Die Biologie, die ist am Dienstag am Wiener Karlsplatz gehörig durcheinandergekommen. Kurz nach 9 Uhr flog dort ein Tier durch die Luft, das für gewöhnlich im Wasser schwimmt: ein riesiger Wal. Der noch dazu von den Anwesenden – falsch, aber konsequent – als "Walfisch" bezeichnet wurde.
Wie diese Unordnung zustande kam, ist rasch erklärt. Bei dem fliegenden Wal handelt es sich um jene historische Skulptur, die mehr als 60 Jahre das mittlerweile geschlossene Gasthaus Zum Walfisch im Wurstelprater geziert hat und so etwas wie dessen Wahrzeichen geworden ist. 2016 kam der Wal in den Besitz des Wien-Museums, in den vergangenen Jahren wurde er in dessen Depot im niederösterreichischen Himberg restauriert.
In Spezialfolien eingewickelt und auf einen Transporter geschnallt, kam die Skulptur am Dienstag schließlich auf den Wiener Karlsplatz – wo der Praterwal mit einem Kran in das dortige Museumsgebäude gehievt wurde. Dabei zog er die Blicke auf sich: Wer gerade zufällig zugegen war, blieb stehen, um die ungewöhnliche Szenerie zu beobachten und mit dem Handy zu filmen.
Für das neue Wien-Museum markiert der Einzug des Praterwals einen Meilenstein. Immerhin ist er das erste Exponat, das dort einquartiert wurde. Das denkmalgeschützte, von Architekt Oswald Haerdtl entworfene Stammhaus des Stadtmuseums wird seit 2020 aufwendig umgebaut. Der Altbau wird saniert und um zwei Stockwerke mit Ausstellungssälen und Werkstätten sowie um ein Depot im Keller ergänzt.
Bis all das fertig ist, dauert es allerdings noch, die Eröffnung ist für Ende 2023 angesetzt. Der Wal haust nun also auf einer Großbaustelle. Doch wozu die Eile?
300 Kilogramm zugenommen
Diese war wegen der gewaltigen Dimensionen der Skulptur geboten. Vom Maul bis zum hintersten Punkt der Schwanzflosse misst der Wal fast zehn Meter. Mit ausgeklappten Flossen ist er 2,7 Meter breit und 3,2 Meter hoch. Und er bringt ein stattliches Gewicht von 1,7 Tonnen auf die Waage. Die einzige Chance, dieses Ungetüm ins neue Wien-Museum zu bringen, bot sich jetzt, solange das Gebäude noch im Rohzustand ist.
In seiner Zeit in Himberg hat der Wal ordentlich zugelegt: Rund 300 Kilogramm seines Gewichts entfallen allein auf Balken im Inneren, die ihm Fachleute vom Wien-Museum verpasst haben. Die Balken sollen die originale Holzkonstruktion, die quasi das Skelett bildet, verstärken. Die Verkleidung besteht aus 60 grün patinierten Kupferblechen, die miteinander verlötet sind. Diese wurden vor der Übersiedlung gereinigt und restauriert.
Auch das Sehvermögen des Wals wurde wiederhergestellt: "Die Augen sind aus blauen Glühbirnen, wir haben dafür alte Exemplare gesucht und ergänzt", sagt Restauratorin Regula Künzl im Gespräch mit dem STANDARD.
Als der Wal noch Gasthausattraktion war, leuchteten seine Augen im Dunkeln. Diese technische Spielerei funktioniert laut Künzel aber nicht mehr. Früher konnte der Wal sogar Wasser ausstoßen, die Vorrichtung dafür sei aber ebenfalls defekt.
Wiener Wal-Disneyland
Entworfen hat den Praterwal einst Maria Benke, eine junge Absolventin der Akademie für angewandte Kunst. Anlass war die Neueröffnung des Gasthauses Zum Walfisch im Jahr 1951. Der erste Nachweis für das Lokal geht auf das Jahr 1782 zurück. In der Folge hatte es wechselnde Besitzer, die die Gastwirtschaft um verschiedene Attraktionen ergänzten.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde etwa der Name in der Lokalgestaltung aufgegriffen: Gäste traten damals über einen Torbogen ein, der von einer Rippe und den Unterkieferknochen eines echten Wals gebildet wurde. Zusätzlich gab es die Walfischgrottenbahn, die erste elektrische Grottenbahn Europas.
2013 wurde das Gasthaus schließlich abgerissen. Der Praterwal konnte allerdings von einer Bau- und Abbruchfirma gerettet werden. Diese lagerte ihn ein und schenkte ihn schließlich dem Wien-Museum.
Gut eingepackter Beobachter
Künftig wird der Praterwal in bester Gesellschaft abhängen. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Er wird – wie auch die bekannte Bürgermeisterkutsche – von der Decke der neuen Museumshalle baumelnd präsentiert.
Seinen neuen Platz mit bester Sicht auf den Baufortschritt bezieht der Wal bereits am Mittwoch. An sechs Seilen wird er auf Höhe des dritten Stocks emporgezogen. Zuvor wird die äußerste Transportfolie entfernt – und gegen Baufolie getauscht. Darunter befindet sich atmungsaktives Vlies. Diese Hülle soll den Wal so gut wie möglich vor Staub und Schmutz schützen.
Ganz fremd sind ihm sein neues Habitat und der Rummel um ihn übrigens nicht. Als der Wal in den 1950er-Jahren in den Prater transportiert wurde, führte der Weg am Karlsplatz vorbei. Filmisch festgehalten wurde der Transport damals auch: Für einen Werbespot der Gösser-Brauerei, ihres Zeichens Bierlieferantin des Gasthauses Zum Walfisch. (Stefanie Rachbauer, 19.7.2022)