Irgendwann 1977 stellt Georg Kreisler seiner neuen Freundin Barbara Peters diese besondere Frage. Beide sind noch kein ganzes Jahr liiert, aber er liebt sie dermaßen wild entschlossen, dass es aus ihm drängt: "Was hältst du davon, wenn wir uns nie wieder auch nur eine Nacht trennen?" Ein Satz wie ein Heiratsantrag, nur romantischer.

Barbara Kreisler-Peters erzählt dieser Tage die zurückliegende Episode fröhlich auf der Veranda ihres Salzburger Hauses, die Juli-Sonne scheint warm, im Garten zirpen Heuschrecken. Damals hat sie die Frage nach dem immerwährenden gemeinsamen Einschlafen und Aufwachen für eine Schnapsidee gehalten, für eine "schöne Utopie". Aber enttäuschen will sie Kreisler nicht, sie antwortet: "Versuchen wir es."

Manche Freunde gaben der Beziehung seinerzeit keine lange Dauer. Die schauspielernde Berlinerin, eine Mittdreißigerin, und der 20 Jahre ältere Bühnenkünstler aus Wien wirken zu verschieden, außerdem ist die Lage kompliziert: Anfangs sind beide auf dem Papier noch jeweils mit anderen verheiratet.

Fotos: Oliver Das Gupta
"Nie wieder auch nur eine Nacht getrennt", diesen romantischen Vorsatz haben Georg Kreisler und seine Frau Barbara Kreisler-Peters in den 36 Jahren ihrer Beziehung fast immer geschafft. 2011 verstarb der Musiker, Entertainer und Kabarettist viel zu früh. Seine Witwe erinnert sich heute noch gern an die gemeinsamen Jahre.
Foto: Oliver Das Gupta

Doch bald zeigt sich, wie Barbara Peters und Georg Kreisler ihre Leben miteinander verweben, Berufliches und Privates verschwimmen, auch der Vorsatz mit den gemeinsamen Nächten klappt auf diese Weise – und das über Jahrzehnte. "Wir haben es geschafft," sagt sie, "von ein paar Krankenhausaufenthalten abgesehen." Einmal liegen sie sogar zeitgleich krank in einer Wiener Klinik im selben Zimmer – und empfangen Besucher wie Helmut Qualtinger. Auch in der Nacht Ende November 2011, als Georg Kreisler stirbt, ist Barbara bei ihm.

Es war der Wiener Charme

Vor 100 Jahren, am 18. Juli 1922, wurde das Multitalent in Wien geboren: der singende Kabarettist und Buchautor, der Komponist von Musicals und Opern, einer der wirkmächtigsten Kulturgrößen der jüngeren österreichischen Geschichte.

Wer ihn zu Lebzeiten kennengelernt hat, merkte bald, dass er nicht auf seine alten Gassenhauer wie Tauben vergiften im Park reduziert werden wollte. Kreisler ging es darum, seine neuen Arbeiten vorzustellen, zuletzt wollte er über seine Oper Aquarium oder Die Stimme der Vernunft reden. Hörbar wurmte es ihn auch, immer wieder nach denselben Stationen seines Lebens gefragt zu werden: die Flucht seiner jüdischen Familie aus Österreich nach dem "Anschluss" an Hitler-Deutschland, wie er als US-Soldat gefangenen Nazi-Verbrechern wie Hermann Göring begegnet ist, die Zeit in der Wiener Marietta Bar mit Qualtinger und Gerhard Bronner, das Zerwürfnis mit Letzterem. "Vor allem wollte Georg nicht als Opfer wahrgenommen werden", sagt Barbara Kreisler-Peters. Er sei stark gewesen, stark und frei.

