Über die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher muss ein Geschworenengericht nach einem Mordversuch eines 35-Jährigen entscheiden.

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Wien – Es ist beklemmend und furchteinflößend, was das 42-jährige Opfer eines Mordversuchs dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Claudia Zöllner erzählt. Wie in der Nacht auf den 15. Februar ein Unbekannter in ihr Wohnhaus einbrach und sie vor den Augen ihrer beiden Kinder durch mehrere Messerstiche schwer verletzte. Der Mann heißt Matthias W., er sitzt aber nicht als Angeklagter vor Gericht, sondern ist ein Betroffener, für den die Staatsanwältin die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beantragt, da er an Schizophrenie leidet.

"Es ist wirklich schrecklich, und ich weiß nicht, wie ich der Familie das antun konnte", sind neben dem Schuldeingeständnis die einzigen Worte, die der 35-Jährige zu der Sache sagt. Wohl auf Anraten seines Verteidigers Manfred Arbacher-Stöger kündigt er dann an, keine Fragen mehr beantworten zu wollen. Die Vorsitzende Zöllner schafft es dann doch noch, eine Antwort zu bekommen. "Ist Ihnen bewusst, dass Sie krank sind?", will sie von W. wissen. "Ja", antwortet der knapp.

Einbruch um 4.40 Uhr

Bei der Aussage des Opfers ist die Betroffenheit der Zuhörenden fast mit Händen greifbar. Sie sei mit ihren Kindern daheim, der Gatte auf Geschäftsreise gewesen. Zur Abschreckung von Einbrechern ließ sie, wie stets, im Erdgeschoss das Licht brennen. Um 4.40 Uhr schreckte sie im Schlafzimmer, wo sie mit dem einen Kind nächtigte, wegen eines lauten Geräuschs hoch. "Zuerst dachte ich, die Katze hat etwas umgeworfen", erinnert sie sich. Dann wurde ihr klar, dass jemand in das Haus eingedrungen war. "Ich dachte mir aber, es kann kein Einbrecher sein, da er so laut war." Wie sich später herausstellte, hatte W. mit einem Stein die Terrassentür eingeschlagen und war so in das Haus gekommen.

Um 4.44 Uhr rief das Opfer erstmals die Polizei und schilderte die Notlage. Der exekutive Rat: Sie solle sich in einen verschließbaren Raum begeben und auf Hilfe warten. Mit ihrem jüngeren Kind wollte sie daher ins Badezimmer. Ihre nächste Wahrnehmung: "Ein Mann kommt die Treppe hoch, der einen spitzen Gegenstand in der Hand hatte." Der Fremde habe einen verwahrlosten Eindruck gemacht, bei ihrem Anblick keine Reaktion gezeigt und sei einfach "wie ein Roboter" mit erhobenem Messer weiter auf sie zugekommen. Dann habe er mehrmals wortlos auf sie eingestochen.

Durch acht Stiche verletzt

Die panische Frau konnte sich mit ihrem Kind zurück ins Schlafzimmer retten, wo die beiden versuchten, die Tür zuzudrücken. Erfolgslos, denn W. blockierte sie schon mit seinem Fuß und stach durch den Spalt weiter blind auf sie ein. Acht Stiche erlitt sie, zählt der medizinische Sachverständige Wolfgang Denk in seinem Gutachten auf, die Frau sagt, der Angreifer habe insgesamt sicher 20-mal zugestochen, einem Teil der Attacken konnte sie ausweichen oder sie mit den Armen abwehren.

Zunächst dachte sie an einen Drogenkranken und bot ihm Geld, worauf W. aber nicht reagierte. "Lass meine Mama in Ruh!", schrie das verängstigte Kind, die Frau schildert, dass sie sich ihre blutende Wunden ansah und in Todesangst fragte: "Ist es jetzt so weit? Fall ich jetzt um?" Erst, als sie dem Unbekannten in mütterlichem Ton riet: "Die Polizei kommt, du musst jetzt weglaufen!", drang sie in seinen verwirrten Geist vor. Er drehte sich um und ging wieder Richtung Treppe.

Die 42-Jährige wollte darauf mit dem Kind wieder ins versperrbare Badezimmer. "Als wir draußen waren, hat er sich plötzlich umgedreht", erzählt sie. W. ging dennoch und traf im Erdgeschoss noch auf das zweite Kind: Dieses hatte allein in seinem Zimmer geschlafen und gehört, wie die Mutter dem Fremden Geld bot, daher hatte es im Wohnzimmer nach Scheinen und Münzen gesucht. Der Betroffene beachtete das Kind jedoch gar nicht, verließ das Haus und versteckte sich ein paar Grundstücke weiter, wo ihn die Polizei festnahm.

Versteck auf dem Dachboden

"Es ist mir wie eine Ewigkeit vorgekommen", schildert das Opfer, das sich schließlich mit den Kindern auf dem verwinkelten Dachboden versteckte und noch zweimal den Notruf wählte. "Das kann ich nachvollziehen", meint Vorsitzende Zöllner, informiert die Laienrichterinnen und -richter aber auch darüber, dass der zweite Anruf bei der Polizei um 4.52 Uhr registriert wurde, also nur acht Minuten später. Um 4.56 meldete sich das Opfer nochmals und informierte über das Versteck, kurz darauf waren die Einsatzkräfte vor Ort. Die Frau wurde notoperiert, verließ auf eigenen Wunsch das Krankenhaus aber nach zwei Tagen wieder. "Um bei meinen Kindern zu sein", sagt sie.

Die gesamte Familie leide noch immer unter dem Überfall, das Leben habe sich in den vergangenen fünf Monaten völlig verändert. Verteidiger Arbacher-Stöger bietet im Namen der Familie des Betroffenen 3.000 Euro an, die die Frau aber ablehnt.

"Er ist kein böser Mensch"

Der psychiatrische Sachverständige Siegfried Schranz erklärt dem Gericht, dass W. bereits seit Jahren an der psychischen Erkrankung leide und auch bereits in medikamentöser Behandlung gewesen sei, diese aber von sich aus abgebrochen habe. Dass der Studienabbrecher ebenso seit Jahren alle Arten von illegalen Drogen konsumiert, habe ihn noch gefährlicher werden lassen. Schranz ist dennoch überzeugt: "Er ist kein böser Mensch, das ist die Krankheit." Die sich nur stationär behandeln lasse, sieht der Fachmann keine Alternative zur Einweisung.

Das Gericht sieht das auch so: W. wird mit sechs zu zwei Stimmen rechtskräftig wegen Mordversuchs im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit verurteilt und in einer Anstalt untergebracht, bis er für geheilt erklärt wird. (Michael Möseneder, 14.7.2022)