Bundeskanzler Nehammer hatte sich bisher gegen den Stromrechnungsdeckel ausgesprochen. Jetzt lässt er einen Vorschlag des Wifo prüfen.

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Es ist gerade einmal ein Monat her, da präsentierte die türkis-grüne Regierung ihr Antiteuerungspaket mit einem Gesamtvolumen von 28 Milliarden Euro. Dass die Entlastungen am Ende nicht gar so hoch ausfallen werden und einige Schönrechnungen dahinterstecken, liegt zwar aus vielerlei Gründen auf der Hand. Doch unzweifelhaft flattern jedem Menschen in Österreich in den kommenden Monate zumindest einige hundert Euro an Entlastungen ins Haus, um die Effekte hoher Energiepreise und Inflation abzumildern.

Mittlerweile zeigt sich jedoch: Aus Sicht der Regierung reicht das offenbar nicht. Wie am Wochenende bekannt wurde, lässt Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) darüber hinaus einen anderen Vorschlag prüfen, gegen den sich die Bundes-ÖVP bisher stets gewehrt hat: den sogenannten Stromrechnungsdeckel. Auch Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) begrüßt den Vorschlag. "Ich habe die Experten und Expertinnen im Klimaschutzministerium beauftragt, die Details zu erarbeiten", so Gewessler in einer Stellungnahme gegenüber dem STANDARD: "Die hohen Strompreise werden die Menschen in Österreich weiter belasten. Und wir werden weiter helfen, wo das notwendig ist."

ÖVP-Landeshauptleute sind dafür

Es handelt sich ein Stückweit um einen Kurswechsel. Nehammer hatte sich bisher gegen den Deckel ausgesprochen. Er würde nur auf Ebene der gesamten EU Sinn ergeben und die Regierung setze schon genug an Entlastungen, hieß es etwa. Ein entsprechender Vorschlag der SPÖ war erst vergangene Woche im Nationalrat abgeschmettert worden. Dass sich nun der Wind dreht, hängt auch damit zusammen, dass sich Landeshauptleute für einen Preisdeckel ausgesprochen haben, konkret Johanna Mikl-Leitner aus Niederösterreich und der neue steirische Landeschef Christopher Drexler (beide ÖVP).

"Ich habe die Experten und Expertinnen im Klimaschutzministerium beauftragt, die Details zu erarbeiten", sagt Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne).
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Konkret lässt Nehammer einen Vorschlag von Gabriel Felbermayr – Chef des wichtigsten Wirtschaftsinstituts im Land, des Wiener Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) – von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) prüfen. Felbermayr hat dafür plädiert, den Haushalten ein Teil ihrer Stromrechnungen staatlicherseits abzugelten. Wichtig daran, laut Felbermayr: Es darf eben nur ein Teil sein. Auf alles darüber sollen die regulären – derzeit horrend hohen – marktwirtschaftlichen Preise fällig werden. Der Vorteil dieses Modells: Die Menschen sollen aufgrund der hohen Energiepreise nicht in finanzielle Nöte geraten; doch zugleich soll weiterhin der Anreiz bestehen, dass sie Energie sparen.

Eine "interessante" Idee

Nehammer bewertet Felbermayrs Idee nun als "interessant", so der Kanzler in der "Wiener Zeitung" und "Kleiner Zeitung": "Ich habe immer gesagt, dass es keinerlei Denkverbote gibt, wenn es um die Entlastung der Menschen von hohen Energiepreisen geht".

Finanzminister Brunner hat nach eigenen Angaben den Vorschlag bereits aufgegriffen. Er sei schon in Gesprächen mit Felbermayr und Experten der Energie-Wirtschaft. "Wir prüfen, ob und wie dieses Modell technisch umsetzbar ist und wie wir die Menschen damit finanziell entlasten können", ließ Brunner der APA ausrichten.

