Das Wiener Frisbee-Team Box bereitet sich auf die Klub-Weltmeisterschaft in Cincinnati vor.

Regine Hendrich

Training.

Regine Hendrich

Wenn Cilla Rottensteiner erzählt, dass sie in ihrer Freizeit gerne Ultimate Frisbee spielt, erntet sie oft viele Fragen. "Ältere kennen die Sportart kaum", sagt die 25-Jährige. "Manche denken da noch immer an Hippies im Park, die eine Scheibe hin- und herwerfen." Verena Wegerth, ihre Teamkollegin bei Box, der Frauenabteilung des Ersten Österreichischen Frisbeeclubs (EÖFC), berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Leute würden dann oft fragen: "Ist das das mit den Hunden?"

Ab in die Endzone

Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Wenn Ihr Hund im Park gerne Frisbees fängt, haben Sie einen ultimativ talentierten Vierbeiner. Diese Sportart heißt aber Disc Dog, nicht Ultimate Frisbee. Letzteres ist eine Teamsportart für Menschen, genauer sieben gegen sieben auf einem Spielfeld mit der Länge (100 Meter) und halben Breite (37 Meter) eines Fußballfelds.

Ziel eines Teams ist es – und hier ähnelt die Sportart American Football –, die Scheibe mittels Pässen in die gegnerische 18 Meter lange Endzone jeweils am Ende des Spielfeldes zu befördern. Wer zuerst 15 Punkte erzielt, gewinnt. Zeitlimit: 90 Minuten. Der Haken: Wer das Frisbee in der Hand hat, muss stehenbleiben, darf nur noch einen – aus dem Basketball bekannten – Sternschritt machen, also nur einen Fuß bewegen.

"Eine idealistische Sportart"

Die aktuellen Meisterinnen von Box trainieren zweimal wöchentlich auf einem Kunstrasenplatz im zweiten Wiener Bezirk, wo DER STANDARD Mitte Juli vorbeischaute. Nach Dehn- und Laufübungen, begleitet von Musik, bilden die rund 20 Frauen Pärchen. Im Abstand von rund zehn Metern werfen sie sich gegenseitig das Frisbee zu. Während bei Juxpartien im Park die Präzision manchmal zu wünschen übrig lässt, fangen die Spielerinnen die Scheibe meist locker, hie und da mit einem Sprung. Die eine wirft mit der Rückhand, die andere mit der Vorhand, eine andere wiederum mittels Bananenwurf über Kopf. "Eine gute Werferin macht aus, dass sie variieren kann", erklärt Rottensteiner und meint damit Wurftechnik, -weite und -stärke. Eine Kunststoffscheibe wiegt circa 175 Gramm.

Cilla Rottensteiner mit dem Spielgerät.
Regine Hendrich

"Es ist eine idealistische Sportart", sagt Rottensteiner. Fairplay ist keine leere Floskel, sondern wird groß geschrieben. Denn: Es gibt keinen Schiedsrichter. Körperkontakt ist grundsätzlich nicht erlaubt bzw. darf nicht initiiert werden. Prallen Spielerinnen aufeinander, klären sie die Situation untereinander. Bei Uneinigkeit wird das Spiel an der letzten unstrittigen Position fortgesetzt. "Im Fußball heulen sie rum, wenn sie jemand berührt, und rufen den Schiri. Bei uns passiert das nicht", sagt Rottensteiner über ihre Sportart.

"Wir sind noch keine Frisbee-Nation"

Diese wurde 1968 von Studenten der Columbia High School in New Jersey (USA) erfunden. Der Österreichische Frisbee-Sport Verband (ÖFSV) listet aktuell 53 Vereine und beinahe 3500 aktive Sportlerinnen und Sportler. Die Hälfte der Klubs widmet sich Discgolf, einer weiteren Frisbee-Disziplin. "Wir sind noch keine Frisbee-Nation", sagt Rottensteiner, die im ÖFSV-Beirat sitzt. "Wir wollen die Basis vergrößern, davon profitiert auch die Spitze."

