Das Wort macht in Österreich wie in Deutschland plötzlich die Runde: Kriegswirtschaft. Bei einer Diskussionsveranstaltung sprach der frühere EU-Energiekommissar, Günther Oettinger vor wenigen Tagen davon, Europa müsse sich im Falle eines Gaslieferstopps auf eine "Kriegswirtschaft" vorbereiten. Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, Gabriel Felbermayr, meint, Österreich steuere in diesem Fall auf eine "kriegswirtschaftliche Situation" zu. Selbst in heimischen Ministerialbüros geht das Wort hinter vorgehaltener Hand bereits um.

Was jedoch bedeutet Kriegswirtschaft? Wird das Wort richtig verwendet? Der Begriff meint, dass die gesamte Volkswirtschaft einer Zielsetzung untergeordnet wird, nämlich der Produktion von Kriegsmaterial. Der Staat übernimmt dabei die Zuteilung aller Rohstoffe, aber auch von Arbeitskräften, um sie dort einzusetzen, wo sie für die militärische Produktion notwendig sind.

In Österreich war das zum Beispiel von 1914 bis 1918 der Fall. Ein klassisches Beispiel ist natürlich auch die Wirtschaft im NS-Regime. Schon kurz nach der Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 wurden aufwendige Vierjahrespläne ausgearbeitet. Einem Aufbauplan für Heer, Luftwaffe und Marine folgend wurden Stahl, Kohle, Kupfer und alle anderen notwendigen Rohstoffe jenen Unternehmen zugeteilt, die sich erfolgreich um Rüstungsaufträge beworben hatten.

Krieg ist die Voraussetzung für Kiegswirtschaft
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Was nicht fürs Militär gebraucht wurde, lag dagegen brach, jedenfalls dann, wenn die Ressourcen nicht für alle Unternehmen ausreichten, was häufig der Fall war. In der Bauwirtschaft etwa wurde die Einteilung nach kriegswichtigen und kriegsunwichtigen Projekten vorgenommen, mit der Folge, dass der Wohnungsbau rasch zu einem Stillstand kam. Auch die Textilindustrie verlor an Bedeutung.

Kriegswirtschaft bedeutet damit letztlich auch, dass der Staat dort eingreift, wo gar keine militärischen Güter erzeugt werden, etwa, indem er Unternehmen den Einkauf mit Devisen im Ausland verbietet – weil der Staat die Fremdwährung selbst braucht, um kriegswichtige Ressourcen zu beschaffen.

Private Unternehmen bestehen in diesem System weiter. Kennzeichen des Wirtschaftstyps ist aber, dass die zentralen Elemente des kapitalistischen Systems ausgeschaltet sind: Preissignale gibt es nicht mehr. Der Staat bestimmt, wer was bekommt. Unternehmerische Tätigkeit beschränkt sich zusehends darauf, den dirigistischen Bedürfnissen des Staates zu folgen, denn damit lässt sich Geld machen.

Das Ganze führt unfreiwillig und rasch zu großen Ineffizienzen. Die Kriegswirtschaft zwischen 1914 und 1918 ist ein typisches Beispiel dafür, die Rüstungsproduktion im k. u. k. Reich kämpfte laufend mit Problemen. Auch im NS-Regime wurden Pläne nie eingehalten, wie der Ökonom Adam Tooze in seinem lesenswerten Buch "Ökonomie der Zerstörung .Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus" beschreibt. Der ständige Kampf zwischen einzelnen Waffengattungen führte dazu, dass Produktionszuteilungen immer wieder überraschend geändert wurden, je nachdem, wer gerade bei Hitler in der Gunst stand.

Wenn kein Gas kommt

Dieser kurze historische Abriss macht deutlich, dass in der aktuellen Situation keine Kriegswirtschaft besteht und auch nicht droht. Der prominente Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel nennt das Gerede "unsinnig". "Selbst für den Fall, dass kein Gas mehr kommt, wären wir in Österreich weit weg von einer Kriegswirtschaft", so Stiefel.

Ganz ähnlich argumentiert die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak: Der Begriff wecke falsche Assoziationen und Emotionen.

Zunächst ist das Wort schon deshalb nicht richtig, weil weder in der EU noch in Österreich Krieg herrscht. Was Oettinger und Felbermayr meinen, ist, dass der Staat marktwirtschaftliche Mechanismen ausschaltet und selbst zum Verteiler von Ressourcen wird.

Allerdings geht es in der aktuellen Debatte im Wesentlichen nur um Gas. Von einem dirigistischen Eingriff in der gesamten Wirtschaft ist keine Rede. Ein staatlicher Eingriff in bestimmte Sektoren ist an sich nicht weiter außergewöhnlich, in der Finanzkrise beteiligte sich der Staat an Banken, in der Pandemie ersetzte er Unternehmen die Einnahmen. Der Staat als Gaszuteiler wäre dennoch eine Premiere. (András Szigetvari, 16.7.2022)