In einer Welt, in der wir täglich mit tausenden Informationen überflutet werden, ist die Eigenschaft, zurückhaltend zu sein, nicht von Vorteil.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Auf der Bühne des 4Gamechangers-Festivals in Wien ruft Anna Vainer den Zuschauenden zu: "Schreit es hinaus: Ich habe Bemerkenswertes geleistet!" Sie ist Gründerin der Google-Initiative #IamRemarkable, zu Deutsch "Ich bin bemerkenswert", und ist überzeugt: Um Anerkennung und Sichtbarkeit muss man sich bemühen.

"In meiner Jugend war ich Teil des israelischen Synchronschwimmer-Teams, und ich habe meinen Traum verwirklicht, in New York zu leben. Deswegen bin ich großartig", erzählt sie. Noch vor ein paar Jahren fiel es Vainer schwer, das auszusprechen. Sie saß selbst in einem Workshop und musste ihre beruflichen und privaten Erfolge niederschreiben und präsentieren. Für sie war das Angeben. "Es fühlte sich falsch an."

Doch sie merke bald, so wie ihr geht es vielen anderen. Vor allem Frauen würden dazu erzogen, bescheiden zu sein, nicht aufzufallen, zurückhaltend und still zu sein. "Diese Zuschreibung haben wir internalisiert, Frauen wie Männer", sagt Vainer. Es geht so weit, dass Frauen, die auf sich aufmerksam machen, über ihre Erfolge sprechen oder sich überhaupt in eine Diskussion einmischen, als "nicht feminin" und prahlerisch gelten und dafür teils heftig kritisiert werden.

Unterrepräsentierten Gruppen mehr Sichtbarkeit verschaffen – das ist das Ziel von Anna Vainers Initiative #IamRemarkable. Heuer war sie zu Gast beim 4Gamechangers-Festival.
Foto: Anna Vainer

Die 80-20-Regel

In einer Welt, in der wir täglich mit tausenden Informationen überflutet werden, ist die Eigenschaft, zurückhaltend zu sein, jedoch nicht von Vorteil, sagt Vainer. Im schlimmsten Fall werden das eigene Können und die Erfolge nicht gesehen. Wer bei einer Gehaltsverhandlung erfolgreich sein will oder eine Beförderung möchte, muss selbstbewusst kommunizieren können, welche Erfolge und Leistungen man erzielt hat. Deshalb, so Vainer, ist es wichtig, diese guten Gewissens und ohne Zögern aussprechen zu können.

Die Lösung liegt für sie auf der Hand: Erfolge messen – am besten quantitativ – und sie anschließend allen unter die Nase reiben. "Es ist kein Prahlen, wenn es auf Fakten beruht. Es ist einfach nur die Wahrheit." Dafür empfiehlt die Initiativen-Gründerin die 80-20-Regel. 80 Prozent der Zeit versucht man die Arbeit so gut wie möglich zu machen, und 20 Prozent seiner Arbeitszeit sollte man darauf verwenden, die Leistungen anderen zu zeigen. Denn "Erfolge sprechen nicht für sich."

Deshalb möchte Vainer Frauen, unterrepräsentierten Gruppen und allen Menschen, denen es schwerfällt, ihre Erfolge zu verbreiten, helfen. Sie konzipierte einen 90-minütigen Workshop mit dem Ziel, die Sichtweise auf sich selbst zu verändern. Im Workshop schreiben die Teilnehmenden auf, was sie in ihrem beruflichen und privaten Leben als Erfolg werten. Danach präsentieren alle das Geschriebene und sprechen darüber, was das bei ihnen selbst und den anderen ausgelöst hat. Das einfache Rezept scheint zu funktionieren: 89 Prozent der Teilnehmenden geben an, aufgrund des Workshops ihre Erfolge aktiver zu kommunizieren. Knapp 50 Prozent gelang dadurch sogar ein Karrieresprung.

Jede und jeder für sich

Vainer träumt davon, aus dem Workshop eine globale Bewegung zu machen. Skalieren, vergrößern, noch mehr Leute erreichen. Google hat die finanziellen Mittel, die nötigen Verbindungen und die Reichweite, um das zu erreichen. Damit die Initiative noch schneller bekannt wird, setzt Vainer auf ein Train-the-Trainer-Konzept: Der Workshop ist kostenlos, dafür sollen Teilnehmende diesen bewerben oder selbst Workshop-Leitende werden. Mehr als 300.000 Menschen haben bereits an den Workshops teilgenommen – in über 150 Ländern. Vainers Ziel ist es, eine Million Menschen mit ihrer Botschaft zu erreichen.

Die Welt ist zweifelsohne lauter geworden. Müssen wir also auch lauter werden, um nicht unterzugehen? Anna Vainer meint, anders gehe es in der modernen Arbeitswelt kaum. Eine Führungsperson habe nicht die Möglichkeit, alle Tätigkeiten der Mitarbeitenden zu überblicken. Man muss selbst sagen, was man alles geleistet hat. Jede und jeder für sich. Um die gewünschte Sichtbarkeit und Anerkennung muss man sich also selbst kümmern. (Natascha Ickert, 17.7.2022)