Im Gastblog schildert Jurist Helmut Graupner einen Fall, in dem ein HIV-positiver Mann seinen Arbeitsplatz beim Land Tirol verlor, das die Stelle im Diskriminierungsprozess postwendend als Karenzvertretung deklarierte und schließlich keine Erinnerung mehr hatte.

Im Tiroler HIV-Fall behauptete die Landesregierung nicht nur ein Liebesverbot für Personen, die am Jugendamt arbeiten, sondern, unterstützt durch Zeugenaussagen ihrer Beamten, auch, dass der diskriminierte Kläger ohnehin nur eine Karenzstelle gehabt hätte und daher keinesfalls länger als ein Jahr beschäftigt worden wäre. Nach Auftauchen des Regierungsbeschlusses, in dem von einer Karenzstelle keine Rede war, sondern von einem unbefristeten Dienstverhältnis bei Bewährung, erinnerte sich niemand mehr an die Vorgänge. Staatsanwaltschaft und Gericht akzeptierten das.

Das Land Tirol deklarierte nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit einem HIV-positiven Mann dessen Stelle postwendend als Karenzvertretung.
Foto: APA/EXPA/JFK

Ein HIV-positiver Mann wird angeklagt, obwohl er die Safer-Sex-Regeln eingehalten hatte (Oralsex ohne Ejakulation in den Mund). Das Wiener Straflandesgericht spricht ihn frei, weil er sich "völlig richtig verhalten" hatte. Sein Expartner verfolgt ihn weiter, outet ihn allerorts als HIV-positiv und verleumdet ihn. Sein Arbeitgeber, das Land Tirol, feuert ihn 2013 wegen der seinerzeitigen (absurden und menschenrechtswidrigen) Anklage und erweist sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren vor dem Landesgericht Innsbruck in seiner Rechtfertigung als höchst kreativ.

Zuerst begründete der Arbeitgeber die Auflösung damit, dass der Dienstnehmer bei seiner Einstellung das Strafverfahren nicht angegeben hatte, obwohl er nach Strafverfahren gar nie gefragt worden war. Später behauptete die Landesregierung, dass Personen, die am Jugendamt arbeiten, einvernehmliche Intim- und Liebesbeziehungen im Privaten mit Erwachsenen zwischen 18 und 21 Jahren gar nicht oder nur mit Zustimmung ihrer Vorgesetzten haben dürfen und bei Zuwiderhandeln ihr Dienstverhältnis beendet werden dürfe. Zweimal verlor das Land in erster Instanz. Zweimal hielt das Oberlandesgericht Innsbruck die Behauptungen der Landesregierung für plausibel und zog das Verfahren dermaßen in die Länge, dass der Kläger nach acht Jahren Prozessdauer einem Vergleich zustimmen musste.

Karenz- oder Planstelle?

Im ersten Rechtsgang hatte die Landesregierung die Einstellung auf eine reguläre Planstelle nicht bestritten und ein in der Personalverwaltung führend tätiger Beamter ausgesagt: "Dies wird in der Regel so gehandhabt, dass eben Neueintretende zunächst einmal auf ein Jahr befristet mit einem Monat Probezeit angestellt werden. Grundsätzlich gehen wir schon davon aus, dass wenn wir nach unseren Planstellenvorgaben Leute einstellen, diese dann länger an uns binden … Üblicherweise ist es so, dass nach acht Monaten eine Leistungsbeurteilung durchgeführt wird. Wäre die beim Kläger positiv ausgefallen, hätte er damit rechnen können, dass sein Dienstverhältnis in ein unbefristetes Dienstverhältnis übergeleitet wird."

Auch im Dienstvertrag findet sich keinerlei Angabe, "ob und für welche Person der Vertragsbedienstete zur Vertretung aufgenommen" worden wäre. Diese Angabe ist bei Karenzvertretungen aber gesetzlich vorgeschrieben (§ 6 Abs 2 lit. c Landesbedienstetengesetz: "Der Dienstvertrag hat jedenfalls Bestimmungen darüber zu enthalten"). Auch in der Stellenausschreibung war von einer "Planstelle", und keiner "Karenzstelle" die Rede.

