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Es ist zum Schreien: Die Stimmlage von Frauen dürfte doch keinen Einfluss auf ihre Attraktivität haben.

Getty Images / Yuri Arcurs

Die Attraktivität der Stimme scheint bei der Partnerwahl keine ganz unwesentliche Rolle zu spielen – bei Vögeln natürlich sehr viel mehr als beim Menschen. Doch auch bei uns dürfte es gewisse evolutionär bedingte Zusammenhänge geben, wie zumindest die Evolutionspsychologie behauptet.

So ist belegt, dass heterosexuelle Frauen hinter tieferen Männerstimmen attraktivere Männer vermuten. Und Forschende der Uni Albany fanden 2008 in einer Studie im Fachblatt "Evolution and Human Behaviour" heraus, dass Frauen für heterosexuelle Männer an den fruchtbaren Tagen ihres Zyklus besonders anziehend klingen – und dass eine hohe Stimmlage als besonders feminin empfunden wird.

Macht also eine hohe Stimme Frauen für heterosexuelle Männer attraktiv? Ein interdisziplinäres Team um Dissertantin Christina Krumpholz und Helmut Leder von der Universität Wien ging der Frage ein weiteres Mal nach – mit einem dem Alltag angemessenen Forschungsdesign: Waren in früheren Studien für die Probandinnen und Probanden vielfach nur Stimmen zu hören gewesen, so kombinierten die Wiener Forschenden aus den Bereichen Psychologie und Biologie für ihre neue Untersuchung, die im Fachjournal "Frontiers in Psycholgy" erschien, visuelle und akustische Reize.

Kombination von Bild und Ton

Die Probanden wurden nämlich zuerst gebeten, Videos von weiblichen Gesichtern nach Attraktivität, Alter, Weiblichkeit und Gesundheit zu bewerten. Die Stimmhöhe wurde dabei verändert, sodass die Teilnehmer die gleichen Videos zweimal sahen, aber einmal mit etwas höherer Stimme. Dabei hoffe das Forscherteam zu klären, ob diese subtilen Unterschiede in der Stimme ignoriert werden – oder ob sie doch das Urteil beeinflussen.

Tatsächlich veränderte die Stimmhöhe die Bewertung, aber in einer eher unerwarteten Weise: Höhere Stimme führten dazu, dass Männer Frauengesichter im Schnitt um ein halbes Jahr jünger einschätzten. "Hier scheint die Stimme also eine wichtige Rolle zu spielen, die wir bei der Bewertung von Gesichtern nicht ignorieren können", erklärt Christina Krumpholz.

Das Auge ist wichtiger als das Ohr

Anders verhielt es sich allerdings mit der Bewertung von Attraktivität, Weiblichkeit und Gesundheit. Hier dürfte also das Gesicht beziehungsweise das Auge die entscheidenden Informationen liefern. Die Bedeutung der Stimme scheint also nachrangig und beeinflusst die Bewertungen des Gesichts nur unmaßgeblich.

Dass die Audioaufnahmen höherer Frauenstimmen nicht als attraktiver bewertet wurden als tiefere Stimmen, war für die Forschenden überraschend – nicht zuletzt auch wegen bisheriger Untersuchungen, in denen, siehe oben, recht eindeutige Zusammenhänge festgestellt wurden, die nun im Licht der neuen Erkenntnisse fragwürdig erscheinen.

Für Christina Krumpholz sind die neuen Studienergebnisse jedenfalls ein Hinweis darauf, "dass wir bestehende evolutionspsychologische Konzepte vielleicht überdenken müssen, und mehr Raum für individuelle Vorlieben und Unterschiede geben müssen".

Ironisches Postskriptum

Einer der lustigsten wissenschaftlichen Texte der Literaturgeschichte beschäftigt sich weniger mit der Wirkung der Tonhöhe von Frauenstimmen, sondern damit, wie sich diese ihrerseits verändern lassen. Titel des Fachartikels, der vom großartigen französischen Schriftsteller Georges Perec lange vor #MeToo verfasst wurde: "Experimental demonstration of the tomatotopic organization in the soprano (Cantatrix sopranica L.)" Die genaue Versuchsanordnung der Studie inklusive Literaturverzeichnis (besonders lustig) gibt es hier zum Nachlesen. (tasch, 21.7.2022)