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Rund 400.000 Tonnen Steinkohle müssten in die Steiermark gebracht werden, um das Kohlekraftwerk Mellach wieder in Betrieb zu nehmen. Wie und woher weiß noch niemand.

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Schon von weitem sieht man drei Schlote in den Himmel ragen, unten grau, zur Öffnung hin rot-weiß-rot. Die Mur, die bei Mellach eine Schleife zieht, rahmt den Kraftwerkspark, den Österreichs größter Stromkonzern Verbund seit den 1980er-Jahren in der Nähe von Graz betreibt, vom Westen her ein.

Eigentlich sollte aus einem der Schlote, dem des früheren Fernheizkraftwerks, nie mehr Rauch aufsteigen. Es ist Ende März 2021 stillgelegt worden. Das nur einen Steinwurf entfernte Gas- und Dampfkraftwerk Mellach, mit 850 Megawatt (MW) Österreichs leistungsstärkste Anlage, dient hauptsächlich der Netzstützung und wird auch zur Produktion von Fernwärme genutzt. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die seither Fahrt aufnehmende Gaskrise stellen gerade alles auf den Kopf.

Plötzlich wieder gefragt

Plötzlich ist wieder Kohle gefragt. Der feste, aber auch deutlich mehr CO2 emittierende und somit klimaschädlichere Brennstoff soll helfen, im Notfall Gas einzusparen – Gas, das bei einem möglichen Totalstopp der Lieferungen aus Russland dringender für Haushalte und Industrie als zur Verstromung benötigt wird. So zumindest die Theorie. In der Praxis zeigen sich allerlei Probleme und Komplikationen.

Das Einfachste scheint noch die Umrüstung zu sein. Als ein von Kohle- auf Gasbetrieb umgemodeltes Kraftwerk hat Mellach nur im Winter 2020/21 Strom produziert – und das auch nur fallweise, wenn der Bedarf entsprechend hoch war. Nun müssen alle Teile inspiziert, poröse Dichtungen gewechselt, schadhafte Teile ersetzt werden. "Alles machbar", sagen Experten, wenn auch nicht in Windeseile, wie sich das viele wünschen würden.

Fehlendes Kohlenpersonal

Das nächste Problem, das vor Inbetriebnahme des Kraftwerks gelöst werden muss, ist die Personalfrage. Um ein Kohlekraftwerk in der Dimension von Mellach mit 250 MW Leistung zu betreiben, sind bis zu 50 Mitarbeiter, nötig – Mitarbeiter mit einschlägiger Erfahrung, die es aber nicht wie Sand am Meer gibt.

Angesichts der lang geplanten Schließung des Kraftwerks sind keine neuen Ressourcen am Standort aufgebaut worden. Andere Kohlestandorte sind noch früher geschlossen worden. In Dürnrohr in Niederösterreich etwa, wo der Verbund und der Landesenergieversorger EVN seit den 1980er-Jahren zwei Steinkohle-Kraftwerksblöcke betrieben haben, sind die Abbrucharbeiten weit fortgeschritten. Ende April 2015 wurde der Verbund-Teil des Kraftwerks mit rund 400 MW vom Netz genommen, Anfang August 2019 hat die EVN ebendort ihren Block 2 stillgelegt.

Auch der Großteil der ehemaligen Kohlenleute in Mellach ist mit Schließung des Kraftwerks im Frühjahr 2021 in Pension gegangen, ein kleinerer Teil ist an anderen Verbund-Standorten untergekommen. Zum Teil müssten Personen, die das Wissen im Umgang mit Kohle noch haben, mittels attraktiver Angebote aus dem Ruhestand geholt werden.

Zwei lange Kohlenzüge jeden Tag

Bleiben die Beschaffung der Kohle und der Transport derselben in die Steiermark. Verbund-Chef Michael Strugl sagte dem STANDARD, dass an die 400.000 Tonnen Steinkohle beschafft werden müssten, um das Kraftwerk betreiben zu können. Umgelegt auf 365 Tage im Jahr entspricht das zwei langen Kohlenzüge, die Tag für Tag be- und entladen werden müssten.

