Das Café Ritter in Ottakring wurde 2017 wiedereröffnet, geriet wegen der Pandemie aber ins Straucheln.

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Mit seinen hohen, hellen Räumen, dem dunklen Parkettboden und den goldenen Lampen strotzt das Café Ritter in Wien-Ottakring nur so vor Geschichte. Dass das Lokal auch eine Zukunft hat, war im März 2020, als die Pandemie über Österreich hereinbrach, aber alles andere als sicher. "Plötzlich ist der gesamte Umsatz weggefallen", sagt Eigentümerin Martina Postl. Danach musste das Café zunächst für zwei Monate, dann für weitere sieben Monate zusperren. Mitte 2021 stand sein Fortbestand auf der Kippe. "Erst das Projekt ‚Stolz auf Wien‘ brachte Erleichterung", erzählt Postl. "Andernfalls hätten wir zusperren müssen."

Der rote Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke hatte das Programm im Jahr 2020 ins Leben gerufen. Ziel ist es, Unternehmen zu stützen, die wegen der Pandemie ins Schleudern geraten sind. Das Modell sieht vor, dass sich die Stadt mit einem Anteil von bis zu 20 Prozent und maximal zwei Millionen Euro an einer Firma beteiligt. Nach sieben Jahren müssen die Betriebe oder andere Investoren die Anteile zurückkaufen. Die Hälfte der 40 Millionen Euro, die dafür anberaumt wurden, kommt von der Stadt, die andere von der Wirtschaftskammer, Banken und Versicherungen.

Stadt mischt sich nicht ein

Nach großen Ankündigungen der Stadtregierung lief die Umsetzung zunächst aber nur schleppend an. Das rechtliche Konstrukt war komplex, die Kriterien für die Beteiligungen waren streng. Dementsprechend dauerte es, bis erste Gelder flossen. Für viele Gastronomiebetriebe war das erste Modell zudem nicht geeignet. Die Stadt Wien rief daher im Jahr 2021 "Stolz auf Wien 2" ins Leben, an dem sich schließlich auch das Café Ritter beteiligte. Die Stadt Wien setzte im zweiten Projekt auf sogenannte Genussscheine – eine Mischform aus Eigen- und Fremdkapital. Postl bekam einen Kredit mit zweieinhalb Prozent Zinsen. Dafür muss sie der Stadt regelmäßig Geschäftszahlen liefern. "In den laufenden Betrieb mischt sie sich aber nicht ein", sagt Postl, die das Café Ende 2016 neu übernommen hatte und kurz vor der Pandemie zum ersten Mal in schwarze Zahlen hievte.

"Dass KMUs Eigenkapital brauchen, um diese Krise zu überstehen, hat die Stadt Wien relativ schnell erkannt. Als staatliche Institution solchen Firmen Geld zuzuschießen ist aber gar nicht so einfach", sagt Paul Pichler vom Institut für Volkswirtschaftslehre an der Uni Wien im Gespräch mit dem STANDARD. Bei "Stolz auf Wien" hat man sich deshalb dazu entschlossen, Anteile bzw. Genussscheine zu kaufen. Das bringt den Unternehmen nicht nur Liquidität, sondern hat den Effekt, dass sie auch für Banken oder andere Investoren wieder kreditwürdiger werden.

Insgesamt hält Wien nun Beteiligungen an 32 Unternehmen, dadurch seien laut Hanke rund 700 Arbeitsplätze gesichert worden. Groß skalieren lässt sich das Instrument laut Pichler allerdings nicht. Man müsse abwägen, ob die Unternehmen überlebensfähig sind. Im konkreten Fall gaben Wirtschaftsprüfer und ein Expertenbeirat ihre Einschätzung ab. "Es war eine gute Ergänzung, aber für alle Unternehmen hätte der Bund etwa so etwas nicht machen können", sagt Pichler. Wie ein aktueller Fall zeigt, sind die Investments zudem nicht risikolos. Erst kürzlich musste das Restaurant Berger & Lohn, in das die Stadt einen fünfstelligen Betrag investiert hat, Insolvenz anmelden. Das Lokal hat nun ein Sanierungsverfahren beantragt. Noch sei also kein Geld verloren, heißt es seitens der Stadt.

Kritik an "Wiener Identität"

Aber nach welchen Kriterien wurden die Unternehmen überhaupt ausgewählt? Es braucht ein "zukunftsfähiges Geschäftsmodell" und eine "hohe volkswirtschaftliche Bedeutung". Zudem muss das Geld "eine relevante Anzahl an Arbeitsplätzen" sichern, heißt es in den Vorgaben. Doch eine weitere Richtlinie stößt Kritikern, allen voran der Opposition, sauer auf: "Teil der Wiener Identität sein und eine entsprechende Relevanz über Wien hinaus vorweisen können" lautet diese.

"Das Kriterium der ‚Wiener Identität‘ schafft einen Freiheitsgrad. Ökonomisch gesehen spielt das keine Rolle", sagt Wifo-Ökonom Peter Mayerhofer. Es gehe aber bei Förderungen nicht nur um rein ökonomische Legitimation. Mayerhofer lobt die Branchendurchmischung und Auswahlkriterien, kritisiert jedoch, dass der Aufwand für die "verhältnismäßig geringe Maßnahme" groß sei.

Für das Café Ritter hatte die geringe Maßnahme jedenfalls enorme Bedeutung. Eigentümerin Postl freut sich, dass nach Auslaufen der Corona-Maßnahmen nun auch die Gäste wieder ins Café zurückkehren. Sie rechnet zwar damit, dass aufgrund der hohen Inflation im Herbst wieder etwas weniger Kunden kommen. Dass das Café in eine ähnliche Situation schlittert wie im Jahr 2021, glaubt sie aber nicht. Schließlich habe sie nun wieder laufend geöffnet – so wie es sich für ein Wiener Kaffeehaus gehöre. "Ein Kaffeehaus ist ein zweites Wohnzimmer. Und Wohnzimmer haben 365 Tage im Jahr offen." (Andreas Danzer, Jakob Pflügl, Stefanie Rachbauer, 19.7.2022)