Grenzen spielen in der geopolitischen Situation Zyperns eine Dauerrolle. Zu Land schlängelt sich die UN-Pufferzone auf 183 Kilometern auch fast ein halbes Jahrhundert nach der türkischen Invasion von Nordwesten nach Südosten und macht nicht nur Nikosia zur einzigen geteilten Hauptstadt der EU, sie splittet auch nach wie vor eine Insel in zwei Teile – wobei sich in der Südhälfte mit der Ex-Kolonialmacht Großbritannien auch noch ein weiterer Player in das komplexe Gefüge einreiht. Zu seinen Militärbasen hat es ebenfalls Grenzbefestigungen.

Die Grüne Linie, einst gezogen vom britischen Generalmajor Peter Young und benannt nach dem dabei verwendeten grünen Filzstift, wird aktuell von rund 800 internationalen Peacekeepers aus 13 Staaten bewacht – darunter auch drei Offiziere aus Österreich und einige Russinnen und Russen, was für die Blauhelme auch nach der Invasion in der Ukraine kein Thema ist, betont UN-Pressesprecher Aleem Siddique vor Journalisten. Die nationalen Interessen werden mit dem Eintritt in die Truppe abgegeben, betont er. Die Grenze in diesem eingefrorenen Konflikt ist jedenfalls deutlich seh- und spürbar. Immer wieder läuft man in der Hauptstadt in Sackgassen aus Stacheldraht und Ölkanistern. Immer wieder sieht man verlassene Häuser, die infolge des Konflikts verwaisten.

Auf hoher See hingegen sind die Grenzen rund um Zypern nicht sichtbar. Das unterm Seeboden schlummernde Gas machen sie aber umso bedeutsamer. Der europäische Energiehunger infolge der Abkehr vom bisherigen Gaslieferanten Nummer eins Russland befeuert die Geopolitik im östlichen Mittelmeer ein weiteres Mal. Bei den aktuellen Weltmarktpreisen ist der Rohstoff nämlich umso begehrter. Jeder will sich in Stellung bringen, möglichst schnell fördern und einen Teil des wegbrechenden russischen Exportvolumens nach Europa kompensieren – die Israelis etwa zehn Prozent ab 2024, wie Bundeskanzler Karl Nehammer im Rahmen seiner mehrtägigen Reise ins östliche Mittelmeer bekanntgab.

Chance auf Kooperation oder Eskalation

Abgesehen von den technischen Herausforderungen werden solche Versprechen vor allem dann schwierig, wenn es um grenzüberschreitende Gasfelder geht. Noch viel komplexer wird es, wenn die Seegrenzen an sich bereits umstritten sind. Sei es wie bei den formell den Palästinensischen Autonomiegebieten gehörenden Gasfeldern vor dem Gazastreifen, deren Erschließung Israel unterbindet. Oder weiter nördlich beim Gasfeld Karish, um das sich Israel mit dem alten Feind Libanon streitet, auch wenn es nur einen kleineren Teil der israelischen Gasvorkommen darstellt. Besonders in Beirut könnte man die Finanzspritze durch den Verkauf von Karish-Lizenzen dringend benötigen. Die Nahost-Staaten sind sich aber uneins über den Verlauf der maritimen Grenze. Der Startpunkt, der Übergang von der Land- zur Wassergrenze nahe Rosh Hanikra, wird von keiner Seite angefochten. Wie so oft bei maritimen Grenzstreitigkeiten, geht es aber um den Winkel, den der Grenzverlauf auf hoher See ab diesem Punkt folgen soll.

Gibt es keine vorgelagerten Inseln, ist für gewöhnlich die Basislinie an Land entscheidend, die sich wiederum von den geografischen Merkmalen ableitet. Ein paar Grad im Winkel machen für die zwölf nautischen Meilen (22 Kilometer) Territorialgewässer gleich einmal einen erheblichen Unterschied in der Fläche. Bei der ausschließlichen Wirtschaftszone, die in der Regel bis zu 200 nautische Meilen aufs offene Meer hinausreicht, erweitert sich die für Rohstoffe ausbeutbare Zone je nach Winkel gleich einmal um einige Tausend Quadratkilometer.

Foto: AFP

Nicht ganz uneigennützig beansprucht der Libanon deshalb seit 2021 eine maritime Grenze, die deutlich südlicher von jener Grenze liegt, die man einst bei der Uno hinterlegt hat. Passenderweise würde das Karish-Gasfeld dadurch gut zur Hälfte auch in libanesischen Gewässern liegen, was es vorher nicht tat. Israels Anspruch und Interpretation der Meergrenze liegt hingegen ohnehin deutlich nördlicher als beide Vorschläge des Libanon. Und auch Israel weitete seine Ansprüche später im Zuge der bislang erfolglosen, von den USA mediierten Verhandlungen seit Oktober 2020 aus.

