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Das Kind macht, was es will: Das sind die "terrible two", die manchmal auch noch einige Jahre länger dauern können.

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Frage:

"Unser Kind ist zweieinhalb und wohl auch deshalb gerade in einer sehr "speziellen" Phase. Anders gesagt: Es tanzt uns auf der Nase herum. Wenn er etwas haben möchte oder etwas nicht so läuft, wie er will, fängt er an, unerträglich zu quengeln oder protestiert lautstark. Außerdem schmeißt er frisch gewaschene und zusammengelegte Wäsche vom Bett, verteilt Milch auf dem Holztisch oder wirft Essen auf den Boden.

Wir wissen, dass es jetzt darum geht, ihm Grenzen aufzuzeigen. Bisher machen wir es so, dass wir ruhig, aber bestimmt sagen, dass das so nicht geht. Dass Mama und Papa sich ärgern, weil sie nun alles aufräumen müssen – und dass Essen doch wirklich zu schade ist für den Boden. Aber in Wahrheit sind wir unsicher, ob das wirklich die richtige Methode ist. Können Sie uns weiterhelfen und ein paar Tipps geben?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Die "terrible twos", die ihr Sohn gerade so heftig auslebt, sind eine ganz normale Entwicklungsphase. Geschuldet sind sie der Tatsache, dass nach der triumphalen Eroberung der Welt durch das selbstständige Laufen auf einmal überall Grenzen lauern. Und zu allem Überfluss erlaubt der eigene Willen nicht, dass alles wahr wird, was gewollt wird, und das alle anderen so springen, wie es gewünscht wird. Die Folge davon ist Wut. Das ist ganz normal, und das muss und sollte kein Drama sein – genau so, wie Sie es auch beschreiben.

Wichtig dabei und von mir schon mehrfach in anderen Artikeln angeführt: Wut kann wie alle Gefühle nicht verboten werden, weil Gefühle im limbischen System unseres Gehirns viel schneller entstehen als jede mögliche Kontrolle durch die komplexen Strukturen des Großhirns, dem Ort, an dem unser menschlicher Verstand sitzt.

Als Kleinkind lernen wir unsere eigenen Gefühle nur dadurch verstehen, dass wir sie lebendig von unserem Gegenüber gespiegelt bekommen. Das gilt für das ganze Spektrum an Gefühlen. Nur wenn sämtliche Gefühle geteilt und der Umgang mit ihnen vorgelebt wird, kann ein Kind sie einordnen und zunehmend auch gezielt nutzen lernen. Dazu gehört eben auch, dass Eltern selbst manchmal etwas nicht passt – so wie in Ihrem Beispiel, wenn Milch und Essen durch die Luft fliegen.

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017), "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018) und "Was ist wirklich wichtig im Leben?" (2021).
Foto: Andrea Diemand

Was sollen Sie nun ganz konkret machen? Ganz einfach: Als Erstes sollten Sie den Blick auf ihre eigenen Gefühle richten. Auf das, was Sie empfinden, wenn Sie miterleben, wie Ihr Sohn sich im Moment der plötzlichen Frustration in seine aufkeimende Trotzphase hineinsteigert. Dann werden Sie erkennen, wie unglaublich schnell Sie sein Gefühl teilen – Stichwort: Spiegelneuronen. Die Wut, die in Ihnen spürbar wird, vermittelt Ihnen ein lebendiges Bild davon, wie heftig die Wut Ihres Kleinen kochen muss.

Auf dieser solide gefühlten Grundlage können Sie ihm dann verdeutlichen, dass Sie zwar verstehen, dass er jetzt wütend ist, und dass das durchaus normal und deshalb nichts Dramatisches ist, aber dass es trotzdem bei dem von Ihnen gewählten "Nein" bleibt. Aus den von Ihnen gewählten Gründen, ganz so, wie Sie das auch beschreiben, also richtig machen.

Natürlich tobt Ihr Sohn dann erst einmal weiter. Jetzt erst recht. Doch mit ein wenig Geduld legt sich das wieder. Garantiert. Wichtig in so einer Situation ist es in jedem Fall, dass Sie sich Ihren eigenen Ärger eingestehen. Dadurch behalten Sie einen klaren Kopf, und dadurch sind Sie zudem in der Lage, Ihre Grenze mit dem echten, dazu passenden Gefühl zu unterfüttern. Wenn die Geduld ausgereizt ist, dann bringt ein freundliches "Also, weißt du, das mag die Mami aber wirklich nicht" gar nichts. Ehrlich währt am längsten, auch und gerade im Spüren und Erklären von Gefühlen. Vielleicht ist das ein Punkt, an dem Sie noch klarer und nachvollziehbarer sein könnten. Gut gemeinte Milde mit einem verschmitzten "Er ist ja trotzdem süß" (was er natürlich ist!) ist missverständlich, weil nicht eindeutig.

Sie sollten Ihrem Sohn also klar zu verstehen geben, dass Ihnen sein Aufstand nicht passt. Dadurch leben Sie ihm vor, dass auch Sie selbst Gefühle haben. Und dass die sein dürfen – so wie seine – und ebenfalls etwas ganz Normales sind. Zugleich zeigen Sie ihm, wozu Gefühle gut sind, wenn Sie Ihre eigene Wut dazu nutzen, um das, was Ihnen an seinem Verhalten nicht gefällt, zu begrenzen.

Wenn sich der Sturm gelegt hat, können Sie schrittweise damit beginnen, ihm zu erklären, dass es zwar gemein und ärgerlich ist, wenn er etwas nicht darf, aber dass dieser Ärger offenkundig vorübergeht. Dass auch solche heftigen und nicht immer angenehmen Gefühle ganz normal sind und zum Leben dazugehören.