Fest steht, trotz des Anti-Teuerungspakets dürften die Energiepreise für viele Menschen in Österreich noch zum echten Problem werden – wenn sie nicht schon sind. Viele haben bereits enorm erhöhte Strom- und Gasrechnungen erhalten; mitunter verdoppeln oder verdreifachen sich die Beträge. Doch das Ende dieser Entwicklung ist längst nicht erreicht. Viele Strom- und Gaskunden haben noch alte Verträge mit den bisherigen, niedrigen Tarifen laufen. Wie Michael Strugl, der Chef des teilstaatlichen Stromkonzerns Verbund, vor kurzem sagte, sind ist beim Strom etwa erst die Hälfte der Preissteigerungen beim Endkunden angekommen; bei Gas sei es noch weniger. Es wird also noch gehörig teurer.

ÖGB will Deckel bei 20 Cent pro Kilowattstunde

Einen ähnlichen Vorschlag wie Wifo-Chef Felbermayr legt auch der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) vor. Er fordert, dass jeder Haushalt für einen Grundbedarf an Energie, etwa für das Heizen, Kochen, Duschen oder Wäschewaschen, einen regulierten Höchstpreis zahlt. Dieser solle bei Strom 20 Cent brutto pro Kilowattstunde betragen, bei Gas acht Cent. "Wer darüber hinaus Strom und Gas verbraucht, weil er oder sie etwa einen Pool beheizt oder die Klimaanlage 24 Stunden lang durchlaufen lassen will, zahlt für diesen Mehrverbrauch den weitaus höheren Marktpreis", so ÖGB-Chef Wolfgang Katzian per Aussendung. Damit sei auch im ÖGB-Modell ein Anreiz zum Energiesparen gegeben.

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr hat die Idee aufgebracht.
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Um all diese Ideen besser einordnen zu können, ist es wichtig, eine bedeutende Unterscheidung im Blick zu behalten: Nehammer, Felbermayr und Katzian fordern allesamt einen Deckel auf die Strom- und Gasrechnungen, die die Endkunden erhalten. Darüber hinaus gäbe es aber noch eine andere, weiterreichende Möglichkeit: den direkten Eingriff auf die Preisbildung auf dem Strommarkt. Einen solchen Strompreisdeckel praktizieren beispielsweise Spanien und Portugal. Grob gesagt funktioniert dieses iberische System so: Der Gaspreis wird stark gesenkt und staatlicherseits mit einer Preisgrenze versehen, die bei rund 49 Euro pro Megawattstunde liegt. Infolgedessen sinkt auch der Strompreis. Denn bei der Strompreisbildung bestimmt jeweils das teuerste Kraftwerk den Preis für die gesamte Stromproduktion, üblicherweise ein Gaskraftwerk. Wenn Strom aus Gasverbrennung plötzlich viel billiger wird, sinken daher die Gesamtkosten für die Elektrizität.

In Österreich schwer durchsetzbar

Doch die meisten Politiker wie auch Experten halten ein solches System für kaum umsetzbar in Österreich. Die verbilligte Elektrizität würde nämlich sogleich in die umliegenden Länder abfließen. Österreich ist stark in den zentraleuropäischen Strommarkt eingebunden; Spanien und Portugal hingegen sind kaum in die Strommärkte des restlichen Kontinents integriert.

In Österreich gibt sich einzig die oppositionelle SPÖ offen und will beide Möglichkeiten erwägen. "Entweder man zieht einen Preisedeckel bei der Strompreisbildung ein oder direkt bei der Stromrechnung beim Endverbraucher", sagte SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner am Donnerstag bei einem Medientermin. Außerdem befürwortet die SPÖ eine Idee, die von Bundeskanzler Nehammer selbst Anfang Mai aufgebracht wurde – aber mittlerweile wieder völlig in der Versenkung verschwunden ist: eine Übergewinnsteuer auf die derzeit außerordentlich hohen Profite der Energiekonzerne. (APA, Joseph Gepp, 17.7.2022)