In diesem Sommer wollen Freunde und ich zusammen ans Meer. Das klingt nach Freiheit, nach Sonne, nach Lachen – fürs Erste. Dann fällt mir ein, dass ein paar von uns zum ersten Mal ungefiltert nebeneinanderliegen werden: halbnackt – ohne Boyfriend-Jeans und "Forever 21"- Shirt. Sekunden später ist die Sache beschlossen: Ein neuer, optimal sitzender Bikini muss her.

Das Meer klingt nach Freiheit, nach Sonne, nach Lachen – fürs Erste.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Selbstbild

Aus diesem Grund stehe ich jetzt in der Umkleidekabine einer Fachboutique. Mit der Geduld einer erfahrenen Chirurgin reicht mir die Bademoden- und Dessousverkäuferin eine Kombination nach der anderen durch die schweren Samtvorhänge hinein. "Zu knapp um die Mitte", sage ich. Oder: "Bestimmt phänomenal, aber leider nur für kleinere Busen." Nach dem ungefähr zehnten Modell seufze ich: "Tja, man müsste jünger und durchtrainierter sein. Vielleicht zeigen Sie mir ein paar Einteiler?" Das ist der Moment, in dem die Verkäuferin über sich selbst hinauswächst: "Da liegen Sie falsch. Ich arbeite seit dreißig Jahren hier. Regelmäßig kommt zu mir ins Geschäft nicht nur die Ehefrau, sondern auch die Geliebte. Und wissen Sie, dass die Geliebte oft die viel schlechtere Figur hat?"

Die Ansage der lebensklugen Fachkraft war mehr wert als hundert Mentaltrainings und Body-Consciousness-Workshops zusammen. Warum träumen wir davon, schön und perfekt zu sein? Ja, wir wollen geliebt werden. Begehrt und nie wieder an der Bushaltestelle stehen gelassen – so ungefähr.

Gamechanger

Die US-Fotografin Haley Morris-Cafiero hat aus dem Blick der anderen ein viel beachtetes Kunstprojekt gemacht: Sie setzt ihre starken Kurven auf öffentlichen Plätzen in Szene. Stellt sich auf Brücken, Straßenkreuzungen und in Shoppingmalls und hält mit versteckter Kamera fest, wie die Leute ihren Körper bewerten und sich teilweise verächtlich machen. Seit Morris-Cafiero vor knapp zehn Jahren mit ihrem Projekt begann, ist viel passiert: Me Too, Body-Positivity und Bodyshaming – um nur einige dieser wichtigen Gamechanger-Begriffe zu verwenden. All das wird heute in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert.

Teenager wissen, dass es nicht okay ist, wenn ihnen Eltern oder Großeltern "Meine Güte, bist du dick" zurufen. In meiner Generation war das noch ganz normal. Weil man es nicht anders kannte, hatte man diesen abwertenden Blick viel zu lange selbst praktiziert. Der Körper lügt nicht. Er funktioniert meistens ziemlich großartig, spielt dabei niemandem etwas vor. Schritt für Schritt freundet man sich damit an – mit etwas Glück auch vor dem Spiegel einer Umkleidekabine. (Ela Angerer, 29.7.2022)