Dann kam die erste Berufungsentscheidung, in der das Oberlandesgerichtes Innsbruck darauf hinwies, dass es dem Land Tirol möglich ist, zu beweisen, dass das Dienstverhältnis nicht über die einjährige Befristung hinaus verlängert worden wäre. Daraufhin hat die Landesregierung plötzlich behauptet, dass es sich lediglich um eine Karenzstelle gehandelt habe, die "ohnehin nur auf bestimmte Zeit mit ihm hätte besetzt werden können", seine Tätigkeit "daher maximal auf den Karenzzeitraum ausgelegt" war, der Kläger somit "maximal eine Entschädigung im Ausmaß des Jahres erhalten" könnte. "Da es sich bei gegenständlicher Stelle des Klägers um eine Karenzstelle gehandelt hat, bestand für den Kläger keinerlei Anhaltspunkt sowohl bei Beginn seines Arbeitsverhältnisses (Einstellungsgespräch) noch während der Dauer seines Arbeitsverhältnisses dafür, dass nach Ablauf der Jahresfrist das Dienstverhältnis verlängert wurde", behauptete die Landesregierung mit großem Nachdruck.

Regierungsbeschluss widerlegt Regierungsbehauptung

Zum Beweis führte die Landesregierung ihre eigenen Beamten, die das in ihren Aussagen bestätigten: "Nach unseren Unterlagen, handelt es sich um eine Karenzstelle, sodass der Kläger nur für die Dauer der Karenz aufgenommen wird", "Ich habe den Kläger sicherlich darauf hingewiesen, dass es sich um eine Karenzstelle handelt und dass die Kollegin (xx) eventuell wieder zurückkommen kann.", "Der Kläger hat eine Karenzstelle. Das wurde ihm auch so kommuniziert... Die Stelle des Klägers war die Karenzstelle für (xx). In der Regel werden Karenzstellen auch als solche ausgeschrieben. Teilweise ist es aber schwierig, Stellen zu besetzen, sodass es sich dann als vorteilhaft erwiesen hat, diese nicht als Karenzstellen auszuschreiben, damit zumindest sich einmal die Bewerber melden. Dem Kläger wurde von .... erklärt, dass es sich um eine Karenzstelle handelt".

Tatsächlich wurden alle Stellen der betreffenden Bezirkshauptmannschaft in den Jahren 2011 bis 2016 immer ausdrücklich als Planstelle oder als Karenzvertretung ausgeschrieben, nie ohne Angabe, ob es sich um eine Planstelle oder um eine Karenzvertretung handelt. Ungeklärt blieb auch, inwiefern Bewerber und Bewerberinnen, die keine Karenzstelle wollen und sich nur auf eine Planstelle bewerben, nur deshalb eine Karenzstelle annehmen würden, weil sie sich schon beworben haben, vor allem, wenn sie feststellen, dass sie getäuscht wurden.

Mittlerweile kam dem Kläger jener Beschluss der Landesregierung aus 2013 zu, mit dem er in den Landesdienst aufgenommen worden war. Eine Sensation – Der Kläger hatte recht. Es ist darin von einer Karenzstelle oder einer Karenzvertretung keine Rede. Vielmehr heißt es: "Das Dienstverhältnis wird vorerst für ein Jahr eingegangen und kann bei entsprechendem Verwendungserfolg auf unbestimmte Zeit verlängert werden … In der Bezirkshauptmannschaft (xx) ist mit 01.04.2013 eine freie Planstelle nach zu besetzen".

Kein Betrug, nur prozesstaktische Vorgangsweise

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck leitete, auf Sachverhaltsdarstellung des Klägers, ein Verfahren wegen falscher Beweisaussagen und versuchtem Prozessbetrug ein. Diese Delikte können auch durch Verschweigen erheblicher Tatsachen, in diesem Fall das Verschweigen des Regierungsbeschlusses, begangen werden. Die Staatsanwaltschaft befragte aber weder die Beschuldigten noch nahm sie Einsicht in die Personalakten oder befragte mit den Vorgängen befasste Zeugen. Sie holte lediglich eine Stellungnahme, nein: nicht der Beschuldigten, sondern der Landesregierung ein. Diese teilte mit, es sei nicht mehr klärbar, warum, entgegen den Usancen und dem Gesetz, die "Karenzstelle" in der Stellenbeschreibung, im Regierungsbeschluss und im Dienstvertrag nicht angeführt worden ist. Es sei aber jedenfalls eine Karenzstelle gewesen.

Die Staatsanwaltschaft akzeptierte dies und stellte das Verfahren im Zweifel ein. In der Behauptung der Karenzstelle liege "eine prozesstaktische, aber im Zweifel keine potenziell betrügerische Vorgangsweise". Das Landesgericht Innsbruck bestätigte. Die Staatsanwaltschaft habe den Schuldnachweis "denkmöglich verneint", insbesondere weil die Zeugenaussagen, wenn auch nach vorherigem Studium des Personalaktes, "mehrere Jahre nach den Geschehnissen" getätigt wurden.

So fand ein denkwürdiges Verfahren ein denkwürdiges Ende. (Helmut Graupner, 20.7.2022)