Der Großteil der bis Frühjahr 2020 in der Steiermark verstromten Kohle kam aus Polen, ein kleinerer aus Russland, fallweise gab es auch Lieferungen aus anderen Ländern. Umgeschlagen wurde die Kohle überwiegend in Koper; dann wurde sie per Bahn über Slowenien nach Mellach gebracht. Russland fällt als Lieferant wegen des Kohlenembargos, das ab August gilt, als Lieferant aus. Nicht jede Kohle eignet sich aber für jedes Kraftwerk gleich gut.

Im März 2020 wurde in Mellach die letzte Steinkohle verstromt. Nun soll der feste Brennstoff wieder ein Revival erfahren, wenn die Not groß ist.
Foto: apa / afp / joe klamar

"Die Qualität, die man für den Einsatz in Mellach braucht, gibt es in Polen und in Australien", sagt einer mit den Gegebenheiten Vertrauter. Polen falle aus, weil die selbst so viel Kohle wie nie bräuchten, um gut durch den Winter zu kommen. Bleibe im wesentlichen Australien. Der lange Schifffahrtsweg mache die ohnehin schon teure Kohle noch um einiges teurer.

Preishoch bei Kohle

Diese Woche ist der Preis der Kohle auf 426 Dollar je Tonne gestiegen, was aufgrund der Schwäche der europäischen Einheitswährung im Moment auf ungefähr denselben Wert in Euro hinausläuft. Zum Vergleich: Vor einem Jahr kostete Kohle mit 50 Dollar deutlich weniger.

Dann ist noch völlig unklar, wie die Kohle in die Steiermark kommt. "Mellach liegt bekanntlich an keinem Hochseehafen. Im Moment bekommt man nicht einmal Züge mit Diesel von Rotterdam nach Österreich – alle Züge und Trassen sind belegt", sagt der Insider.

Die Hauptfrage sei, wann der Start mit welchen Mengen stattfinden soll, das heißt, wie viel Vorlaufzeit für eine Wagenbeschaffung am Markt im Rahmen der für die ÖBB Rail Cargo Group relevanten gesetzlichen Ausschreibungsregeln zur Verfügung stehe. "Die Frage der frei verfügbaren Güterwagons ist abhängig vom Zeitpunkt der benötigten Transporte", sagt ein Sprecher der ÖBB-Güterverkehrssparte.

Fehlende Rechtsgrundlage

Auch die Verfügbarkeit von freien Trassen sei schwierig zu beurteilen, da aktuell sowie in den kommenden Monaten und Jahren umfangreiche Baumaßnahmen an der europäischen Bahninfrastruktur durchgeführt würden. "So ist die Hauptfrage, über welchen Leitungsweg die Kohle angeliefert werden soll – das heißt welcher Hafen bzw. welche Grube –, um die Trassenverfügbarkeit beurteilen zu können."

Auch bei Verbund gesteht man ein, dass die Beschaffung alles andere als trivial ist. "Noch sind wir beim Sondieren", sagt CEO Strugl. Um Kohle zu kaufen, Trassen zu bestellen und mit den notwendigen Umrüstarbeiten zu beginnen, brauche man eine Rechtsgrundlage. Die fehlt aber bis dato.

Anders als bisher kommuniziert, könne ein Kohlekraftwerk auch nicht kurzfristig angeworfen und nur wenige Stunden in Betrieb genommen werden, wenn es gerade einen akuten Versorgungsengpass gibt. "Man kann ein Kohlekraftwerk nicht so flexibel einsetzen wie ein Gaskraftwerk. In Deutschland produzieren Kohlekraftwerke Bandstrom, laufen also Tag und Nacht", sagt der Insider. Könnte also sein, dass der eine Schlot in Mellach doch längere Zeit wieder raucht, nicht nur zwischendurch für ein paar Stunden. Sofern die zuvor genannten Probleme gelöst werden. (Günther Strobl, 14.7.2022)