China ist ein großes Land, doch selbst für die Volksrepublik sind 296 Milliarden US-Dollar (288 Mrd. Euro) eine große Summe. So hoch nämlich sind die Raten für Immobiliendarlehen, die gestundet werden sollen. So zumindest sieht das ein Plan der Finanzbehörde vor, um den wackelnden Immobiliensektor zu stabilisieren. Betroffen davon wären derzeit 230 Projekte in rund 80 Städten.

Der Plan ist aktuell auch bitternotwendig. Derzeit kommt es im gesamten Land nämlich zu Zahlungsboykotts. Zahlreiche Chinesen, die in den vergangenen Jahren noch nicht gebaute Wohnungen gekauft haben, wollten die Raten dafür nicht mehr bedienen. Der Grund: Der Bau der Wohnungen verzögert sich immer weiter.

In vielen Städten Chinas wurde zuletzt massiv gebaut. Der Bauboom gerät nun aber ins Stocken, womit eine gefährliche Entwicklung einsetzt.
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In den sozialen Foren des Landes verbreiteten sich am vergangenen Wochenende Aufrufe, die Zahlungen einzustellen. Lange dauerte es nicht, bis die Algorithmen und das Heer von Zensoren das Netz davon wieder sauber schrubbten. Klar aber ist: Chinas Immobiliensektor droht immer mehr zu einem sozialen Problem zu werden.

Überhitzte Branche

Chinas Immobilienbranche gilt seit Jahren als überhitzt. Da den Chinesen kaum etwas anderes übrig bleibt, als ihr Vermögen in Wohnungen zu investieren, floss immer mehr Geld in diesen Sektor. In der Folge stiegen die Preise.

Wer zum Beispiel Ende der Neunzigerjahre eine Drei-Zimmer-Wohnung in Schanghai für einen mittleren fünfstelligen Betrag erwarb, dürfte heute Millionär sein. Durch die hohen Wertsteigerungen floss noch mehr Geld in den Markt. Für die Immobilienentwickler hieß das: immer mehr Wohnungen, immer schneller gebaut. So wurde es Usus, Wohnungen zu verkaufen, die noch gar nicht gebaut waren. Bald wurde der Bau von bereits verkauften Wohnungen durch den Verkauf neuer Wohnungen finanziert – das sind bekannte Kennzeichnen eines Pyramidenspiels.

Das ging gut, solange sich die Maschinerie immer schneller drehte. Im Sommer vor zwei Jahren aber entschied die Regierung, Luft aus dem überhitzten Sektor zu lassen. Drei rote Linien sollten das schuldenbasierte Wachstum der Immobilienkonzerne bremsen. Diese besagten, dass das Verhältnis der Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten unter 70 Prozent liegen muss, der Nettoverschuldungsgrad nicht höher als 100 Prozent sein darf und das Verhältnis von liquiden Mitteln zu kurzfristigen Verbindlichkeiten größer als Faktor eins sein muss.

Viele Unternehme betroffen

Seitdem wankt der Sektor – allen voran geriet der zweitgrößte Immobilienkonzern des Landes, Evergrande, schnell in Schieflage. Insgesamt dürfte mindestens ein Fünftel aller Unternehmen aus der Branche betroffen sein. Dies wiederum bedeutet, dass Anleihen in der Höhe von knapp 90 Milliarden US-Dollar aktuell Gefahr laufen, nicht bedient werden zu können. Dies wiederum hat Auswirkungen auf zahlreiche mittlere und kleinere Banken.

In den vergangenen Wochen protestierten in der Provinz Henan tausende Menschen, weil ihre Sparguthaben seit April eingefroren sind. Es handelt sich um umgerechnet 1,5 Milliarden US-Dollar. Noch ist unklar, ob die Zahlungsunfähigkeit der Banken in Henan etwas mit den Turbulenzen auf dem Immobiliensektor zu tun haben. Gleichzeitig geben sie einen Vorgeschmack auf das, was passieren könnte, sollte es zu einem unkontrollierten Immobilien-Crash kommen.

Harte Landung

"Eine harte Landung des Sektors zu verhindern, sollte deswegen hohe Priorität haben", sagte deswegen Zhu Guangyao, ehemaliger stellvertretender Finanzminister des Landes.

Für die oberste Führung des Landes kommt all dies zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Anfang kommenden Jahres will sich Präsident Xi Jinping nämlich seine dritte Amtszeit bestätigen lassen. Das markiert auch einen Bruch in der politischen Geschichte des Landes, da seit Maos Tod die Herrschaft der Präsidenten auf zwei Amtsperioden beschränkt ist. (Philipp Mattheis, 20.7.2022)