Bei den Staatsmeisterschaften 2021 traten zehn Teams im Mixed-Bewerb an, sechs bei den Männern und fünf bei den Frauen. Mangels Konkurrenz ist es nicht leicht, an regelmäßige Spielpraxis auf hohem Niveau zu kommen. Der EÖFC organisiert jährlich ein eigenes Turnier, das Vienna Spring Break. Box nahm zudem im April bei einem Event in Bologna teil, im Juni holte man in London Platz drei und den Spirit Award als fairstes Team.

Ultimate sieht sich als internationale Gemeinschaft. Der Nachteil: Eine durchschnittliche Saison auf kompetitivem Niveau kostet rund 1000 bis 2000 Euro. Der Vorteil: Man vernetzt sich, findet Spieler, Freunde – und Trainer.

Singapur, Kanada, Österreich

Seit Mai 2021 coacht Inian Moorthy Box. Bei einem Turnier in Berlin kam er mit einem Teammitglied ins Gespräch. "In meinem Alter bin ich mittlerweile an der Seitenlinie nutzvoller als auf dem Spielfeld", erklärt der 42-Jährige seine Zusage. Der Umweltforscher wurde in Singapur geboren, lebte dann einige Jahre in Kanada, Europa und seit einiger Zeit in Wien. Im Frisbee-Sport ist er seit 2001 verankert, spielte für Teams in Toronto, Schweden und der Schweiz. "Nun möchte ich etwas an die Gemeinschaft zurückgeben und jungen Leuten helfen."

Coach Inian Moorthy.
Regine Hendrich

Im Training setzt er dies in die Tat um und verordnet zuerst "Twinni", dann "Cornetto". Was nach einer Eispause während der aktuellen Hitze klingt, sind eigentlich Spielzüge im Box-Playbook. Denn die permanente Frage auf dem Spielfeld lautet: Wie kann man sich freilaufen und die Gegnerin abschütteln? Einstudierte Wege helfen dabei, Kondition sowieso. Rottensteiner nahm mal einen Freund zu einem Spiel mit, der danach verwundert feststellte: "Ihr müsst ja richtig viel laufen."

Weltmeisterschaft in Cincinnati

Mittlerweile läuft das Trainingsmatch. Zack, zack, zack, zack, zack. Mit fünf Würfen geht’s in die Endzone. "War das geil", lobt eine Spielerin die Kombination. Normalerweise ist mehr Geduld gefordert. Normalerweise muss man sich Stück für Stück nach vorne arbeiten.

Das blüht auch bei der Klub-Weltmeisterschaft von 23. bis 30. Juli in Cincinnati (USA). Im Mixed-Bewerb starten das Wiener Wunderteam und Catchup (Graz). Box trifft auf Swampybarg (Japan), Chicago Nemesis (USA), Pangolins (Singapur) und Salty (Kanada). Zumindest Platz vier müsste her, um in der zweiten Gruppenphase Chancen aufs Achtelfinale zu haben. Das Ziel unter 40 Teams? "Die Top 20 und Erfahrung sammeln", sagt Moorthy. Darin sieht er auch den Unterschied zu Hochburgen in Nordamerika, wo bereits eine semiprofessionelle Liga existiert. "Dort kommen Spieler früher in Kontakt mit der Sportart. Sie ist an den Highschools und Unis verankert."

Körpereinsatz, um die Scheibe herunterzuklauben.
Regine Hendrich

Der ÖFSV geht ähnliche Wege, organisiert Schulbewerbe. Ultimate-Anfängerkurse am Universitätssportinstitut Wien waren zuletzt ausgebucht. Studentinnen stellen rund die Hälfte des Box-Kaders, die jüngste ist 21, die älteste 35. Moorthy beendet das Training mit einer Ansprache. "Es ist normal, vor so einem großen Turnier nervös zu sein", sagt er. "Aber denkt daran, wie viel Arbeit ihr reingesteckt habt. Es wird eine großartige Erfahrung." (Andreas Gstaltmeyr, 22.7.2022)