Statt einer Kooperation, wie sie in anderen Teilen der Welt bereits erfolgreich zur Streitbeilegung von Regierungen beigetragen hat, hagelte es bisher allerdings eher nur Drohungen – für den Fall, dass eine Seite einseitig versucht, das vor mehr als zehn Jahren entdeckte Gasfeld auch tatsächlich zu erschließen. Sogar die Hisbollah hat in der Vergangenheit angekündigt, dass sie einer Vereinbarung der beiden Regierungen zustimmen würde. Vor wenigen Wochen schickte sie drei unbewaffnete Aufklärungsdrohnen in Richtung des Gasfeldes, die von Israel abgefangen wurden.

Von einer Teilung der Einnahmen bis zu einer Zickzackline – für die bessere Aufteilung etwaiger Lizenzen – wurde schon viele Optionen diskutiert. Noch ist die Chance auf eine Einigung nicht verflogen, auch wenn Israels Premier Jair Lapid vor zwei Wochen den Ton erneut verschärfte und von "regelmäßigen Attacken" auf israelische Gasfelder sprach. Klar ist, dass sich der maritime Grenzstreit auch für das österreichische Blauhelme-Kontingent im Libanon zusehends zu einer strategisch wichtigen Frage entwickelt.

Wer darf wo bohren?

Das bringt uns zurück nach Zypern. Auch hier gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wer wo welche Bohrlizenzen vergeben darf, weil die Insel eben seit einigen Jahrzehnten geteilt ist. Nun erkennt niemand außer der Schutzmacht Türkei die Regierung in der Nordhälfte, die sogenannte Türkische Republik Nordzypern, offiziell an. Wenngleich nicht de facto, so ist zumindest de jure die komplette Insel EU-Staatsgebiet. Und so müssten Firmen im Kampf um Gasbohrungskonzessionen theoretisch auch bei Angeboten der Republik Zypern zuschlagen. Macht aber niemand, es bohrt im Norden nur die Türkei, weil sie selbst einen erweiterten Festlandsockel für sich reklamiert – eine Art Verlängerung der Kontinentalmasse, bevor sie auf den tiefen Meeresboden abfällt. Im Extremfall kann ein solcher erweiterter Festlandsockel die ausschließliche Wirtschaftszone eines Staates auf bis zu 350 Seemeilen erweitern.

Die Situation der bisher bekannten Gasfelder im östlichen Mittelmeer.
Foto: ArtyomSokolov, Wikimedia Commons [CC BY-SA 4.0]

Die türkischen Explorationen und Bohrungen im Norden blieben bislang mäßig erfolgreich. Das kann sich in Zukunft aber freilich noch ändern und würde die Brisanz des Streits um die maritimen Grenzen maßgeblich verschärfen. Auch deshalb betonte Kanzler Nehammer nach seinem Treffen mit dem zyprischen Präsidenten Nikos Anastasiadis, dass er die territoriale Souveränität und Integrität Zyperns nicht nur auf Land, sondern auch in seinen Seegrenzen anerkenne und einfordere. Selbstverständlich wurde auch über das Gas rund um Zypern gesprochen.

Eine Plattform zur Förderung von Gas vor Zypern.
Foto: REUTERS/Cyprus Public Information Office/Handout

Wenig überraschend begrüßte die Türkei Anfang des Jahres die Entscheidung der USA, sich aus der milliardenschweren Finanzierung für die EastMed-Pipeline zurückzuziehen. Sie hätte Gas aus dem östlichen Mittelmeer via Zypern und Kreta direkt nach Südosteuropa transportieren sollen. Die Türkei aber will selbst ihre Vormachtstellung in der Region behalten, auch wenn Ägypten im südlichen Mittelmeer seine Kapazitäten im Flüssiggassektor ausbaut. Anstelle des Rückzuges war es eigentlich einmal geplant, die Elektrifizierung im östlichen Mittelmeer voranzutreiben, um diese dann wiederum mit nachhaltigen Energiequellen zu speisen. Das war zu einer Zeit, als man sich noch mittelfristig über eine Energiewende Gedanken machte und nicht kurzfristig möglichst viel Gas aus allen Weltregionen auftreiben wollte. Gas, das nicht immer konfliktfrei aus dem Seeboden gewonnen werden wird. (Fabian Sommavilla aus Nikosia, 14.7.2022)