Geht es nach der Regierung, dürfen Corona-Infizierte künftig das Haus verlassen, müssen dabei aber Maske tragen.

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Wien – Im Gesundheitsministerium wird am Ende der Corona-Quarantäne gearbeitet – DER STANDARD berichtete. Rechtlich ist das Haus von Minister Johannes Rauch (Grüne) dazu in der Lage, das Parlament hat ihm eine Verordnungsermächtigung erteilt. Die Regelung "wird jetzt fachlich auch genau gecheckt, ob sich das ausgeht, wie man es rechtlich umsetzen kann", sagte Rauch am Donnerstag zum ORF Vorarlberg. Es sei ein Maßnahmenpaket in Ausarbeitung, um "einen besseren, leichteren, klareren Umgang mit Corona auch zu ermöglichen".

"Es muss rechtlich machbar sein, fachlich argumentierbar sein, und es muss hineinpassen in den Gesamtrahmen", sagte Rauch. Kolportierter Inhalt der Verordnung ist eine Verkehrsbeschränkung für Corona-Infizierte ohne Symptome. Sie sollen an fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens teilnehmen dürfen, allerdings nur mit FFP2-Maske. Für sensible Bereiche wie Gesundheitseinrichtungen würde dann aber ein Betretungsverbot gelten. Fix sei laut Rauch jedenfalls, dass niemand krank arbeiten müsse.

Hacker ortet falsches Vorgehen

Die offenbar bevorstehende Aufhebung der Quarantäne lässt in der SPÖ die Alarmglocken läuten. Gesundheitssprecher Philip Kucher sprach am Freitag in einer Aussendung von einem gefährlichen und unverantwortlichen Spiel der Regierung. Ein Quarantäne-Aus für Infizierte könnte das Gesundheitswesen wieder an seine Grenzen bringen.

Auch der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) übt Kritik an den Plänen der Regierung. Einen entsprechenden Entwurf, der am Donnerstag publik wurde, bezeichnet Hacker als "unerhört und unglaublich".

"Es gibt im Augenblick überhaupt keine Grundlage dafür, davon auszugehen, dass wir mit einer leichten Variante, die wir auf die leichte Schulter nehmen können, konfrontiert sind", sagte Hacker. Sauer stößt Hacker auch auf, dass Wien nicht offiziell über den Entwurf informiert wurde – im Gegensatz offenbar zu den ÖVP-geführten Bundesländern.

Warnung vor Maskenstigma

Der Komplexitätsforscher Peter Klimek hält ein Quarantäne-Aus im Interview mit dem Ö1-"Morgenjournal" grundsätzlich für vertretbar. "Es ist auf jeden Fall nicht zu erwarten, dass wir mit dem Wegfall der Quarantäne eine Gefährdung des Gesundheitssystems riskieren", sagte Klimek am Freitag. Sehr wohl sei aber ein Anstieg der Fallzahlen zu erwarten.

Peter Klimek hält das Ende der Quarantäne für vertretbar.
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Klimek warnt angesichts der Verkehrsbeschränkungen mit Maskenpflicht allerdings vor einem Stigma-Effekt. Nichtinfizierte könnten das Tragen der Maske vermeiden, damit andere nicht denken, sie seien Corona-positiv. Deshalb plädiert der Forscher für eine Ausweitung der Maskenpflicht in Innenräumen.

Rauch verabschiedet sich nach turbulentem Abend von Twitter

Johannes Rauch sprach auf Twitter von verheerenden Kollateralschäden der Corona-Maßnahmen.
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Der Gesundheitsminister war am Donnerstagabend allerdings nicht nur mit der Ausarbeitung einer neuen Corona-Verordnung beschäftigt, sondern auch mit Auseinandersetzungen auf Twitter. Am Abend schrieb er auf der Plattform: "Dass wir 25 Prozent Plus von psychischen Erkrankungen und Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen haben, ist mit Hauptgrund, warum ich bei Corona-Maßnahmen ans unterste Ende gehe, was epidemiologisch noch vertretbar ist", die "Kollateralschäden sind verheerend".

Belege für diese Zahl blieb Rauch schuldig, er verwies nur auf viele Gespräche in den entsprechenden Gesundheitsbereichen. Zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer auf Twitter kritisierten Rauch für die anekdotische Evidenz. Einige seiner Antworten auf diese Kritik hat Rauch im Laufe des Abends offenbar gelöscht, darunter auch jene, in der er festhielt: "Ich bin – ernsthaft – nicht ganz so bescheuert, für wie viele mich hier halten ..." Später hat er auch den ursprünglichen Tweet gelöscht.

Keine eindeutigen Erkenntnisse zu Suizidalität

Benedikt Till vom Zentrum für Public Health an der Medizinischen Universität Wien sagt auf STANDARD-Anfrage, dass er die Quelle für die von Rauch genannte Zahl nicht kenne. Es gebe aber zur psychischen Gesundheit in der Pandemie eine Vielzahl von Studien unterschiedlicher Qualität mit teils widersprüchlichen Ergebnissen. Grundsätzlich sei die Gesamtzahl der Suizide in Österreich in den Pandemiejahren gesunken – allerdings nicht so stark, wie das manche Modellrechnungen vor Corona prognostiziert hätten.

Demgegenüber stünden aber die Angaben mancher kinder- und jugendpsychiatrischer Einrichtungen, wonach die Zahl der Suizidversuche bei ihren Patienten gestiegen sei. Till weist aber darauf hin, dass die dort behandelten Patienten in mehrfacher Hinsicht einer vulnerablen Gruppe angehören, weil sie zum einen Jugendliche und zum anderen psychisch vorbelastet sind. Aus einem Anstieg der Fälle in dieser Gruppe könne man also keinesfalls einen Anstieg unter allen Kindern und Jugendlichen in Österreich ableiten.

Insgesamt, sagt Till, könne man nicht klar unterscheiden, ob die psychischen Folgen der Pandemie aufgrund der Krankheit entstehen oder aufgrund der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung.

Abschied von Twitter

Spätabends vermeldete der Gesundheitsminister dann seinen zumindest teilweisen Abschied von Twitter. "Um für heute abzuschließen", verkündete er, dass künftig "nur noch mein Team twittern" werde, jedenfalls zu Corona-Themen und "nach vorheriger penibler Quellenrecherche". "Alle, die ich gekränkt, verschreckt, irritiert, verunsichert, wütend gemacht habe: sorry." (red, 22.7.2022)