Schwarzbären sind beliebte Studienobjekte für die Untersuchung der Mechanismen von Winterruhe.
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Bären sind beneidenswerte Tiere – manche Arten fressen im Lauf des Sommers so viel, dass der Körperfettanteil ein Drittel ihres Gewichts ausmacht. Danach legen sie sich schlafen und bewegen sich bis zu sieben Monate lang fast überhaupt nicht. Die meisten Säugetiere, wir Menschen eingeschlossen, müssten bei einer derartigen Radikalkur mit schweren gesundheitlichen Folgen rechnen. Besonders die lange Winterruhe (kein Winterschlaf, denn Bären senken ihre Körpertemperatur nicht) würde für die meisten Säugetiere ein Problem darstellen, da der Körper bei Inaktivität Muskeln abbaut, doch der Bärenorganismus kann mit den jährlich wiederkehrenden Extremen gut umgehen und baut kaum Muskelmasse ab. Nur das Fett wird verbraucht, was die Tiere im Frühjahr mitleiderregend mager aussehen lässt.

Anwendung in Medizin und Raumfahrt

Die dahinterliegenden Mechanismen zu verstehen ist für die Medizin von großem Interesse. So führen besonders bei alten Menschen Verletzungen und die darauffolgende Ruhe schnell zu Muskelabbau und bergen das Risiko dauernder Bettlägerigkeit, mit erhöhtem Krankheitsrisiko und stark verringerter Lebenserwartung. Anwendungsmöglichkeiten gibt es auch in der Raumfahrt, wo etwa die US-Weltraumagentur Nasa über das in der Science-Fiction omnipräsente Konzept des künstlichen Tiefschlafs für Reisen zum Mars nachdenkt und Designs für Mannschaftstransporter mit schlafender Crew konzipiert.

Doch dazu müsste der Muskelschwund verhindert werden. Hauptverantwortlich für den Rückgang von Muskeln bei Inaktivität ist der verstärkte Abbau von Eiweiß im Körper, die sogenannte Proteolyse, die schon bald nach der Ruhigstellung einsetzt. Bären scheinen Wege gefunden zu haben, die Proteolyse zu verhindern. Forschungsgruppen der Universitäten Hiroshima und Hokkaido haben nun Ergebnisse publiziert, die belegen, dass der Effekt auch auf menschliche Muskelzellen anwendbar ist.

Das Plasma von Schwarzbären

Dazu haben sie japanischen Schwarzbären in Gefangenschaft Blutplasma abgezapft und in Kontakt mit menschlichen Muskelzellen gebracht, die künstlich vermehrt worden waren. Das wurde während und außerhalb der Winterruhe gemacht, bei denselben Bären. Nach 24 Stunden war der Eiweißanteil in den mit Bärenserum behandelten Zellen deutlich erhöht – bei Behandlung mit Plasma von Bären in ihrer Winterruhe. Mit dem Plasma von wachen Bären war kein Effekt feststellbar. Für die Untersuchung wurden voll ausgebildete Muskelzellen verwendet, in denen der Auf- und Abbau von Eiweiß, der sich ständig in der Zelle abspielt, sich ohne äußere Einflüsse im Gleichgewicht befindet.

Der Erstautor der Studie, Mitsunori Miyazaki, glaubt, auch die für die Veränderung verantwortlichen molekularen Effekte genauer eingrenzen zu können. Wie sein Team feststellte, wurde die Produktion eines Proteins gehemmt, das die Zerstörung von unbenutzten Muskeln auslöst. Außerdem bemerkte man im Serum eine erhöhte Konzentration des Hormons IGF-1, das mit Muskelwachstum in Verbindung steht. Doch hier bleiben Zweifel. Miyazaki und sein Team konnten nicht ausschließen, dass diese auf einen geringeren Wasseranteil im Serum zurückzuführen ist. Auch sonst scheint es nicht erhöhter Muskelaufbau zu sein, der für die Zunahme an Eiweiß in den Zellen verantwortlich ist, sondern eine Reduktion des Abbaus von Eiweiß.

Bestätigung früherer Ergebnisse

Frühere Studien mit Muskelfasern aus Ratten führten zu ähnlichen Ergebnissen. Dort hatte sich ein Rückgang des Proteinabbaus in den Rattenzellen um 40 Prozent feststellen lassen. Bei Grizzlybären gelang es außerdem, die für die Änderungen verantwortlichen Gene zu identifizieren. Auch der Knochenabbau ist bei Bären in ihrer Winterruhe gehemmt. Auch dieser Mechanismus ließ sich auf das Blutserum zurückführen. (Reinhard Kleindl, 19.7.2022)