Darja Kassatkina: "Es ist schwierig, und es bringt nichts, lange im Stillen zu bleiben."

Die russische Tennisspielerin Darja Kassatkina ist – oh Schreck! – homosexuell. In einer nur halbwegs vernünftigen Welt wäre das keine Meldung wert. Die Realität zeigt aber, dass darüber gesprochen werden muss. "Es ist schwierig, und es bringt nichts, lange im Stillen zu bleiben", sagt die 25-jährige Sportlerin.

Mit ihrem Coming-out liegt die aktuelle Nummer zwölf der Weltrangliste mit Russlands Machthabern nicht auf Linie. In einem Interview auf Youtube kritisiert sie die in ihrer Heimat weitverbreitete Homophobie. Das Thema Homosexualität sei "verboten". Homosexuell zu sein mache das Leben "ganz besonders in Russland" schwieriger.

Tatsächlich sind russische LGBT-Personen häufig Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt. Homosexualität galt in Russland bis 1993 als Verbrechen und bis 1999 als Geisteskrankheit. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden nach wie vor nicht anerkannt. Derzeit wollen Abgeordnete das sogenannte Homosexuellenpropagandagesetz verschärfen. Demnach sollen Darstellungen einer "nichttraditionellen" sexuellen Orientierung vollständig verboten werden.

Profis in Gefahr

Sich in diesem Umfeld aufzulehnen erfordert Mut. In Russland wird auch mit Sportlern und Sportlerinnen nicht gerade zimperlich umgegangen. Zur Erinnerung: Die US-Basketballerin Brittney Griner schmort seit Monaten wegen etwas Haschischöl im Gefängnis. Der russische Eishockey-Goalie Iwan Fedotow wurde kurz vor seinem Wechsel nach Philadelphia auf einen Marinestützpunkt der Nordmeerflotte versetzt. Im Verhör soll Fedotow plötzlich schlecht geworden sein. Zufälle gibt’s.

Darja Sergejewna Kassatkina wurde 1997 in Toljatti, 800 Kilometer südöstlich von Moskau, geboren. Im Alter von sechs Jahren nahm die Tochter einer Anwältin und eines Ingenieurs erstmals das Racket zur Hand, das Talent der Kleinen soll offenkundig gewesen sein.

2014 gewann Kassatkina die French Open der Juniorinnen, im selben Jahr debütierte sie auf der Profitour. Mittlerweile hat die Frau vier WTA-Titel gewonnen und mehr als acht Millionen US-Dollar eingespielt. In Paris hat sie im Juni das Halbfinale erreicht, an Wimbledon durfte die seit Jahren in Dubai und Spanien lebende Russin nicht teilnehmen.

"Ja, ich habe eine Freundin", sagt Kassatkina und veröffentlicht auf Instagram ein Foto mit der russischen Eiskunstläuferin Natalja Sabijako. Der weise Nachsatz: "Mit sich selbst in Frieden zu leben ist das Einzige, was zählt." (Philip Bauer, 19.7.2022)