Auch Bienen treffen demokratische Entscheidungen, sagen Biologen. Per Tanz überzeugen sie den Schwarm von einer neuen Heimat für das Bienenvolk.

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Es waren vor allem die Honigbienen, die den österreichisch-deutschen Zoologen und Verhaltensforscher Karl von Frisch faszinierten. Wie bereits viele andere Forscher vor ihm beobachtete er, wie manche Bienen von Zeit zu Zeit einen Tanz vollführten: Sie liefen mehrere Minuten lang in einem kleinen Kreis, manchmal vibrierten sie dabei heftig mit dem Hinterleib.

Der Tanz sei dazu da, andere Artgenossen über den Geruch einer bestimmten Nahrung zu informieren, dachte von Frisch. Bis er 1944 ein weiteres Experiment durchführte. Die Erkenntnis, die er daraus gewann und für die er dreißig Jahre später den Nobelpreis erhielt: Der Tanz der Bienen gibt auch Aufschluss darüber, wie weit entfernt und in welcher Richtung eine Nahrungsquelle und eine neue Heimat für das Bienenvolk liegen.

Je nachdem, wie energisch die Biene, die den neuen Standort entdeckt hat, tanzt – und wie viel Aufmerksamkeit sie von anderen Bienen bekommt –, fliegen auch andere Erkundungsbienen zu dem Standort. Ist eine kritische Anzahl von Erkundungsbienen ebenfalls von dem neuen Standort überzeugt und haben sie auch den Schwarm dafür begeistert, ist die Wahl geschlagen, und das Bienenvolk bezieht seine neue Heimat.

Demokratisches Verhalten

Gewissermaßen handeln die Bienen mit diesem Verhalten politisch, sie debattieren, versuchen einen Konsens zu finden und betreiben damit sogar eine Art Demokratie, indem sie gemeinsam als Schwarm eine Entscheidung treffen, schreibt der US-amerikanische Verhaltensbiologe Thomas Dyer Seeley in seinem Buch "Bienendemokratie".

Es ist eine Demokratie, von der auch wir Menschen etwas lernen können, ist Seeley überzeugt. Während bei uns Menschen Politikerinnen und Politiker durchaus von Lügen profitieren und diese zum Teil nutzen, um die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler zu bekommen, zahlt sich für Bienen nur Ehrlichkeit aus. Denn davon, wie gut der neue Standort ist, von dem aus eine Biene ihre Artgenossen mit ihrem Tanz überzeugt, hängt letzten Endes auch ihr eigenes Überleben ab.

"Jedes Entscheidungsverfahren sollte aus Individuen mit gegenseitigem Respekt bestehen, und die Debatte sollte im Zentrum stehen, damit die Mehrheit am Ende eine verlässliche Entscheidung trifft", fordert Seeley.

Nicht nur bei Bienen

Auch andere Tierarten sind grundsätzlich in der Lage, demokratisch zu entscheiden: Eurasische Rothirsche bewegen sich als Herde erst weiter, wenn 60 Prozent aller erwachsenen Hirsche aufgestanden sind. Unter einigen Schimpansengruppen gelangen Alphamännchen nur dann an die Macht, wenn sie gute Allianzen mit anderen Artgenossen bilden, etwa durch gegenseitige Fellpflege und Aufmerksamkeit. Tauben wiederum entscheiden gemeinsam, ob und wie lange sie einem Anführer innerhalb eines Schwarms folgen und wann dieser nach einer Fehlnavigation "abzusetzen" ist. Je größer der Schwarm, desto länger dauert die Entscheidung.

Dass nicht nur Menschen, sondern auch Tiere komplexe Empfindungen haben und mitunter auch "wählen" und demokratische Entscheidungen treffen können, führt manche Wissenschafterinnen zu einem gewagten Argument: Tiere sollten auch bei menschlichen Entscheidungsprozessen ein Mitspracherecht haben, die die Zukunft ihres Lebensraums und damit auch ihr Überleben betreffen. Damit soll garantiert werden, dass ihre Interessen in Zukunft besser berücksichtigt werden.