Genau in solchen alltäglichen Episoden leben Eltern ihren Kindern glaubhaft und nachvollziehbar vor, dass Gefühle kommen und gehen. Ohne dass das ein Drama sein muss. Dadurch helfen Sie Ihren Kindern dabei, ihre eigenen Gefühle anzunehmen und sich mit ihnen zu arrangieren. Wege zu finden, um sie schneller wieder loszuwerden, oder besser noch, um sie konstruktiv zu nutzen. Sie sind da offenbar auf dem richtigen Weg, auch wenn der Geduld fordert. Aber keine Sorge, das wird schon. (Hans-Otto Thomashoff, 21.7.2022)

Antwort von Linda Syllaba:

Willkommen in der Trotzphase – das ist die Zeit, in der die Eltern trotzig werden (laut meinem Lehrer Jesper Juul). Anders genannt ist das die Autonomiephase, in der ihr Kind beginnt, sich als Individuum zu begreifen, mit eigenen Vorstellungen, Wünschen, Ideen und Plänen. Das ist eine gute Nachricht, denn es bedeutet, Sie haben ein sehr gesundes Kind. Ich will Sie dringend ermutigen, alles, was Ihr Kind ab jetzt tut, als etwas zu betrachten, das es für sich selbst tut und keinesfalls GEGEN Sie! Ja, Ihr Sohn hat einen eigenen Willen und Interesse daran, diesen durchzubringen. Deshalb wird er auch weiterhin immer wieder Versuche dazu machen. Zu Recht. Sie haben ja auch Ihre Vorstellungen, Wünsche, Ideen und Pläne und verfolgen diese. Gelegentlich treffen diese Vorstellungen aufeinander, und dann haben Sie einen Konflikt. Das ist etwas ganz Natürliches, je enger Menschen zusammenleben, umso mehr unterschiedliche Ideen prallen aufeinander. Das ist gar nicht schlimm, sondern normal.

Schlimm ist es nur, wenn mit Gewalt versucht wird, den anderen davon zu überzeugen, dass ausschließlich die eigene Vorstellung richtig ist. Das, was dazwischen liegt, nennt man Zivilisation, also ein Prozess, durch den unsere Kinder gehen, um zu lernen, sozial verträglich miteinander umzugehen. Der wichtigste Teil, um das zu lernen, ist die Vorbildfunktion der Erwachsenen. Der Rest ist durch liebevolle Begleitung möglich.

Meine Empfehlung lautet: Zeigen und sagen Sie Ihrem Sohn sehr deutlich, wo IHRE Grenzen sind – hinsichtlich Vorstellungen, Meinungen, Werten und so weiter. Sprechen Sie dabei in der ICH-Sprache von sich selbst und vermeiden Sie es, sich selbst als "die Mama" oder "der Papa" zu bezeichnen. Sie werden umso greifbarer für Ihren Sohn, je persönlicher Sie sich ausdrücken. Er orientiert sich sowieso an Ihnen, also zeigen Sie ihm sehr klar, wer Sie sind, was Ihnen wichtig ist, was Sie mögen und was nicht.

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Sie ist Autorin der Bücher "Die Schimpf-Diät" (2019) und "Selfcare für Mamas" (2021).
Foto: Stefan Seelig

Gelegentlich wird es auch Situationen geben, in denen Sie laut und deutlich "Halt!", "Stopp!" oder schlicht "Nein" sagen werden müssen, denn was Ihrem Sohn mit zweieinhalb Jahren definitiv noch fehlt, ist Erfahrung. Er kann manche Dinge noch nicht einschätzen, darum braucht er Sie, um seine körperliche Unversehrtheit zu wahren. Sie sind auch für seine geistige und emotionale Integrität zuständig als Eltern. Deshalb empfehle ich Ihnen, bleiben Sie in wohlwollendem Kontakt mit Ihrem Sohn, und wenn etwas passiert, das Ihnen nicht gefällt, wie das mit der verschütteten Milch am Tisch, dann zeigen Sie ihm, was die Konsequenz ist: nämlich einen Lappen nehmen und wegwischen. Das versteht er schon und kann es sogar selbst machen. Vielleicht nicht ganz so, wie Sie sich das vorstellen, doch es geht um etwas anderes. Nämlich das Erkennen der Zusammenhänge und das Übernehmen von Verantwortung. Das können Kinder von klein auf lernen. Strafen und Schimpfen können das niemals so gut lehren.

Wenn Sie Nein sagen zu etwas, das Ihr Sohn gern hätte, rechnen Sie mit seinem Protest. Es ist sein gutes Recht, zumindest zu protestieren, wenn seine Wünsche nicht erfüllt werden.

Entscheidend ist, dass Sie sich darüber im Klaren sind, was der Unterschied zwischen einem Wunsch und einem Bedürfnis ist. Zu Wünschen dürfen und müssen Sie im Laufe seiner Kindheit immer wieder Nein sagen, das wird gar nicht anders möglich sein. Außerdem muss Ihr Sohn auch lernen, mit dem Frust umzugehen, den es bedeutet, eben nicht immer alles zu bekommen, was er gerne hätte. Das ist wirklich wichtig für seine persönliche Entwicklung und seine soziale Kompetenz. Mit Empathie und Geduld können Sie solche Momente gut aushalten – Ihrem Sohn zuliebe. Ich traue mich zu versprechen, es wird besser, wenn er weiß, woran er bei Ihnen ist. Und bleiben Sie geduldig, mit sich selbst und mit Ihrem Sohn! Lernprozesse brauchen nun mal Zeit und viele, viele Wiederholungen. (Linda Syllaba, 21.7.2022)