Die Opposition hat aus Protest vor der Abstimmung den Saal verlassen.

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Am Ende haben die regierenden Sozialdemokraten dem starken Druck internationaler Politiker doch nachgegeben und am Samstag dem französischen Vorschlag zugestimmt, wonach Nordmazedonien nur dann mit den EU-Verhandlungen beginnen kann, wenn die mazedonische Verfassung geändert und die bulgarische Volksgruppe darin aufgenommen wird.

Am Samstag stimmte eine Mehrheit im nordmazedonischen Parlament für diesen Vorschlag. Deshalb wird am Dienstag, nach zwei Jahren Veto durch Bulgarien, die erste Regierungskonferenz zwischen der EU und Nordmazedonien stattfinden. Doch eine zweite Regierungskonferenz, also weitere Schritte im EU-Verhandlungsprozess, in einem halben Jahr sind nur nach einer Verfassungsänderung möglich. Für die dazu nötige Zweidrittelmehrheit bräuchte es aber die Zustimmung der Opposition.

Neues Veto wahrscheinlich

Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei VMRO-DPMNE, Hristjan Mickoski, kündigte bereits an, dass seine Partei die Verfassungsänderung nicht unterstützen werde. Die Abgeordneten der Opposition nahmen am Samstag aus Protest nicht an der Abstimmung teil.

Es ist daher wahrscheinlich, dass der EU-Weg Nordmazedoniens wegen eines neuerlichen Vetos Bulgariens weiterhin blockiert bleibt, obwohl jenes das einzige Land auf dem Westbalkan ist, das glaubwürdig Reformen durchführt, das EU-Recht mit dem nationalen Recht in hohem Ausmaß harmonisiert hat und bereits vor 17 Jahren den Kandidatenstatus erhalten hat.

Eine Geisel Bulgariens

Der nordmazedonische Premier Dimitar Kovačevski hatte dafür geworben, ein "unvollkommenes Abkommen" zu akzeptieren, das "letztlich zu einer besseren Zukunft" führen würde. Ganz anders sieht das die Opposition. "Mit diesem Abkommen wird Mazedonien eine Geisel Bulgariens sein", sagte Petar Risteski von der rechtsnationalen VMRO.

Am Sonntag trafen sich der nordmazedonische Außenminister Bujar Osmani und seine bulgarische Amtskollegin Teodora Genčovska, um ein gemeinsames Protokoll zu unterzeichnen. Die EU-Kommission lobte die Schritte.

Zwei Interpretationen

De facto bedeuten sie jedoch nur, dass Albanien nun tatsächlich zu verhandeln beginnen kann, Nordmazedonien aber weiter vom Wohlwollen Bulgariens abhängig ist und die EU-Kommission den bulgarischen Forderungen, bilaterale Fragen in den Verhandlungsprozess aufzunehmen, nachkommt. Entscheidend ist auch die Rolle Frankreichs, das gegen jede EU-Erweiterung ist und sich offenbar hinter dem bulgarischen Veto "versteckt".

Unklar bleibt auch, ob Bulgarien mit dem französischen Vorschlag weiterhin Sprache und Geschichtsschreibung im Nachbarstaat thematisieren wird können. Bulgarische Nationalisten behaupten, die Mazedonier seien keine Nation, die mazedonische Sprache sei ein westbulgarischer Dialekt. Laut nordmazedonischer Regierung dürfen Sprache und Geschichte nun nicht mehr von Bulgarien beanstandet werden können – die bulgarische Regierung behauptet jedoch das Gegenteil. (Adelheid Wölfl, 17.7.2022)