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Möglichst vielfältig und artenreich sollte das Leben in unserem Darm sein. Das erreicht man vor allem mit abwechslungsreicher Ernährung. Vorwiegend vegetarische und mediterrane Kost mit Fisch ist optimal.

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Wer sich mit der richtigen Ernährung und deren Einfluss auf die allgemeine Gesundheit auseinandersetzt, wird ziemlich bald auf das Mikrobiom im Darm stoßen. Das ist der vielfältige Bakterien-, Mikroben- und Virenkosmos, der unser Inneres bewohnt. Und der bei Verdauung, Nährstoffaufnahme oder auch der Entstehung und Heilung von Krankheiten ordentlich mitmischen kann. Wie er das genau tut, das weiß man immer noch nicht so recht. Aber immer mehr Teile des Puzzles werden zusammengesetzt.

Dabei kann auch eine laborwissenschaftliche Analyse des Darmmikrobioms helfen. Die wird in Lifestyle-Magazinen und ganzheitlichen Gesundheitsinstitutionen schon einmal als der "Hot Shit" – im Wortsinn – gehandelt. Und sie hat durchaus ihre Berechtigung. Doch so eine Analyse kostet, und sie kann nicht automatisch jedes gesundheitliche Problem lösen – nur in bestimmten Fällen ist sie tatsächlich zielführend.

Viel wichtiger als so eine Analyse ist eine ausgewogene Ernährung. Doch die sieht nicht für jeden Menschen gleich aus. Eine, die wirklich Bescheid weiß über das Darmmikrobiom, ist Michaela Axt-Gadermann. Sie ist Ärztin und Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg und erklärt das Mikrobiom und seine Funktionen in ihren Büchern aufschlussreich und unterhaltsam. Im Interview erzählt sie, wie gesunde Ernährung aussehen kann, wann Mikrobiomanalysen wirklich sinnvoll sind und warum man keinesfalls eine Darmspülung machen sollte.

STANDARD: Man hört oft, dass der Darm und sein Inhalt ganz wesentlich sind für die Gesundheit. Aber wie wichtig ist er wirklich?

Axt-Gadermann: Er spielt tatsächlich eine wesentliche Rolle: Immerhin sitzen 70 Prozent der Immunzellen im Darm, da kann man sich gut vorstellen, dass das Immunsystem beeinflusst wird, wenn etwas mit dem Mikrobiom nicht stimmt. Und im Darm werden Stoffwechselprodukte gebildet, die über die Blutbahn in jedes Organ gelangen können. Die Zusammensetzung der Bakterien im Darm spielt deshalb bei vielen chronischen Erkrankungen eine Rolle, das geht von Gewichtsproblemen über Diabetes, Allergien oder Neurodermitis bis hin zu Bluthochdruck. Auch neurologische Erkrankungen oder Depressionen werden mit einem veränderten Mikrobiom in Verbindung gebracht.

STANDARD: Woran liegt das?

Axt-Gadermann: Es gibt mehrere Verbindungen zwischen Darm und Gehirn. Eine ist der Nervus vagus, der die beiden Organe direkt verbindet. Aber auch über die Blutbahn gelangen bestimmte Botenstoffe, die im Darm produziert werden, ins Gehirn. Depressionen zum Beispiel haben eine sehr enge Verbindung mit Erkrankungen des Darms und vor allem einer Störung des Mikrobioms. Man weiß inzwischen, dass man durch eine Therapie des Darms Depressionen lindern kann.

Und er ist möglicherweise auch ein Ansatzpunkt für neurodegenerative Erkrankungen. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Parkinson-Krankheit ihren Ursprung im Darm hat. Die für Parkinson typischen Ablagerungen lassen sich im Verdauungstrakt oft schon zehn Jahre früher nachweisen als im Gehirn, möglicherweise wandert die Erkrankung vom Darm ins zentrale Nervensystem. Auch bei Demenz ist das ein wichtiger Forschungsansatz. Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose werden mit einem veränderten Darmmikrobiom in Verbindung gebracht, und selbst bei der Behandlung von Krebs spielt es eine Rolle. Aktuelle Studien zeigen, dass manche Krebstherapien nur anschlagen, wenn bestimmte Bakterien ausreichend im Darm vorhanden sind.