Für beide war es die große Liebe, und das von Anfang an. Gefunkt hat es auf der Geburtstagsparty von Peters’ Schauspielkollegin Helen Vita im damals noch geteilten Berlin. Kreisler gab den Galan, versorgte die rothaarige Barbara mit Bowle, er umgarnte sie. "Das war der Wiener Charme", meint Peters heute, "es war so schön" – und förmlich. Als Kreisler die Feier verließ, sagte sie zum Abschied: "Ich habe mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen." Er antwortete keck: "Ich weiß." Später, beim Abspülen, ließ die Gastgeberin ihrer Wut freien Lauf: Helen Vita warf Peters vor, ihr Kreisler "weggeschnappt" zu haben.

Peters stand zu dieser Zeit im "Reichskabarett" auf der Bühne und sang Lieder von Kurt Tucholsky, ihr neuer Verehrer besuchte fortan die Vorstellungen. Für seine eigene Kunst begeisterte er sie, als er sich bei einem privaten Abend bei Freunden ans Klavier setzte und seine bösen, schönen Lieder sang. "Donnerwetter, ist das erotisch", dachte sich Peters.

Wenig später zog sie bei Kreisler ein, und bald zeigte sich, wie gut die beiden harmonierten. Kreisler wollte unbedingt mit seiner Partnerin auftreten. Peters war skeptisch, hatte Bammel, willigte schließlich aber ein: Schon im Februar 1977 war Premiere im Theater Die Wühlmäuse mit dem Programm Rette sich, wer kann. Das Publikum nahm das neue Duo an, Peters und Kreisler spielten zwei Monate ohne Unterbrechung. In dieser Zeit fragte Kreisler seine Freundin, ob sie fortan keine Nacht mehr getrennt verbrächten.

Die Beziehung dauerte 36 Jahre lang, eine Zeit, in der Georg Kreisler auch wegen seiner glücklichen Beziehung mit Peters besonders kreativ sein konnte. Er schrieb Satiren, Singspiele und Romane, übersetzte Texte und nahm Musik mit seiner Barbara auf. Ein typischer Kreisler-Arbeitstag habe morgens mit der Zeitungslektüre begonnen, "und dann hat er sich noch am Vormittag ins Studio zurückgezogen". Abends habe er nur in Notfällen gearbeitet. Zu seinem Vergnügen setzte er sich nur selten ans Klavier. "Das hat ihn dann nicht mehr so interessiert."

Gemeinsam zogen sie alle paar Jahre um: Berlin, Hof bei Salzburg und Basel hießen die Stationen, zwischenzeitlich auch Los Angeles. In den USA verbrachten sie viel Zeit mit Walter Reisch, dem betagten Cousin von Kreisler, der nach seiner Flucht in die USA in Hollywood als Drehbuchautor und Filmregisseur mitgemischt hatte.

1985 heirateten die Kreislers in Las Vegas, ganz still und allein. Sie trug ein geblümtes Kleid, er ein geblümtes Hemd, der Standesbeamte sprach schöne Worte. "Ich krieg jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke", sagt Barbara Kreisler. Es folgte eine Weltreise, zweieinhalb Monate lang, in der Südsee erkundeten sie Inseln. Auf Samoa kam es zu einem skurril anmutenden Erlebnis. Während einer Autofahrt "durch den Busch" stürzte ein Dutzend junger Männer auf sie zu, sie hielten Macheten in der Hand. "Wir waren anfangs echt geschockt", sagt Peters, beim Hinflug hätten sie von früherem Kannibalismus auf den Inseln gelesen. "Doch bald stellte sich heraus, dass die Jungs von der nahen Bananenplantage kommen und ganz entzückend waren." Die Männer hätten unbedingt einmal Auto fahren wollen. Also kutschierte Kreisler die Einheimischen nach und nach zum Strand und zurück. Fotos existieren von der Begebenheit leider nicht, auch hat Kreisler kein Lied aus dem Stoff gemacht.

