Der Linke Fernerkogel sollte zwar nicht gesprengt, aber seilbahntechnisch erschlossen werden. Die Pitztaler verhinderten das mit ihrem Nein.

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Innsbruck – Die Entscheidung fiel denkbar knapp und vor allem unerwartet aus. Am Sonntag sprach sich eine Mehrheit der Bevölkerung von St. Leonhard im Pitztal gegen den geplanten Zusammenschluss ihres Gletscherskigebietes mit jenen im benachbarten Ötztal aus. 50,36 Prozent ist zwar nur eine hauchdünne Mehrheit, doch mit diesem Nein hatte in der Tourismusgemeinde kaum jemand gerechnet. Umso klarer waren die Reaktionen auf die Abstimmung.

Noch am Sonntag gaben die Pitztaler Gletscherbahnen, die mit 130 Millionen Euro die Hauptlast des Projekts hätten stemmen müssen, bekannt, dass sie den Zusammenschluss nicht weiterverfolgen werden. Denn die Zustimmung der Standortgemeinde St. Leonhard sei für sie "von Anfang an Grundvoraussetzung" gewesen, wie das Unternehmen in einer Pressemeldung erklärte.

Bürgermeister: "Entscheidung ist gefallen"

Bisher sei man der Meinung gewesen, diesen Rückhalt in der Bevölkerung zu genießen, hieß es mit Verweis auf "mehrere, einstimmige Beschlüsse im Gemeinderat". Doch offenbar hatten die Volksvertreter die Stimmung im Ort missinterpretiert. Für Bürgermeister Elmar Haid (ÖVP) ist das Ergebnis der Befragung aber ebenfalls bindend, wie er gegenüber dem STANDARD am Montag erklärte: "Die Entscheidung ist gefallen und zu akzeptieren. Zudem hat der Betreiber selbst das Projekt auf Eis gelegt."

Die Ortspolitik stand bis zuletzt hinter dem Zusammenschluss. St. Leonhard versprach sich davon touristischen Aufschwung durch eine Modernisierung der Liftanlagen und Pisten. Denn man nennt zwar das höchstgelegene Gletscherskigebiet Österreichs sein eigen, doch es fehlt bis heute etwa eine Talabfahrt. "Ja, das wäre wünschenswert, so wie eine zweite Zubringerbahn", bestätigte Haid.

Nachdenkpause seit 2020

Wobei das Aus für das Megaprojekt nicht ganz so plötzlich kommt. Denn schon seit Anfang 2020 liegt es de facto auf Eis. Die Investoren verordneten sich nach einer Phase des heftigen öffentlichen Schlagabtausches rund um den geplanten Zusammenschluss – die Wogen gingen medial hoch, als die deutsche Bild Zeitung fälschlich berichtete, dass man einen ganzen Gipfel für die neue Seilbahn wegsprengen wolle – selbst eine Nachdenkpause, bevor es zur ersten mündlichen Verhandlung im Zuge des Umweltverträglichkeitsverfahrens gekommen wäre. Bis August 2022 hätten sie nun entscheiden müssen, ob sie das Verfahren fortsetzen wollen. Durch die Volksbefragung hat sich dies nun erübrigt.

Politisch ist das Ergebnis der Volksbefragung ein willkommenes Thema für den bereits anlaufenden Landtagswahlkampf. Während die regierende ÖVP versucht, die Sache möglichst kleinzuhalten, hat ihr grüner Koalitionspartner am Montag bereits zur Pressekonferenz geladen. Der neue ÖVP-Chef und Spitzenkandidat Anton Mattle erklärte, die Entscheidung der Pitztaler "auf jeden Fall zu akzeptieren", und plädierte dafür, das Projekt nicht weiterzuverfolgen.

Grüner Druck auf ÖVP

Sein grüner Nochpartner und Spitzenkandidat Gebi Mair sieht wiederum die Chance, nun zusammen mit der ÖVP den Gletscherschutz in Tirol "außer Streit zu stellen". Man könne als Landesregierung die möglichen Erweiterungsflächen, die es derzeit noch für Gletscherskigebiete gibt, durch eine Änderung des Raumordnungsprogramms quasi abschaffen. "Es liegt nun in der Hand der ÖVP", machte Mair Druck.

Die Antwort lieferte den Grünen umgehend der für Raumordnung zuständige ÖVP-Landesrat Johannes Tratter. Er will dem Thema "eine zentrale Rolle bei den nächsten Koalitionsverhandlungen" einräumen, verwehre sich aber gegen "wahlkampfbedingte Schnellschüsse" von Fraktionen, die sich "positionieren und mit Forderungen medial in Stellung zu bringen" wollen.

Opposition mit geteilter Meinung

Neos-Spitzenkandidat Dominik Oberhofer sieht darin "eine verlogene Diskussion" und fordert vielmehr ein Nachdenken über "weniger Skigebiete" in Tirol. Vor allem jene, die nur dank Förderungen überleben, seien ihm ein Dorn im Auge. Gletscherskigebieten stehe er grundsätzlich offen gegenüber, allerdings sei das Ergebnis der Volksbefragung zu akzeptieren, betonte Oberhofer.

Liste-Fritz-Obmann Markus Sint sieht im Nein der Pitztaler ein Zeichen dafür, dass die Tiroler insgesamt umdenken, was Massentourismus angehe: "Der eigene intakte Lebens- und Wirtschaftsraum steht vor kurzfristigen Profitinteressen. Die Pitztaler Bürger und immer mehr Tiroler haben genug von Übererschließung und Massentourismus mit Massenverkehr. Noch mehr Seilbahnen, noch mehr Pistenkilometer, noch mehr Gästebetten bringen immer noch mehr Verkehr." (Steffen Arora, 18.7.2022)