STANDARD: Heißt das, ich muss nur Probiotika, also die richtige Bakterienmischung in Pulverform, einnehmen und alles wird gut?

Axt-Gadermann: Nein, so einfach ist es leider nicht. Aber viele denken das, auch weil für Probiotika viel Werbung gemacht wird. Tatsächlich kann man nur etwa zehn Prozent der Bakterien im Darm über Nahrungsergänzungsmittel zuführen, und es gelingt auch nicht immer, dass sie dann langfristig dort bleiben. Die restlichen 90 Prozent der Bakterienstämme kann man derzeit noch gar nicht zuführen. Die zehn möglichen Prozent sind zwar wichtige Bakterienstämme, aber nicht die wichtigsten. Durch Antibiotika und ungesunde, einseitige Ernährung werden außerdem alle Bakterienstämme gleichmäßig geschädigt.

STANDARD: Wie kann ich dann die Bakterienvielfalt im Darm stärken?

Axt-Gadermann: Über die Ernährung. Die Mikroben im Darm müssen, genau wie alle anderen Organismen, essen. Bakterienwachstum funktioniert oft über Umwege. Ich gebe ihnen das Futter, das sie brauchen, und dann können nützliche Mikroorganismen gedeihen und ihre gesundheitsfördernde Wirkung entfalten.

Und wenn man das Richtige isst, lässt sich die Darmflora tatsächlich steuern. Beispielsweise benötigen Bakterien, die die wichtigen kurzkettigen Fettsäuren wie Butyrat oder Propionat bilden, spezielle unverdauliche Ballaststoffe, sogenannte Präbiotika. Diese findet man in Form von resistenter Stärke in gekochten und wieder erkalteten Kartoffeln, Reis und Nudeln. Pastinaken, Zwiebeln oder Endiviensalat liefern Inulin, in Obstschalen findet man Pektin. All diese Präbiotika sind gutes "Bakterienfutter" und fördern nützliche Keime.

Sind hingegen zu viele Fäulnisbakterien im Darm – ein Anzeichen dafür können übermäßige Blähungen, aber auch Leberbeschwerden sein –, dann kann man diese mit einer eiweißärmeren und zugleich ballaststoffreicheren Ernährung und mit Polyphenolen aus Beeren, Kaffee oder Schwarz- und Grüntee zurückdrängen. Viel kann man auch erreichen, wenn man Eiweiß und Fruktose reduziert. Omega-3-Fettsäuren, die in fettem Meeresfisch enthalten sind, fördern ebenfalls die Entwicklung eines gesunden Mikrobioms. Präbiotische Ballaststoffe findet man in ganz normalen Lebensmitteln wie Mandeln, Lauch, Knoblauch, Spargel, Haferflocken, Roggenbrot, Äpfeln oder Cranberries. Weiters ist alles Fermentierte sehr gut.

Und eines ist ganz wichtig: Machen Sie auf keinen Fall eine Darmspülung.

STANDARD: Warum das? Die werden ja auch im Zuge einer Fastenkur häufig durchgeführt.

Axt-Gaderman: Weil der Darm kein Abflussrohr ist, das gereinigt werden muss, er ist ein möglichst vielfältiges Ökosystem. Wenn ich da alles rausspüle, ist das so ähnlich, wie wenn ich den Regenwald brandrode. Nur Probiotika einzunehmen reicht dann bei weitem nicht aus, nicht immer regeneriert sich das Mikrobiom nach so einer Therapie wieder. Studien zeigen, dass teilweise noch ein Jahr später die wichtige Vielfalt reduziert ist und Bakterienstämme fehlen, die wir nicht mit probiotischen Präparaten ersetzen können.

Was die klassischen Fastenkuren anbelangt, das ist ein Konzept, das in seinen Grundzügen bereits über hundert Jahre alt ist. Damals wusste man nicht einmal, dass es ein Mikrobiom gibt. Man hat nach so einer Darmreinigung, egal ob mit Glaubersalz, selbst verabreichtem Einlauf oder Colon-Hydro-Therapie in einer Klinik, natürlich den Eindruck, dass da viel Schmutz rausgeht, man fühlt sich auch viel leichter. Das ist aber eher ein psychologischer Effekt. Die Anwendungen sind im Prinzip Abführmittel. Und Abführmittel machen den Darm faul, weil sie das Mikrobiom schädigen.

