Eine kleine Gruppe Höhlenforschender erkundete 2020 eine davor unbekannte unterirdische Welt im Nordosten Indiens. Der Eingang der Höhle ist vertikal, jeden Tag mussten sich die Expeditionsteilnehmer vor ihren Erkundungen dutzende Meter abseilen. Und jeden Tag wagte man sich ein Stück weiter in die enge und verschlungene Unterwelt vor.

Über einen Kilometer hinweg mussten sich die Forschenden jeweils auf Händen und Füßen fortbewegen. Nach zwei Wochen mühsamer Erkundungen kam die Überraschung. "Wir brachen in eine große unterirdische Flusspassage durch, die wir wie durch ein Fenster von oben überblickten. Ein wunderschöner, grün erscheinender Wasserstrom schlängelte sich unter uns durch die Höhle", blickt Gina Moseley zurück.

Gina Moseley nutzt Eishöhlen als unterirdische Klimaarchive: Die gesammelten Daten sollen Aufschluss über das heutige, vom Menschen geprägte Klima geben.
Foto: Rolex/Stefan Walter

Unterirdische Flüsse

Der atemberaubende Anblick der unterirdischen Flusslandschaft grub sich tief in ihre Erinnerung. Eigentlich wollte die Professorin am Institut für Geologie an der Universität Innsbruck mit ihren Kollegen im Jahr darauf zurückkehren und erkunden, wo der unterirdische Fluss hinführt. Doch die Pandemie machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Immerhin: Die Entdeckung des Flusses ist nur eine von vielen Geschichten, die Moseley erzählen kann. Eine ganze Reihe von unterirdischen Welten hat sie besucht, von Malaysia bis in die USA, von Kreta bis Frankreich.

Ihr wissenschaftliches Spezialgebiet sind allerdings die Höhlen der Arktis. Moseley nutzt sie als unterirdische Klimaarchive: Der Blick hunderttausende Jahre in die Vergangenheit soll helfen, das durch den Menschen beeinflusste Klima der Gegenwart besser zu verstehen. Moseley konnte dank ihrer bisherigen Expeditionen etwa zeigen, dass es in Grönland einst viel wärmer war als heute. Bald möchte sie erneut in die Arktis aufbrechen – in neue, noch unerforschte Höhlen.

Frühe Faszination

Die 1984 geborene Britin entdeckte bereits als Zwölfjährige in einem Feriencamp, dass die unterirdischen Welten eine große Faszination auf sie ausüben. Später, beim Masterstudium in Birmingham, das sie eigentlich zur Meteorologin machen sollte, entdeckte sie eine wissenschaftliche Disziplin für sich, für die die Höhlenforschung eine wichtige Datenquelle ist – die Paläoklimatologie, der sie sich in einem Doktorat an der Universität Bristol widmete.

Dort wurde sie auch Teil der äl testen universitären "Caver Group" Großbritanniens, die in Bristol ansässig ist. Hier sollten sich jene Weichen stellen, die Moseley schließlich in die Arktis führten. Hier lernte sie unter anderem Charlie Self kennen, der über Jahrzehnte Aufzeichnungen über Höhlen in Grönland gesammelt hat.

Viele der Daten stammten von der Luftaufklärung des US-Militärs im Kalten Krieg der 1950er- und 1960er-Jahre. "Charlie erzählte mir im Pub in Bristol von seiner Recherche zu den Höhlen Grönlands", erinnert sich Moseley. "Er selbst kam aber nie dazu, eine Expedition dorthin zu organisieren."

