Dieners im Nachbarhaus von Sigmund Freud. Carl Diener, der auch Dekan und Rektor war, hatte eine zunehmend deutsch-nationale, antisemitische Haltung. Er war Mitglied der berüchtigten "Bärenhöhlen"-Clique, wie Klaus Taschwer 2012 zeigen konnte.

Zum Souper in Lackschuhen und Foulardkleid

Doch zurück nach Mexiko. Wie sah und erlebte Mietze, eigentlich hieß sie Maria, in Begleitung ihres Mannes die Zeit in Lateinamerika? So mühevoll manche Tagestouren auch waren, so wichtig war es dann, abends beim Essen fein herausgeputzt – soweit es möglich war – zu erscheinen: "So klein mein Gepäck war, hatte ich es doch fertiggebracht mir die Möglichkeit eines vollständigen Kleidungswechsels zu gönnen, und in Lackschuhen und Foulardkleid erschien ich frisch und gestärkt zum Souper. Dieses Souper war allerdings eine Katastrophe."

Mexikaner mit Sombrero, dessen "entsprechend weit ausladende Krempe mit Silber- oder Goldstickerei" reich verziert ist.
Foto: Sammlung Hofmann

Die Exkursionen hatten natürlich geologische Ziele, trotzdem blieb auch Zeit, Blicke auf Land und Leute zu werfen. Fremd, gleichsam aber auch faszinierend wirkten auf sie die Sombreros, die "selbst von einer der Mode sehr ergebenen Dame bei uns als grotesk bezeichnet werden würden." Die an Sonn- und Festtagen getragenen Sombreros beschreibt sie als "herrliche Türme aus grauem, weißem oder braunem Filz" mit einem Durchmesser von bis zu einem Meter, deren "entsprechend weit ausladende Krempe mit Silber- oder Goldstickerei" reich verziert ist.

"Niemals während der ganzen Reise unpäßlich"

Die Reise per Bahn durch das Land, in dem sie "gerade den wirtschaftlichen und politischen Aufschwung" sahen, ließ in Sachen Annehmlichkeiten freilich noch Luft nach oben. Die eigenwillige Bauart, "Die Schwellen sind kaum im Erdreiche befestigt, sondern werden, umgekehrt als bei uns, durch die Schienen gehalten", führte dazu, dass der Zug wie ein Schiff auf hoher See fortwährend schwankte und schlingerte. "Und das hatte außer der allgemeinen Unbequemlichkeit und der Gefahr, nachts aus dem Bette zu fallen, noch den besonderen Nachteil, daß ich kaum mein Tagebuch während der Fahrt führen konnte, während hier eigentlich die Zeit dazu gewesen wäre." Doch das Ehepaar war hart im Nehmen. So sehr manche der Exkursionsteilnehmenden aus aller Welt auch litten, die Dieners hatten Glück: "Mein Mann und ich gehörten zu den wenigen, die niemals während der ganzen Reise unpäßlich waren."

Eindrücke und Beobachtungen in der Direktheit, wie sie Frau Hochstetter in ihrem privaten Tagebuch festhält, finden sich in Mietze Dieners Buch nicht. Ob sie bei ihrem Vortrag "Meine Reise in Mexiko" am 11. Mai 1909 im Urania-Theater in der Wollzeile 34 um 19.30 Uhr aus dem Nähkästchen plauderte, ist nicht überliefert. Man darf jedoch annehmen, dass "Frau Prof. Mietze Diener", wie sie angekündigt wurde, sehr wohl wusste was für eine "Universitätsprofessorsgemahlin", die für ihr Buch auch fotografierte, angebracht war, zu sagen.

"Dann gieng mein armer geplagter Gejza fort"

Waren die Hochstetters und Dieners im Zuge von Kongressen im Ausland, war der Geologe Gejza Bukowski von Stolzenburg von der k.k. geologischen Reichsanstalt mit seiner Frau Katharina bei der Feldarbeit in Dalmatien unterwegs. 1887 und 1888 hatte Bukowski die Insel Rhodos geologisch kartiert, ehe man ihn zu den südlichen Gefilden der Monarchie schickte. Seine Frau führte in den Jahren 1904 bis 1907 Tagebücher, ohne die Intention zu verfolgen damit an die Öffentlichkeit zu gehen, wie es Mietze Diener tat.

Katharina Bukowska von Stolzenburg und ihr Mann, der Geologe Gejza Bukowski von Stolzenburg.
Foto: Geologische Bundesanstalt

Tagebuchschreiben war ein wichtiger Bestandteil ihrer monotonen Tage, während ihr Mann die Gebirgswelt erkundete. Auch wenn sie selber litt, unterstütze und umsorgte sie ihn, so gut sie konnte. "Dann gieng [sic!] mein armer geplagter Gejza fort und ich packte ihm sein Ränzel zusammen, mit den Essen. Früher aber zog ich noch aus den Stück Kuhkäse ein langes, dunkles Frauenhaar heraus. Somit ist nun unser hiesiger Aufenthalt nun noch um Vieles verbittert worden. Ekel auf Ekel erfasst jeden der an Alles gewöhnt ist, könnte sich an diese Wirtschaft hier nie gewöhnen. Entsetzliche Zustände."

"Süddalmatien sieht mich niemals wieder"

Dass Aufenthalte in den südlichen Gefilden der Monarchie so mancher Bequemlichkeit und vor allem der Kulinarik der Reichshaupt- und Residenzstadt, wo sie in der Hansalgasse 3 in Wien Landstraße wohnten, entbehrten, hielt Frau Bukowski in zahlreichen Einträgen fest. "Dazu gehört viel Kraft und Ausdauer, ein gesunder Magen gehört in diesem Lande zur Hauptsache, da die Ernährung ganz eine sonderbar abweichende von unserer ist." Die schlechte Ernährung und der damit verbundene Frust hatte Folgen. "Mein Aussehen war die ganzen vielen Wochen das denkbar schlechteste, an Erholung an diesem Orte war nicht zu denken. Mein armer sehr geduldiger Gatte hatte keine Ahnung davon, wie sehr ich unter diesen Verhältnißen [sic!] litt."

Geologische Detailkarte von Süddalmatien, aufgenommen von Gejza Bukowski von Stolzenburg.
Foto: Geologische Bundesanstalt

Und so ist ihr Resümee auch nachvollziehbar: "Bei dieser Kost soll mein Mann Kraft sammeln, um seinen Beruf, genau und pünktlich ausführen zu können? Ein wahrhaft, trauriges Dasein für einen Kulturmenschen. Für diesmal habe ich den ganzen Zauber an der Naturschönheit verloren, und ich schwöre hiermit, Süddalmatien sieht mich niemals wieder." (Thomas Hofmann, 14.7.2022)