Zudem vermehren sich im Anschluss Bakterien, die Entzündungen und Übergewicht fördern können. Den Ablauf einer Fastenkur müsste man heute ganz anders gestalten, um einen größtmöglichen Erfolg zu erzielen. Der einzige Anlass, für den man eine Darmreinigung in Kauf nehmen sollte, ist vor einer Darmspiegelung. Da ist es dann aber umso wichtiger, dass man das Mikrobiom gezielt wieder aufbaut.

STANDARD: Wie erkenne ich nun als Laie, welche Bakterienstämme mir fehlen? Sollen alle, die etwas für ihre Gesundheit tun wollen, eine Mikrobiomanalyse im Labor machen?

Axt-Gadermann: Nein, das ist absolut nicht nötig. Wer gesund ist und sich ausgewogen ernährt, keine chronischen Krankheiten oder Übergewicht hat und auch sonst keine Magen-Darm-Beschwerden, braucht aus meiner Sicht definitiv keine solche Analyse. Das wäre fast schon rausgeschmissenes Geld. Aber Menschen mit chronischen Krankheiten, die gleichzeitig Magen-Darm-Probleme haben wie starke Blähungen, Verstopfung, Bauchschmerzen oder auch Durchfall, also im Grunde die ganze Bandbreite, kann das helfen, eine der Ursachen ihrer Beschwerden zu erkennen.

Und auch andere gesundheitliche Probleme hängen mit dem Mikrobiom zusammen, Akne etwa und Hautprobleme generell, Allergien, Autoimmunerkrankungen oder eben Depressionen. Leidet man an einem dieser Probleme und hat auch noch Darmbeschwerden, lohnt sich eine Analyse auf jeden Fall. Tatsächlich kann sie sogar präventiv Sinn machen, etwa wenn Menschen familiär vorbelastet sind mit Diabetes, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck oder Autoimmunerkrankungen. Oft findet man Mikrobiomveränderungen, die einen Risikofaktor für diese Krankheiten darstellen und dann kann man gezielt gegensteuern. Natürlich ist das Mikrobiom nicht immer die alleinige Ursache dieser Krankheiten, aber in vielen Fällen ist es ein wichtiger Teil.

Das Problem ist ja, dass man oft Ursache und Wirkung nicht miteinander in Verbindung bringt. Man weiß zum Beispiel, dass Antibiotikaeinnahme Übergewicht fördern kann, weil sie das Mikrobiom verändert. Es ist aber nicht so, dass man die einnimmt und am nächsten Tag fünf Kilo schwerer ist. Das ist ein schleichender Prozess. Stellt man ein Jahr später fest, dass man zugenommen hat, denkt man nicht mehr an die Antibiotika.

Michalea Axt-Gadermann, Mikrobiomanalyse. € 14,40 / 240 Seiten. Suedwest, 2022.

STANDARD: Diese Erkenntnis ist aber auch in der Ärzteschaft noch nicht Allgemeinwissen. Nicht einmal Internistinnen und Internisten kennen sich da zwingend aus. Wie soll man dann als Laie eine Mikrobiomanalyse verstehen und auch noch die richtigen Konsequenzen ziehen?

Axt-Gadermann: Das ist richtig, dieses Wissen muss sich noch viel stärker durchsetzen. Selbst wenn man bei einem Arzt oder einer Ärztin ist, der oder die die Befunde erklären kann, bleiben da oft viele Fragen offen. Deshalb habe ich auch dieses Buch geschrieben. Damit kann jeder seine Mikrobiomanalyse verstehen und auch ganz gezielt handeln. Es erklärt die einzelnen Bakterienstämme, welche Rolle sie im Gesamtgleichgewicht spielen und wie man sie gezielt füttern oder auch "aushungern" kann. Es wird auch ausführlich erklärt, welche Rolle das Mikrobiom bei bestimmten Erkrankungen spielt und worauf man beim Befunden achten muss.

