Mario Draghi reichte seinen Rücktritt ein.

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Rom – Der italienische Premier Mario Draghi ist zurückgetreten. Draghi reichte am Donnerstag seinen Rücktritt bei Präsident Sergio Mattarella ein. Mattarella bat ihn, in geschäftsführender Funktion im Amt zu bleiben, teilte das Büro des Staatsoberhauptes in einer Erklärung mit. Der seit Februar 2021 als Premier amtierende Premier trat vor einer in der Abgeordnetenkammer geplanten Vertrauensabstimmung zurück.

Mattarella wird im Laufe des Tages die Parlamentspräsidenten Maria Elisabetta Alberti Casellati und Roberto Fico treffen. Noch unklar ist, ob der Präsident das Parlament auflöst und Neuwahlen ausschreibt, die am 25. September, oder am 2. Oktober stattfinden könnten.

Nach seinem verpassten Ziel beim Vertrauensvotum im Senat am Donnerstag war Draghi vor der Abgeordnetenkammer in Rom aufgetreten. Die Abgeordnetenkammer begrüßte Draghi mit Applaus, für den der Regierungschef dankte. "Auch ein Bankier hat ein Herz", scherzte Draghi, der früher unter anderem Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) gewesen war.

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni kritisierte die politischen Entwicklungen in Rom, die zum Rücktritt von Italiens Premier Draghi führen könnten. "Uns stehen schwierige Monate bevor, doch wir sind ein großes Land", twitterte Gentiloni, der zwischen 2016 und 2018 italienischer Premierminister war. Die Politik in Rom habe einen "Sturm" mit schwer abschätzbaren Folgen ausgelöst, meinte der EU-Kommissar.

Drei große Regierungsparteien hatten Draghi am Mittwoch im Senat nicht mehr das Vertrauen ausgesprochen.

Mattarella könnte sich Zeit nehmen, um die politische Lage zu bewerten. Er könnte Konsultationen mit den Parteien starten, Neuwahlen im Herbst gelten als wahrscheinlich. Mögliche Wahltermine sind der 25. September oder der 2. Oktober.

Mehrparteienkoalition gescheitert

Die Mehrparteienkoalition, die Premier Draghi seit seinem Amtsantritt im Februar 2021 unterstützt hatte, ist am Mittwoch in die Brüche gegangen. Draghi verfehlte sein Ziel, die Koalitionsparteien zu überreden, ihn bis Ende der Legislatur im Frühjahr 2023 zu unterstützen. Der 74-jährige Regierungschef bewältigte zwar eine Vertrauensabstimmung über das Programm, mit dem er im Sattel zu bleiben hoffte, verlor jedoch seine Mehrheit. Drei große Koalitionsparteien – die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung, die rechte Lega um Ex-Innenminister Matteo Salvini und die Forza Italia um den früheren langjährigen Premier Silvio Berlusconi – entzogen Draghi das Vertrauen.

Damit geht eine Regierungskrise weiter, die die Fünf-Sterne-Bewegung vor einer Woche ausgelöst hatte. Vergebens hatte Draghi im Laufe der Sitzung im Senat versucht, die Regierungsparteien zur Verantwortung aufzurufen und seine bröckelnde Koalition zusammenzuhalten. "Sind die Parteien zum Neustart des Regierungspakts bereit? Das ist die Antwort, die Sie allen Italienern geben müssen. In diesen Monaten war die nationale Einheit die beste Garantie für die demokratische Legitimierung dieser Regierung und ihrer Effizienz", erklärte Draghi. Er, der nie von den Bürgern gewählt wurde, brauche die breitestmögliche Zustimmung des Parlaments.

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Premier bezeichnete Regierung als "Wunder"

Draghi erwähnte in seiner Rede im Senat die Errungenschaften seiner Regierung, die geschaffen wurde, um das Land aus der Corona-Pandemie und der wirtschaftlichen Krise herauszuholen. "Ich war noch nie so stolz, Italiener zu sein", sagte der Premier, der seine Regierung als "Wunder" bezeichnete.

Diese Ansicht teilen offenkundig die stärksten Regierungsparteien nicht, die sich nicht mehr hinter Draghi stellen wollen – jeder aus einem anderen Grund. Salvinis Lega hatte sich zwar für eine zweite Regierung Draghi ausgesprochen, allerdings ohne die Fünf-Sterne-Bewegung, die sie als "unzuverlässig" bezeichnete. Die "Cinque Stelle" hatten ihrerseits von Draghi Zugeständnisse für ihr Programm gefordert, die sie vom Premier jedoch nicht erhalten haben.

Der Beschluss der Forza Italia, Draghi nicht das Vertrauen auszusprechen, löste einen Erdbeben in der Berlusconi-Partei aus. Regionenministerin Maria Stella Gelmini, seit Jahren eine enge Vertraute Berlusconis, trat aus Protest aus der Gruppierung aus. (red, APA, 21.7.2022)