Züge könnten künftig Bremswagons mitführen, die über oben angebrachte Trichter CO2 einfangen.
Bild: Joule/Bachman et al.

Die Hitzewellen und Waldbrände, die Europa auf Trab halten, zeigen derzeit drastisch, wie dringend es Lösungen für die Klimakrise braucht. Glaubt man den aktuellen Studien, so bleibt noch etwa bis 2030 Zeit, um gegenzusteuern und die verheerendsten Entwicklungen für das Weltklima zu verhindern. Eine wesentliche Rolle sollen dabei Technologien spielen, die der Atmosphäre CO2 entziehen, um es zu verflüssigen und dann entweder endzulagern oder der Industrie als Rohstoff zur Verfügung zu stellen. Das Stichwort lautet "Carbon Capture".

Nun hat sich eine Forschungsgruppe von der Universität Toronto eine verblüffende Frage gestellt: Könnte man nicht Eisenbahnwagons mit großen Trichtern ausstatten, die während der Fahrt Luft aus der Atmosphäre ansaugen, das Kohlendioxid daraus abscheiden und speichern? Was wie ein Scherz klingen mag, ist ernst gemeint. Bisherige Technologien sind energieintensiv und teuer. Wie es mithilfe von umfunktionierten Eisenbahnwagons günstiger und effizienter gehen soll, hat man nun im Fachjournal "Joule" publiziert.

Bremswagen

Der Kern der Idee ist, die Bremsenergie von Zügen zu speichern und in einem mitgeführten, eigens dafür gebauten Wagon zu nutzen, um der Luft CO2 zu entziehen. Der Fahrtwind drückt dabei die Luft in eine Art Trichter, wodurch man sich erhofft, energieintensive Ventilatoren einzusparen. Es soll mehrere solcher Trichter geben, jeder davon mit sechs Quadratmetern Auffangfläche. Das Kohlendioxid wird danach gereinigt und verflüssigt.

Das erfolge mit hoher Effizienz, so die Studienautoren. Bis zu 3.000 Tonnen des Treibhausgases sollen so jährlich pro Wagon der Atmosphäre entzogen werden können. Das soll trotz erhöhten CO2-Bedarfs durch Faktoren wie Luftwiderstand und Entladung immer noch effektiv sein, wenn man den Treibstoffverbrauch der Lok selbst außer Acht lässt.

Ausgestattet wird der Wagon mit einer Batterie, die eine Kapazität von 2.400 Kilowattstunden aufweist. Zum Vergleich: Der Tesla Model S wird mit einer Batterie angeboten, die eine Kapazität von 95 Kilowattstunden hat, mit begrenzter Lebensdauer und energieintensiver Herstellung. Ob Züge elektrisch oder mit Diesel fahren, ändere an der Rechnung nichts Wesentliches.

Bremsenergie nicht zurück ins Netz speisen

Das ist ein durchaus überraschendes Ergebnis, nicht zuletzt deshalb, weil elektrisch betriebene Züge im Prinzip in der Lage sind, Bremsenergie zurückzugewinnen und ins Netz einzuspeisen – eine Technologie, die auch bereits angewandt wird, etwa bei den ÖBB. Diesen Fall habe man sich noch nicht genau angesehen, heißt es in der Publikation, wobei die Forschenden die Möglichkeit der Elektrifizierung entlegener Bahnlinien überhaupt infrage stellen.

Was den Bedarf für die Technologie angeht, zitiert man den Weltklimarat IPCC, der damit rechnet, mindestens zehn Gigatonnen CO2 jährlich der Atmosphäre entziehen zu können, um eine Erderwärmung von weniger als zwei Grad Celsius zu erreichen. Dafür wären also über zwei Millionen solcher Wagons notwendig, die ständig im Einsatz seien. Bis 2075, so rechnet man, könnten 750.000 CO2-Abscheidewaggons produziert werden, was tatsächlich einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele darstellen würde. Um die Anzahl der nötigen Wagons auch wirklich auf Schiene zu bringen, müsste der Bahnverkehr ab dem Jahr 2040 allerdings jährlich wachsen – was zumindest ohnehin sinnvoll sei, weil Züge pro gelieferter Frachteinheit weniger Energie verbrauchen als etwa Lkws, heißt es in der Publikation. Zu erwähnen ist, dass all die Züge mit Solarzellen ausgestattet werden müssten, um die angepeilte CO2-Abscheidung zu erreichen.

Fragen zur Effizienz

Die Regierung der USA, des zweitgrößten CO2-Produzenten des Planeten, setzt besonders auf Carbon Capture. Dieses Vorgehen ist allerdings nicht nur teuer – mindestens 100 Dollar pro Tonne Kohlendioxid werden veranschlagt –, auch die Effizienz wird infrage gestellt. So sei bei manchen der Zugänge nicht von vornherein klar, ob das Einfangen des CO2 nicht in Summe mehr CO2 ausstößt, als der Atmosphäre entzogen wird. Im Gegensatz dazu ist das Potenzial von Einsparungen nach wie vor enorm, etwa beim Ersetzen von Beton durch Holz. Eine Tonne Holz, die statt Beton verbaut wird, kann vier Tonnen CO2 einsparen, lauten gängige Schätzungen.

Dennoch wird weltweit in Pilotanlagen an der Technologie geforscht, etwa in Island, wo mit geothermischer Energie jährlich 4.000 Tonnen Kohlendioxid aus der Luft gefiltert und in den Boden gepresst werden, wo sie tausende Jahre überdauern sollen. Aufforstungen sind ebenso Teil der Strategie, wobei auch hier Fragen nach der Effektivität bleiben. Das betrifft vor allem Bäume, die erst heute angepflanzt werden, während man alte und auch in Sachen Stoffkreislauf leistungsfähige Regenwälder rodet. Konzepte, die aus CO2 wieder Treibstoffe machen wollen, scheitern derzeit schon an der schlechten Energiebilanz von Verbrennungsmotoren, die mindestens die Hälfte der Energie über den Kühlergrill als Hitze an die Umgebung abgeben, statt sie für den Vortrieb zu nutzen.

Auch die Gruppe aus Toronto betont, dass die CO2-Bilanz insgesamt natürlich eine Einsparung aufweisen müsse. Man ist sich des vorläufigen Charakters der Arbeit bewusst. Es gehe darum, kreative Wege zu finden, um die Abweichung von bereits vorhandenen, konventionellen Technologien zu minimieren und die Anwendbarkeit von CO2-Auffangtechnologien für die Wirtschaft zu erhöhen.

Carbon Capture, wie diese Forschungsgruppe es versteht, soll also helfen, den Status quo möglichst ohne größere Änderungen aufrechtzuerhalten, insbesondere im Hinblick auf die Wirtschaft. Zwei der Autoren hoffen jedenfalls, mit ihren eigenen Unternehmen die Zukunftstechnologien für Carbon Capture weiterzuentwickeln. (Reinhard Kleindl, 20.7.2022)