Die Höhlen, die für die Forschung interessant sind, befinden sich oft an den entlegensten Orten der Welt, etwa in der Arktis. Bald will Moseley dorthin zurückkehren.
Foto: Rolex/Robbie Shone

Expedition auf eigene Faust

Also machte sich Moseley auf die schwierige Suche nach Geldgebern. Finanziert von vielen kleinen Sponsoren, ließ sie sich 2015 schließlich mit einem kleinen Forscherteam zu einer Landebahn am 80. Breitengrad nach Nordostgrönland bringen. Ein abenteuerlicher Dreitagesmarsch und eine Seeüberquerung mit einem aufblasbaren Boot brachte die Forschenden zu den ausgewählten Höhlen – Hubschrauber wären zu teuer.

Es gab Belege, dass hier Höhlensinter zu finden seien – das sind Kalzitablagerungen, die durch fließendes Wasser entstehen und sehr genau datierbar sind. Das akribisch geplante Abenteuer wurde zum Erfolg. Die Forschenden fanden mehr Mineralien, als sie in sinnvollerweise beproben konnten. 2019 folgte eine weitere Expedition, bei der eine umfassendere Probenentnahme stattfand. Eine Reise 2018 zu weiteren Höhlen nach Ostgrönland war dagegen weniger erfolgreich – hier war kein Sinter zu finden.

Klimawandel damals und heute

Mittlerweile werden die Proben seit mehreren Jahren ausgewertet. Wissenschaftliche Methoden lassen auf Basis des Isotopenzerfalls von Uran den Zeitpunkt der Bildung der Minerale relativ genau bestimmen. Die Erkenntnisse öffnen ein neues Fenster in die Klimavergangenheit – das erste dieser Art in der hohen Arktis.

Es zeigt etwa, dass es vor knapp 600.000 Jahren – in einem Zeitabschnitt, der eigentlich als global kühl gilt – eine Warmzeit in Grönland gab. Wo heute eine polare Wüste liegt, war damals ein Ort, an dem es fließendes Wasser und wohl auch Vegetation gab. "Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass man sich bei der Erforschung des Klimawandels die regionalen Unterschiede sehr genau ansehen muss", betont Moseley.

Moseley sammelt Wassertropfen eines Stalaktiten in der Rieseneishöhle am Dachstein. Im Labor wird das Wasser auf seine chemische Zusammensetzung analysiert.
Foto: Rolex/Robbie Shone

In aktuellen Forschungen ist Moseley etwa an einem Zeitabschnitt vor etwa 400.000 Jahren interessiert. "Die Position der Erde relativ zur Sonne war damals ähnlich wie heute. Wir haben da also einen guten Vergleich zu einer Erde von heute, wie sie ohne menschengemachten Klimawandel aussehen würde", erklärt die Wissenschafterin.

Neue Höhlenpläne

Die Recherche von Charlie Self, die bereits die ersten Grönland-Expeditionen leitete, birgt für Moseley aber noch weitere Schätze. Zum Beispiel sind auch Informationen über Höhlen in Wulffland im äußersten Norden Grönlands vorhanden. Sie zu erreichen bedarf allerdings einer enorm aufwendigen Logistik. Die ersten Aufzeichnungen über diese Höhlen stammen ebenfalls von US-Überflügen aus dem Kalten Krieg. Bei Vermessungsarbeiten in den 1990ern waren Forschende sogar vor Ort – ein Hubschrauberpilot versuchte damals vergeblich, in den großen vertikalen Höhleneingängen zu landen.

Für Moseley ergaben sich nun aber neue Möglichkeiten. Ein Preis für Unternehmertum der Uhrenmarke Rolex stellt die Mittel bereit, um erneut in die Arktis aufzubrechen. Ein sechsköpfiges Expeditionsteam wird dabei nicht nur nach Höhlensintern Ausschau halten, sondern verschiedenste Daten und Proben aufnehmen. "Wir werden endlich herausfinden, was in diesen Höhlen, die zwar seit 60 Jahren bekannt sind, aber noch niemand erforschen konnte, verborgen ist", sagt Moseley. Sie hofft, dass die Entdeckungen wieder neue Einblicke in die bewegte Klimavergangenheit Grönlands freigeben. (Alois Pumhösel, 22.7.2022)