Im Gastblog schreibt die Physikerin Andrea Navarro-Quezada über ihre Erfahrungen mit den Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb und berufliche Alternativen.

Ich dachte immer, es gibt nichts anderes für mich außer das Forschen und Experimentieren im Labor. Jahrelang habe ich auf eine akademische Laufbahn hingearbeitet. Nach einem Doktoratsstudium der technischen Wissenschaften folgten mehrere Jahre als PostDoc. Es gab für mich nichts Spannenderes, als die Ergebnisse einer selbst formulierten Fragestellung zu analysieren und meine Leidenschaft zur Physik mit meinen Studierenden zu teilen. Für mich war es klar: eine Professur ist mein Ziel.

Doch trotz eines genehmigten Projektes zum Habilitieren, das mich diesem Ziel näherbringen sollte, hat sich diese Vision über die Jahre verändert. Ich habe die Begeisterung für meine wissenschaftliche Laufbahn verloren: Die ewigen befristeten Verträge, die mangelnde Aussichten einer unbefristeten Stelle als Wissenschaftlerin ohne eine Professur, das ständige Konkurrieren, der Eindruck, dass Loyalität mehr als die Qualifikation zählt, haben mich letztendlich dazu bewogen, eine Entscheidung zu treffen: Wollte ich wirklich eine Professur oder sollte ich lieber einen beruflichen Umstieg wagen?

Der Umstieg

Als erstes dachte ich an Forschung und Entwicklung in der Privatwirtschaft. So könnte ich doch weiter in einem Labor arbeiten und angewandte, statt Grundlagenforschung betreiben. Nach Erfahrungen von ehemaligen Kolleginnen und Kollegen war das Forschen in einem Unternehmen zwar nicht so frei wie an der Universität, aber trotzdem spannend. Doch dann habe ich mich gefragt: wie wäre es mit einer ganz anderen Tätigkeit, die aber dennoch mit Forschung zu tun hat? So wurde ich auf eine Stelle im Forschungsservice innerhalb der Universität aufmerksam und habe mich beworben. 

Der virtuelle Anatomiesaal MED Space an der Medizinischen Fakultät der JKU.
Foto: Andreas Röbl

Seit August 2021 arbeite ich am Forschungsservice der Johannes Kepler Universität und bin für die Unterstützung im Bereich Forschungsförderung an der Medizinischen Fakultät tätig: und ich bin glücklich! Die Möglichkeit, mich mit den Forschungsthemen der Medizinischen Fakultät auseinander setzten zu können, finde ich faszinierend. Es gibt sehr viele Schnittstellen zur Physik, meistens im Bereich der Medizintechnik. So lerne ich zum Beispiel, wie besondere Ziehkräfte Krebszellen zerstören, ohne die gesunden Zellen im Blut zu beschädigen, oder wie man mittels Spektroskopie und Nanopartikeln Brustkrebs diagnostizieren und früherkennen kann.

Die Arbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Abteilung und der Medizin ist sehr erfrischend und aufregend. So sind meine Aufgaben im Forschungsservice sehr abwechslungsreich. Meine langjährige Erfahrung in der wissenschaftlichen Forschung ist für meinen neuen Job sehr nützlich, besonders bei den Beratungsgesprächen mit Jungwissenschaftlerinnen und Jungwissenschaftlern.

Seit einem Jahr im Büro statt im Labor.
Foto: Navarro-Quezada

Die richtige Entscheidung

Wenn ich die enttäuschten Blicke von ehemaligen Kolleginnen und Kollegen sehe, wenn ich sage, dass ich meine Tätigkeit als Wissenschaftlerin nicht vermisse oder dass ich trotz „Überqualifizierung“ diesen Job nicht nur als Zwischenstation mache, versuche ich Ihnen verständlich zu machen, dass meine Leidenschaft für die Wissenschaft nicht erloschen ist. Meine Neugierde als Physikerin ist noch vorhanden, weshalb mich die Medizinische Forschung so begeistert.

Es wird mir manchmal vermittelt, dass ich als Wissenschaftlerin gescheitert bin, nur weil ich nicht weiter eine akademische Laufbahn verfolgt habe. Ich sehe es anders. Ich habe in meiner Zeit in der Wissenschaft mehrere Studierende erfolgreich für die Forschung begeistern können, die jetzt Großes in deren akademischen und nicht-akademischen Karrieren leisten. Außerdem lassen mich die positiven Rückmeldungen der Forscherinnen und Forschern, die ich unterstütze, glauben, dass ich mit meiner Arbeit - auch wenn ich nur einen winzigen Beitrag dazu leiste - die Forschung weiter vorantreibe. Jede Projekteinreichung und jedes angenommene Forschungsprojekt betrachte ich als Erfolg.

Wie es in zehn Jahren sein wird, weiß ich nicht. Aus heutiger Sicht aber war der Umstieg eine der besten Entscheidungen meines Lebens. (Andrea Navarro-Quezada, 25.7.2022)

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