Liz Truss, Kemi Badenoch, Tom Tugendhat (von links nach rechts) und Rishi Sunak (von hinten) bei der TV-Debatte am Sonntag.

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Notbremse zu Wochenbeginn: Nach dem verheerenden Echo auf zwei TV-Debatten am Wochenende haben die Kandidaten für die Nachfolge von Premier Boris Johnson am Montag ihre Teilnahme am dritten Live-Schaulaufen abgesagt. Offenbar hatten die konservative Parteizentrale sowie prominente Unterstützer dringend den Rückzug hinter verschlossene Türen gefordert. Im Parlament von Westminster scheine man noch nicht verstanden zu haben, "wie tief die Torys mit ihrem unehrenhaften und schlechten Regierungschef in der Scheiße sitzen", teilte Millionenspender John Armitage der BBC mit.

Johnson hatte am Wochenende Kritik dafür geerntet, dass er die Sitzungen des Londoner Hitze-Krisenstabes nicht persönlich geleitet hatte. Stattdessen feierte der 58-Jährige mit 130 Getreuen eine Sommer-Party auf seinem Landsitz in Chequers. Am Montag Nachmittag hingegen erschien der Premierminister höchstpersönlich im gut gekühlten Plenarsaal, wo Speaker Lyndsay Hoyle ausnahmsweise Männern erlaubt hatte, Jacketts und Krawatten abzulegen.

In seiner bekannten Mischung aus Versprechungen und Wunschdenken, vermischt mit der ein oder anderen Tatsache, verteidigte Johnson seine zu Ende gehende Amtszeit gegen ein Misstrauensvotum, das kurioserweise von der eigenen Regierung eingebracht worden war. Einen entsprechenden Labour-Antrag, der auf seine sofortige Ablösung abzielte, hatte die Regierung vergangene Woche mit der Begründung abgelehnt, dieser könne sich nicht persönlich gegen den Premierminister richten.

Opposition spricht von Farce

Oppositionsführer Keir Starmer verwies auf die TV-Debatte vom Abend zuvor. Dort hatten sämtliche drei Frauen und zwei Männer die Frage verneint, ob sie ihrem bisherigen Chef einen Posten im Kabinett anbieten würden. "Aber heute sprechen sie ihm das Vertrauen aus, das wird hier wirklich zur Farce", sagte Starmer. Tatsächlich galt die Ablehnung des Misstrauensantrags schon vorab als sicher; zu sehr sind die Torys mit sich selbst beschäftigt, als dass sie den Zeitplan für die Johnson-Nachfolge in Frage stellen würden. Dieser sieht die Übernahme durch die neue Frau oder den neuen Mann am 6. September vor.

Weitere Wahlgänge der 358 Mitglieder starken Unterhausfraktion sollen bis Mittwochabend klären, welche beiden Parlamentarier sich der Urwahl durch das konservative Parteivolk stellen dürfen. Am Montag schied der Hinterbänkler Tom Tugendhat aus dem Rennen. Wieder lag Ex-Finanzminister Rishi Sunak eindeutig in Führung; auch die amtierende Außenministerin Liz Truss konnte zulegen, während die Zweitplatzierte, Handelsstaatssekretärin Penny Mordaunt, eine Stimme einbüßte.

Wie heftig sich diese drei sowie die zurückgetretene Regionalstaatssekretärin Kemi Badenoch am Sonntag Abend beharkten, löste bei vielen Beobachtern Bestürzung aus. Von einem "kollektivem Nervenzusammenbruch" sprach Fraser Nelson, Chefredakteur des konservativen Magazins "Spectator". Der erfahrene Politikchef des Kommerzsenders ITV, Robert Peston, warnte vor einem "Desaster" für die mit der Farbe Blau assoziierte Regierungspartei: "So viele offenherzige Blau-gegen-Blau-Attacken habe ich noch nie erlebt."

Angriffe auf Sunak

Nicht nur verrieten Truss und Badenoch interne Regierungsdiskussionen, was unter normalen Umständen die sofortige Amtsentlassung zur Folge hätte. Sie nutzten diese Interna auch zu brutalen Angriffen auf den bis Monatsbeginn amtierenden Finanzchef Sunak: Dieser habe durch falsche Politik "die bevorstehende Rezession zu verantworten", behauptete die frühere Kabinettskollegin Truss. Der 42-Jährige schlug mit aller Härte zurück: Truss‘ Vorschläge einer sofortigen Steuersenkung sowie Mordaunts Bereitschaft, laufende Ausgaben durch Neuverschuldung zu finanzieren, seien "ökonomische Märchen", wie man sie eigentlich "von Sozialisten" erwarte.

Kurz kam diesmal auch der Klimawandel zur Sprache, der in der bisherigen Debatte noch keine Rolle gespielt hatte. Zwar beteuerte das Quartett geschlossen, man halte am "net Zero"-Termin 2050 fest; vor allem Badenoch aber schränkte das Versprechen sofort mit der Bemerkung ein, die Dekarbonisierung der Gesellschaft müsse "ökonomisch verkraftbar" sein.

Die mit einem Schotten verheiratete Tochter nigerianischer Eltern hat es in den letzten Tagen zum Liebling der Partei-Rechten gebracht. Auch der frühere Parteispender Armitage zählt zu ihren Fans, allerdings vor allem deshalb, weil er von den anderen Kandidaten wenig hält. Geld geben aber werde er den Konservativen erst dann wieder, "wenn sie auf schlüssige und seriöse Weise regieren". (Sebastian Borger aus London, 18.7.2022)