Alt und Neu mit Schmäh: In "And who would be my mother (of Invention)" kriecht eine zarte Figur auf allen vieren über einen riesigen Erdball, der von der anderen Seite aussieht wie ein Popo. Wie ein "butt", wie Warren sagt.
Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Vom Skulpturengarten aus blickt man auf nackte, weiße Wände im Innenraum des Belvedere 21. Die Neuankömmlinge hinter Glas tummeln sich im Zentrum des Hauptraums, umringt von Ausstellungswänden. Nur durch so manchen Spalt lässt sich ein Blick auf ihr güldenes Antlitz erhaschen. Rebecca Warren setzte bei der Ausstellungsgestaltung bewusst auf sehr viel freie Fläche am Rand des Belvedere-Pavillons und eine Fülle an Skulpturen im Zentrum des Raumes: Wotruba draußen, Warren drinnen.

Hier lässt sich eine subtile Brücke zu den Werken der britischen Bildhauerin schlagen, die für ihre seit den 1990er-Jahren entstandenen Skulpturen aus ungebranntem Ton bekannt ist. Die Referenzen auf Kollegen aus der Kunstgeschichte (Giacometti, Crumb, Rodin, Picasso, Boccioni) flechtet sie gekonnt in ihr Werk und erlaubt sich ein Spielchen: Hochgewachsene, dürre Körper dreht sie weiter, pralle Körperrundungen steigert Warren ins Groteske und Doppelungen stellt sie einander gegenüber. Befreit Warren ihre oft als weiblich gelesenen Figuren so aus dem männlichen Blick?

Varianz pur: Ein praller Korpus mit fast 500 Kilogramm namens "Transformer" (vorn) steht unweit einer fragilen, fast gebrechlichen Figur sowie der Zwillinge "Influencer" und "Influencer One", die sich nur durch ihre Bemalung unterscheiden.
Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Get-together diverser Charaktere

Die in London lebende Künstlerin, die vor allem in Institutionen in Europa und den USA ausstellt und 2006 für den Turner Prize nominiert war, hält nicht viel von solchen Interpretationen. Insbesondere die Betonung, eine "weibliche Künstlerin" zu sein, lehnt sie entschieden ab. Sie sei einfach Künstlerin. Genauso klar wie ihre Haltung ist auch die Ausstellung im Belvedere 21 geworden. Schnickschnack gibt es hier keinen, man vermisst ihn auch nicht.

Für ihre Österreich-Premiere konzipierte Warren nun ein eigenes Raummodell, das aus fünf Wänden besteht. Einerseits dienen sie als Träger von sieben "Collagen" (Neonlicht, Holzplatten, Wollfäden) und andererseits als Hüter von zehn teilweise massiven Bronzearbeiten. Die unter Letzteren angebrachten Sockel gestaltete die Künstlerin ebenfalls. Warren sieht diese und auch die Wände als eine Art eigenständiger Skulpturen an.

Mixed-Media-Collage "We R the Batique" aus Holz, Neonlicht und Wollfäden.
Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Endlich können die allesamt neuen Skulpturen zu einem Get-together zusammenkommen: Warren fühlt sich an das Bild der bekannten Bar-Szene in Star Wars erinnert. Aus Außerirdischen würde ihre skulpturale Gruppe zwar nicht bestehen, sagt sie. Viel eher spielt sie auf die Varianz der diversen Bronzekörper an: Ein praller Korpus mit fast 500 Kilogramm namens Transformer steht unweit einer fragilen, fast gebrechlichen Figur sowie der Zwillinge, Influencer und Influencer One, die sich nur durch ihre Bemalung unterscheiden.

Referenzen und kleine Gags

Kurator Axel Köhne betont die retrospektiven Anspielungen, die in diesen neuen Arbeiten Warrens versteckt seien. Immer wieder bezieht sich diese auf eigene, ältere Werkphasen oder kombiniert frühere Objekte auf spannende Weise neu. So verarbeitete sie in And who would be my mother (of Invention) eine frühere Tonvorlage von 2013, ergänzte sie mit Unterbau und figürlichem Aufsatz, ließ sie in Bronze gießen und fügte etwas Farbe hinzu. Das sieht dann so aus: Eine zarte Figur kriecht auf allen vieren über einen riesigen Erdball, der von der anderen Seite aussieht wie ein Popo. Also wie ein "butt", wie Warren sagt.

Titelgebende Bronzeskulptur "The Now Voyager" auf einem Trolley – wohin des Weges?
Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Zwischen den ganzen Zitaten und Querverweisen streut die 57-jährige Künstlerin Comic-Symbole und kleine Gags ein: Minnie-Mouse-Schleife, Tennissocken oder einen Trolley als fahrbaren Untersatz. Auf so einem steht auch die eigentlich wichtigste und titelgebende Figur in der Ausstellung: The Now Voyager. Eine Statue mit drei Armen und einer Mega-Hand wendet sich als einzige Skulptur dem Ausgang zu. Ist sie etwa gerade im Gehen begriffen? Vielleicht möchte sie einfach nur Wotruba im Garten begrüßen. (Katharina Rustler, 22.7.2022)