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Axl Rose im April 2022 bei einem Auftritt in Kalifornien. Auf der Europatournee herrscht striktes Foto- und Journalistenverbot.

Foto: Getty Images/Amy Sussman

"The show usually starts around seven, we go on stage at nine, get on the bus at eleven, sippin' a drink and feelin' fine."

Die gute Nachricht zuerst: Axl Rose ist da! Der mehrfache Weltmeister im Verbocken, Zicken, Zuspätkommen und Sachen-in-den-Sand-Setzen steht mit nur halbstündiger Verzögerung auf der Bühne des Wiener Ernst-Happel-Stadions und grummelt im niederen Frequenzbereich Lieder, die entfernt an alte Hadern seiner Band Guns N' Roses erinnern. Seine Stimme ist noch ein Eichterl im Hotel in der Innenstadt geblieben. Sie musste sich wahrscheinlich noch das Gesicht bügeln oder bei der Frauenfußball-Europameisterschaft in England die zweite Halbzeit vom Spiel Schweden gegen die Schweiz in Sheffield anschauen.

Songs wie It’s So Easy oder die oben zitierte alte Giftlerhymne Mr. Brownstone leiden nicht nur unter der wieder einmal katastrophalen Akustik der ursprünglich für Niederlagen der österreichischen Fußballnationalmannschaft der Männer gebauten Sportstätte. Auch auf das bewährt angestochen klingende, an eine Fliegeralarmsirene erinnernde Alleinstellungsmerkmal der Guns N' Roses muss man noch ein wenig warten: "I get up around seven, get outta bed around nine. And I don't worry about nothin', no, cause worrying's a waste of my time."

Butter und Stahlbeton

Jedenfalls, Endstand Schweden gegen Schweiz: 2–1. Jetzt aber! Spätestens bei Welcome to the Jungle und der AC/DC-Coverversion Back in Black hat die sich durch Butter, Lautsprecherboxen und Stahlbeton schneidende Stimme von Axl Rose in den Wiener Prater gefunden. Immerhin machte Axl Rose schon 2016 an selber Stelle die Urlaubsvertretung für AC/DC-Sänger Brian Johnson. Da zählen keine persönlichen Befindlichkeiten, ein Sänger bringt zu einem Konzert seine Stimme mit. Punkt. Von wegen: Jeder Beruf hat seine Schattenseiten. Als Profi zieht man das durch.

Neben Rose übt auch Gitarrist Slash seinen Beruf aus. Der Mann mit dem Zylinder, der Sichtschutzfrisur und der Sonnenbrille gegen Schneeblindheit macht das sehr gewissenhaft. Sobald Axl Rose kurz Atem holt oder auf der Bühne von links nach rechts oder umgekehrt läuft, ist schon ein Solo da. Wo immer eine Leerstelle in der Musik auftaucht – und Leerstellen in der Musik sind wichtig, weil man Musik als solche sonst nicht erkennen würde: Slash ist da und spielt ein, zwei, drei oder mehrere Soli.

Gniedeln und wursteln

Man kennt das aus den Proberäumen dieser Welt. Die meisten Gitarristen werden wegen dieses der Mannschaft wenig dienlichen künstlerischen Ansatzes irgendwann aus der Band geworfen. Einige sind beharrlich und machen Karriere. Slash gniedelt und wurstelt sich auf seiner jaulenden und heulenden Gibson also durch Zitate aus der Rockgeschichte. Machine Gun von Jimi Hendrix und Link Wrays Rumble dürften als Referenzen an Altvordere bekannt sein.

Mit Live and Let Die von Paul McCartney und den Wings bekommt der mit zunehmender Konzertdauer öfter an die Guns N' Roses aus den 1980er- und frühen 1990er-Jahren erinnernde Soundbrei mit Heulerei und Selbstverwirklichung auf der Gitarre dann Kontur. Die von Paul McCartney selbst auch schon im Ernst-Happel-Stadion aufgeführte Komposition besitzt immerhin eine wiedererkennbare Melodie.

Rocken und schlotzen

Das kann man nicht von allen eigenen Stücken der Guns N' Roses behaupten. Das fröhlich gegrölte I Wanna Be Your Dog von Iggy Pop und den Stooges folgt auf You Could Be Mine aus hauseigener Produktion. Sweet Child o'Mine und November Rain beweisen, dass Axl Rose eh einmal eine ziemlich gute Zeit hatte, bevor Kurt Cobain ihm den schönen Hardrock und die noch schönere Ballade mit Dreck aus der Garage kaputtmachte.

Bei Knockin' on Heaven's Door von Bob Dylan präsentiert sich die Band noch einmal in all ihrer seit 30 Jahren aus der Zeit gefallenen hardrockigen Schlotzigkeit. Die öfter auftauchenden Gitarrensoli wurden wahrscheinlich schon weiter oben erwähnt. Am Ende steht dann nach gut zweieinhalb Stunden der alte Hadern Paradise City. Früher gingen die Hardrocker nach dem Konzert ausschweifen. Heute tut es im Hotel eine Doku auf ZDF neo über Pharaonengräber oder Hitlers Geheimwaffen auch. Mit dem Spatzi auf Kanonen schießen. "I used ta do a little but a little wouldn't do, so the little got more and more. I just keep tryin' ta get a little better, said a little better than before."

Rock 'n' Roll! (Christian Schachinger, 14.7.2022)