STANDARD: Kann man kurz und knapp auf den Punkt bringen, wie ein gesundes Mikrobiom aussehen soll?

Axt-Gadermann: Ja, das ist recht einfach. Ein gesundes Mikrobiom ist möglichst vielfältig und artenreich, so wie jedes gesunde Ökosystem. Und diese Vielfalt bekomme ich, indem ich mich möglichst abwechslungsreich ernähre. Vorwiegend vegetarische und mediterrane Kost mit Fisch ist optimal. Das muss aber nicht langweilig sein, abwechslungsreich bedeutet, dass da ruhig auch mal eine Currywurst oder ein Hamburger dabei sein dürfen. Nur einseitige Kost mit viel Fleisch, Fastfood, Fertiggerichten und Zusatzstoffen lässt es auf lange Sicht verarmen, ebenso wie Low-Carb-Ernährung. Natürlich ist Eiweiß für viele Prozesse essenziell, aber ein Zuviel davon fördert die Fäulnisbakterien.

Und der Faktor Balance ist auch wichtig. Es gibt Bakterien, die, wenn man zu viel davon hat, schädlich sind, etwa weil sie Entzündungen fördern. Man braucht sie aber trotzdem in einem gewissen Ausmaß, weil sie auch die Abwehrkräfte stimulieren, die ja oft mit Entzündungen arbeiten, um Krankheitserreger zu beseitigen oder altes Gewebe abzubauen.

STANDARD: Man liest immer wieder, ein "falsches" Mikrobiom könnte auch bei Long Covid eine Rolle spielen. Immerhin weiß man, dass Sars-CoV-2-Viren auch noch Wochen oder Monate nach der Genesung im Darm zu finden sind. Gibt es da einen Zusammenhang?

Axt-Gadermann: Man weiß, dass Menschen mit einem wenig vielfältigen oder geschwächten Mikrobiom stärker gefährdet sind, einen schweren Verlauf zu bekommen. Inzwischen gilt es als sicher, dass das Darmmikrobiom beim Verlauf einer Infektion mit Sars-Cov-2- oder auch anderen Viren eine Rolle spielt – möglicherweise indem es die Abwehrkräfte beeinflusst und die Immunantwort moduliert.

Auch die Virusinfektion selbst verändert das Mikrobiom. Beim Vergleich der Stuhlproben von schwer erkrankten hospitalisierten Covid-19-Patienten mit den Stuhlproben von gesunden Kontrollpersonen fanden chinesische Wissenschaftler gravierende Unterschiede und vor allem einen deutlichen Rückgang nützlicher Bakterien. Diese Dysbiose, also eine Veränderung des Mikrobioms, blieb bei einigen Patienten auch nach dem Abheilen der Erkrankung bestehen. Und inzwischen vermutet man, dass die Störung des Mikrobioms auch bei Long Covid eine Rolle spielen und für bleibende Symptome nach dem Abklingen der Infektion verantwortlich sein könnte. In einer kürzlich veröffentlichten Studie stellten Wissenschafter fest, dass die Einnahme probiotischer Bakterien die Symptome der Infektion vor allem im Bereich der oberen Luftwege deutlich reduzieren kann. Besonders stark profitierten Personen über 45 und übergewichtige Patientinnen und Patienten von der Probiotikaeinnahme.

Auch für den Impferfolg ist ein gesundes Mikrobiom wichtig, denn Immunsystem und Darmbakterien unterstützen sich gegenseitig. Man weiß, dass das Ansprechen auf eine Impfung nach einer Antibiotikaeinnahme schlechter sein kann. Es gibt auch schon einige interessante Untersuchungen, bei denen sich durch Probiotika die Wirkung der Impfungen verbessern und Nebenwirkungen reduzieren ließen. Insgesamt reicht aber die alleinige Zufuhr von probiotischen Präparaten nicht aus. Sinnvoller ist es, vor allem für chronisch kranke Menschen, anhand einer Analyse ganz gezielt und individuell abgestimmt das Mikrobiom zu stärken. (Pia Kruckenhauser, 1.8.2022)