Leicht war die Wahl eines letzten Wohnortes für das Künstler-Ehepaar nicht. Eine Rückkehr in seine Geburtsstadt sei für ihn nicht infrage gekommen, sagt Barbara Kreisler-Peters. Der Mann, der in einem Lied Wien ohne Wiener besingt, verband mit der Hauptstadt zu viele negative Kindheitserinnerungen, dazu kam auch noch der Krach mit Gerhard Bronner. Auch München habe ihr Mann – "nur über meine Leiche" – kategorisch abgelehnt: Dort hatte er mit seiner Ex-Frau gewohnt, außerdem grassierte nach seiner Wahrnehmung die Judenfeindlichkeit dort stärker als anderswo.

Schließlich wurden die Kreislers in Salzburg sesshaft. Die Wahl auf die Stadt am Alpenrand sei wegen seiner Frau gefallen, die die Nähe zum Süden liebe, sagte Georg Kreisler einmal, und nicht, weil er Sehnsucht nach Österreich gehabt hätte.

Die Staatsbürgerschaft war im während der NS-Zeit aberkannt worden, nach der Emigration hatte er den US-Pass erhalten. In der Nachkriegsrepublik war Kreisler zwar im Alter mit Preisen und Ehrenzeichen ausgezeichnet worden – doch niemand kam auf die Idee, ihm die Wiedereinbürgerung anzubieten. Antisemitisch angefeindet wurde Kreisler immer mal wieder, vor allem in Zuschriften. Manche hier würden ihn nach wie vor "nach Israel wünschen", sagte er 2009. Die FPÖ bezeichnete Kreisler damals als "Neonazis". Deren Erfolge unter der Obmannschaft von Haider und Strache erklärte Kreisler mit einem genuinen Opportunismus seiner Geburtsheimat: Die Österreicher würden nicht so viel nachdenken, sie sagten sich einfach: "Na, dann marschier ma halt." Auch Ehefrau Barbara fürchtete Übergriffe: "Ich hatte immer Angst, dass einer im Publikum aufsteht und ihm etwas antut."

Kreisler in Lederhose

Um die Jahrhundertwende gab Kreisler noch einmal Konzerte und nahm letzte Lieder auf. Dann hörte er auf, weil er sich "nicht mehr auf Finger und Kopf verlassen" könne. Im Wohnzimmer der Kreislers steht noch heute Kreislers schwarzer Bösendorfer Flügel, die Wände zieren Erinnerungen an gemeinsame Lebensstationen, auf der Toilette ein Kinderfoto von Georg Kreisler: in Lederhose.

Ein zurückhaltender Typ sei ihr Mann gewesen, oft "schüchtern", sagt Barbara Kreisler. Das sei ihm manchmal als Arroganz ausgelegt worden. Unnahbar sei er aber nicht gewesen. Die 80-Jährige ist während des Erzählens immer lebhafter geworden, in ihrem Gesicht spiegelt sich die Freude über schöne Erinnerungen, aber auch Schmerz. Sie vermisse Georg jeden Tag, sagt sie. Wohl auch, weil das Ende abrupt kam. Mit Infektionsanzeichen sei er an einem Freitagabend in die Krankenhausambulanz gegangen, ein Blutbild habe man nicht gemacht, sondern ihn auf Montag vertröstet. Nach dem Wochenende hat man ihn im Spital behalten. Nach Wochen hieß es, er komme bald wieder heraus. Ihr Mann habe Pläne geschmiedet, erzählt die Ehefrau, es ging um einen Fernsehauftritt. Noch Tage vor seinem Tod habe er mit Freunden im Krankenhausbett Opernarien gesungen. Am letzten Abend fragte sie Georg, ob sie in der Nacht bei ihm bleiben solle. Er bejahte, und sie blieb. Am nächsten Morgen war er gestorben. "Dafür dass wir uns relativ spät kennengelernt haben und einiges hinter uns hatten, haben wir noch ’ne ganz schöne Zeit geschafft", sagt Peters mit Berliner Färbung. Georg Kreisler sagte zwei Jahre vor seinem Tod, er halte Religion für eine "menschliche Erfindung". An ein höheres Wesen aber glaube er schon: "Er kann auch eine Sie sein." (Oliver Das Gupta, 18.7.2022)