Aber wie soll das funktionieren? Tiere können weder formal wählen noch Ämter einnehmen oder sich sozialen Protestbewegungen anschließen. Und woher wissen wir, was ihre Interessen sind?

Stärkere Präsenz

Es gibt mehrere Möglichkeiten, Tiere besser in demokratische Entscheidungen einzubinden, sagt Angela Martin, Tierethikerin an der Universität Basel, im Gespräch mit dem STANDARD. Ein Ansatz ist, dass Menschen selbst deren Interessen in Entscheidungen miteinbeziehen. "Das ist jedoch sehr idealistisch." Denn häufig würden genau diese Interessen vergessen oder übersehen werden.

Ein anderer Ansatz ist, dass Tiere allein durch ihre Präsenz im öffentlichen Raum verstärkt in politische Entscheidungen einbezogen werden. Anders ausgedrückt: Sehen Menschen etwa in der Stadt wieder mehr Bienen, Füchse oder Rehe, werden diese auch in der Politik eher berücksichtigt. Ob dieser Effekt tatsächlich eintritt, sei allerdings ungewiss, sagt Martin.

Vertretung durch Menschen

Eine weitere Möglichkeit ist, Tiere durch menschliche Repräsentantinnen im Parlament zu vertreten. "Eine bestimmte Anzahl von Sitzen wäre dann beispielsweise für diese Repräsentanten reserviert", sagt Martin. Diese könnten dann beispielsweise von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt werden, würden unabhängig von Parteien und Lobbygruppen agieren und könnten bei bestimmten Entscheidungen ein Vetorecht haben.

In den Niederlanden experimentieren Forschende etwa mit dem "Parlament der Dinge", eine Idee, die auf den französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour zurückgeht. Dabei sollen zunächst die Stimmen und das Leben von Tieren besser aufgezeichnet und verstanden werden, um sie dann in den politischen Entscheidungsprozess mithilfe menschlicher Repräsentanten einzubinden. Momentan ist die Idee aber noch weit weg von einer Umsetzung.

Welche Interessen?

Denn viele Fragen sind derzeit noch ungeklärt: Welche Tiere sollen die Repräsentanten vertreten? Woher sollen sie wissen, was deren Interessen sind? Und wie viel Macht sollten sie haben?

"Bei der Debatte geht es fast immer um empfindungsfähige Tiere, die ein Bewusstsein haben", sagt Martin. Zudem gehe es um die Interessen der Tiere als Individuen und nicht der ganzen Spezies. Diese hätten beispielsweise ein Interesse daran, Schmerz zu vermeiden, dass ihre Familienbestände und Freundesbeziehungen respektiert werden, ihre Grundbedürfnisse befriedigt sind und sie in einer gesunden Umwelt leben. Um diese Interessen und das Leben der Tiere besser zu verstehen, sei künftig noch weitere Forschung notwendig.

Sensibilisierung

Es ist eine Forschung, wie sie auch die Wissenschafter vom Parlament der Dinge weiterbringen möchten. So zeichneten beispielsweise die dortigen Meeresbiologinnen die Geräuschkulisse und den Lärm von Booten unter Wasser auf und maßen, wie Fische, Robben und andere Meereslebewesen diese Geräusche wahrnehmen. Später wurde versucht, menschlichen Besuchern des Projekts mittels der Aufnahmen begreifbar zu machen, wie Fische unter Wasser hören, und ihnen damit die Erfahrungen der Tiere näherzubringen und sie für deren Leben zu sensibilisieren.

