Die Geschichte, die Jalal Noory erzählt, ist die Geschichte so vieler Afghaninnen und Afghanen, die auch fern der Heimat keinen Frieden finden.

Foto: screenshot/BBC

Es ist nicht so, dass sich Jalal Noory nichts Besseres vorstellen könnte, als sein Leben in ukrainischen Schützengräben zuzubringen, durch die getönten Scheiben seiner Sonnenbrille Ausschau nach Scharfschützen zu halten und seine Männer, zwölf an der Zahl, auf den Kampf gegen die russischen Invasoren einzuschwören. Ganz im Gegenteil. Bloß: Wo auch immer der Mittvierziger hingeht, der Krieg folgt ihm.

"Ich hatte nur die Wahl zwischen Kämpfen und Sterben", erzählte Noory unlängst der BBC, die ihm, dem ersten ukrainischen Kommandanten mit afghanischen Wurzeln, ein Porträt widmete. Weglaufen? Zwecklos, findet der bullige Mann, der auf seinem Flecktarn neben dem ukrainischen Gelb-Blau auch das schwarz-rot-grüne Emblem Afghanistans aufgenäht hat. "Wie lange sollen wir vor den Russen denn noch weglaufen?", fragt er rhetorisch. "Und wohin?"

Teufelskreis

Die Geschichte, die er erzählt, ist die Geschichte so vieler Afghaninnen und Afghanen, die auch fern der Heimat nicht und nicht Frieden finden. Für Noory, mit einer Ukrainerin verheiratet, Vater einer 20-jährigen Tochter, ist es nun schon das zweite Mal, dass russische Truppen in dem Land einfallen, das er Heimat nennt. Nun setzt er sein Leben aufs Spiel, um den Teufelskreis zu durchbrechen.

Noory war kaum der Wiege entwachsen, als die russisch dominierte Rote Armee 1979 sein Geburtsland Afghanistan überfiel. Gemeinsam mit seinen Eltern verließ er das Land, 1998 landete er in der Ukraine. Dort machte er sich schnell als Kampfsportler einen Namen, wurde Doppelstaatsbürger und gründete 2004 ein Sicherheitsunternehmen. 2014, als Wladimir Putin völkerrechtswidrig die Krim an Russland anschloss, meldete sich Noory bei der Armee, um die Halbinsel zu verteidigen.

Langer Kampf

Es sollte nicht das letzte Kapitel in Noorys langem Kampf gegen Moskaus Invasionstruppen bleiben. Als deren Angriffskrieg Ende Februar schließlich so nah kam, dass er von seinem Kiewer Wohnhaus aus Raketeneinschläge hörte, schickte er Frau und Tochter nach Westeuropa und entschied sich schnell: "Ich konnte nicht anders als meine Heimat zu verteidigen."

Lieber, so wird schnell klar, hätte er aber gar nicht erst zu den Waffen gegriffen. "Hätten die Sowjets, also die Russen, damals nicht Afghanistan angegriffen, hätte ich ein besseres Leben gehabt in Afghanistan", ist er überzeugt. (Florian Niederndorfer, 14.7.2022)