Im Fall eines Gasstopps wäre mit einem Wachstumsrückgang von drei Prozent zu rechnen, prognostiziert das IHS.

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Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich nach den Verwerfungen der Corona-Pandemie rasch gebessert. Die hohe Inflation wird sich, zumindest im Lauf der kommenden Jahre, wieder zurückbilden. Und das Wirtschaftswachstum ist das beste seit Jahren. Eigentlich sind die Aussichten für Österreichs Wirtschaft und Gesellschaft ganz gut, führen die Experten des Instituts für Höhere Studien (IHS) am Donnerstag bei der Präsentation ihrer mittelfristigen Wirtschaftsprognose aus.

Das Bruttoinlandsprodukt beispielsweise (BIP) – also die Summe des Werts aller Güter und Dienstleistungen, die in Österreich hervorgebracht werden – wird in den Jahren zwischen 2022 und 2026 um durchschnittlich eineindreiviertel Prozentpunkte pro Jahr wachsen. Das ist deutlich höher als in den vergangenen Jahren, in denen das Wachstum im Schnitt bei jährlich 0,8 Prozentpunkten lag.

Die Erholung nach Corona

Viel von diesem starken Wachstum liegt an der wirtschaftlichen Erholung, die nach dem Ende der Corona-Maßnahmen begonnen hat. Was den Arbeitsmarkt betrifft, sind die derzeitigen Zahlen gar besser als vor dem Ausbruch der Pandemie – und die IHS-Experten rechnen nicht damit, dass die Arbeitslosigkeit so bald wieder spürbar ansteigen wird.

Gute Nachrichten also. Wobei: Die Annahmen der Prognose "gehen nicht von einem Gaslieferstopp aus", sagt IHS-Ökonom Helmut Hofer. Ebendiese Gefahr eines Boykotts seitens Russlands ist aber keineswegs gebannt, auch wenn die Lieferungen durch die wichtige Gaspipeline Nord Stream 1 am Donnerstag wiederaufgenommen worden sind. "Man sollte sich auf einen Worst Case vorbereiten", sagt Michael Reiter, ebenfalls Ökonom beim IHS. Was aber würde in diesem Fall in Österreich geschehen? Auch das hat sich das IHS in einer gesonderten Berechnung angesehen.

Verbrauch müsste um 27 Prozent sinken

Laut Berechnungen des Brüsseler Thinktanks Brueghel müsste Österreich seinen Gasbedarf infolge eines sofortigen und totalen Gasstopps um 27 Prozent reduzieren. "Notwendigerweise würde das mit gewissen Produktionseinschränkungen einhergehen", erklärt Reiter.

Die Folge des Stopps wäre – zunächst einmal – eine weitere Explosion der Gaspreise. Laut IHS könnte der Preis pro Megawattstunde im Großhandel bis zu 280 Euro betragen. Zum Vergleich: Derzeit liegt er bei 160 Euro; vor der Energiekrise lag er bei 20 bis 25 Euro pro Megawattstunde.

Welche gesellschaftlichen Akteure auf diese extremen Preissprünge wie reagieren würden, das hat das IHS mithilfe ökonomischer Modelle berechnet. Demnach würde in den privaten Haushalten der Gasverbrauch um 20 Prozent zurückgehen, etwa weil sie weniger heizen. Noch deutlich höhere Rückgänge – von bis zu einem Drittel – gäbe es in der Stromerzeugung. Denn die Kraftwerke können vergleichsweise einfach von der Verbrennung von Gas auf jene von Öl umstellen.

Harte Einschnitte für Industrie

Viel schwerer jedoch würde es die gasintensive Industrie treffen, etwa die Chemie-, Glas- und Papierbranche. Sie können ihr Gas schwieriger durch andere Brennstoffe ersetzen als etwa Kraftwerke. In der Industrie würde also die Produktion zurückgehen, laut IHS um 13 Prozent. Die Folge wäre eine Wirtschaftskrise. Insgesamt würde das BIP zwischen Winter 2022 und Winter 2023 um drei Prozent einbrechen. Die Inflation läge bei 14 Prozent, knapp doppelt so hoch wie derzeit.

Rosig sind die Aussichten also nicht gerade. Apokalyptisch fallen sie andererseits – zumindest laut den Vorhersagen des IHS – auch nicht aus, obwohl hinter den trockenen Zahlen durchaus soziale Härten lauern: etwa wenn im Fall eines Gasstopps Wohnungen zu wenig beheizt und Arbeitskräfte in die Kurzarbeit geschickt werden könnten.

Immerhin: Dieser Tage gibt es einige gute Nachrichten betreffend die Versorgung mit Gas. Die teilstaatliche OMV hat sich Leitungskapazitäten gesichert, über die im Notfall Gas aus Nordeuropa geliefert werden könnte – wenn auch zu horrenden Preisen. Zumal füllen sich Österreichs Gasspeicher an jedem Tag, an dem das Gas fließt, etwas mehr, was die Versorgung in der kalten Jahreszeit erleichtert. Derzeit beträgt der Füllstand ungefähr 50 Prozent. (Joseph Gepp, 21.7.2022)