Andere Versuche, auf die das Projekt hinweist, um das Verhalten und die Interessen von Tieren besser zu verstehen, sind durchwegs ungewöhnlich: Der britische Wissenschafter Thomas Thwaites studierte etwa das Leben von Ziegen, ließ sich Prothesen anlegen, mit denen er auf vier Beinen gehen konnte, und lebte mit den Tieren mehrere Tage lang in den Alpen. Er versuchte sogar, sich einen künstlichen Ziegenmagen anzuschließen, mit dem er Gras verdauen konnte. Die Erfahrung entpuppte sich am Ende als ziemlich herausfordernd: Die Prothesen waren bereits nach kurzer Zeit schmerzhaft, die Nächte waren kalt, und die anderen Ziegen waren ihm gegenüber nicht sehr aufgeschlossen, schreibt Thwaites in einem Buch.

Eigene Rechte

Anstatt Tiere und die Natur politisch durch Repräsentanten zu vertreten, könnte man ihnen auch eigene Rechte zusprechen, schlagen einige Forschende vor. In Indien haben Gerichte etwa dem Ganges ein eigenes "Recht auf Leben" zuerkannt. Um menschliche Eingriffe vor Gericht zu stoppen, mussten Aktivistinnen und Aktivisten bisher beweisen, dass die Verschmutzung des Flusses menschliches Leben gefährdet. Mit dem neuen Recht genügt es, zu zeigen, dass der Fluss selbst verschmutzt ist. Die Änderung hat bereits dazu geführt, dass einige Bergwerke und Industrien, die verschmutztes Wasser in den Fluss leiteten, geschlossen wurden, sagen Befürworter.

Kolumbien wiederum hat dem Amazonas-Regenwald eine eigene Rechtspersönlichkeit zuerkannt, Neuseeland dem 320 Kilometer langen Whanganui River. In Ecuador wurde bereits 2008 die Verfassung abgeändert. Darin heißt es nun, die Natur habe das Recht, "zu existieren, weiterzubestehen und sich zu regenerieren". Jeder könne dieses Recht vor Gericht geltend machen. Nicht zuletzt könnte auch Tieren etwa ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zugesprochen werden, fordern manche Tierschützer.

Nicht wie Tierschutzorganisationen

Hätten Tiere eigene Rechte, könne dies auch bei der politischen Repräsentation helfen, sagt Martin. Aber sind Tiere nicht bereits ausreichend durch Tier- und Umweltschutzorganisationen in der Politik vertreten? "Der Unterschied ist, dass sich diese Organisationen oft nur auf bestimmte Tiergruppen fokussieren und ihre Macht auf politischer Ebene beschränkt ist", sagt Martin. Eine politische Repräsentation der Tiere würde alle empfindungsfähigen Tiere miteinschließen und sicherstellen, dass deren Interessen berücksichtigt werden.

Aber wie viel eine Repräsentation tatsächlich bewirken würde, ist derzeit noch offen. Auch, dass eine solche Repräsentation nach wie vor eine sehr menschliche Herangehensweise sei, wird kritisiert. Tiere werden von Menschen repräsentiert, in einem System, das von und für Menschen entworfen wurde. Aber könnte es überhaupt anders funktionieren? Eine Repräsentation wäre zumindest ein erster grundlegender Schritt, sagt Martin. "Wir leben eben nach wie vor in einer anthropozentrischen Welt."

Warten auf das Parlament der Tiere

Noch gibt es kein Parlament, in dem Tiere und deren Wünsche und Interessen auch direkt vertreten sind. Sie sind abhängig von Organisationen, Politikerinnen und Juristen, die sich für sie einsetzen. Ob eine Tierrepräsentation im Parlament mit den bisherigen Entscheidungen der Menschheit zufrieden wäre, ist angesichts ihres vielerorts schwindenden Lebensraums eher zu bezweifeln.

Doch auch wenn Tiere wohl nie direkt werden wählen können, verraten uns ihre Stimmen, Laute, Tänze und ihr Verhalten bereits einiges über ihre Wünsche und Interessen, sagen Wissenschafter – und damit vielleicht am Ende auch viel über uns Menschen. (Jakob Pallinger, 30.7.2022)