Die schlechte Nachricht zuerst: Es wird wieder passieren. Derzeit gehen Forschende davon aus, dass Hitzewellen in Europa stärker zunehmen als im Rest der Welt. In den letzten Jahren traten diese in Europa drei- bis viermal häufiger auf als überall sonst in nördlichen mittleren Breiten. Wie eine Forschungsgruppe aus Potsdam nun nahelegt, könnte dies mit der besonderen Lage Europas zu tun haben. So dürfte bei uns ein atmosphärisches Phänomen zum Tragen kommen, das aufgrund des Klimawandels an Intensität zunimmt.

Seen wie der Neusiedler See könnten in Zukunft öfter in Bedrängnis kommen.
Foto: APA / Nina Kornberger

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat in einer in "Nature Communications" veröffentlichten Studie Wetterdaten der letzten 40 Jahre ausgewertet und festgestellt, dass die Zunahme der Hitzewellen in Europa stark mit Veränderungen des sogenannten Jetstreams korreliert. Dabei handelt es sich um Windbänder, die sich in zehn Kilometern Höhe um den ganzen Planeten spannen. Normalerweise ziehen sie im Sommer kühle Luft vom Atlantik nach Europa und sorgen für gemäßigte Temperaturen.

Globale Windbänder

In den vergangenen Jahren tritt nun aber verstärkt ein Effekt auf, der schon 2002 für Wetterextreme in Europa verantwortlich war. Dabei spaltet sich der Jetstream über Europa in zwei Äste auf. Die Luft vom Atlantik wird abgelenkt und kann ihre kühlende Wirkung nicht entfalten. Man spricht von "Doppeljet-Ereignissen". Dieses Phänomen fällt den Simulationen der Potsdamer Gruppe zufolge in den letzten Jahren deutlich langlebiger aus.

Letzteres genüge, um die überproportionale Zunahme an Hitzeextremen in Westeuropa gegenüber dem globalen Durchschnitt praktisch zur Gänze zu erklären. Auch im Rest Europas kann die Veränderung des Jetstreams 30 Prozent des Anstiegs der Hitzewellen erklären. Die Anzahl der Doppeljet-Ereignisse habe sich dabei nicht verändert, so die Forschenden. Allein ihre Dauer und ihre Intensität seien gestiegen.

Die nun publizierten Daten zeigen Veränderungen der Winde: Zonen, in denen sich die Winde stark verändert haben, sind orange eingefärbt.
Foto: PIK

Das sei vor allem ein Phänomen der vergangenen Jahre, sagt Efi Rousi vom PIK: "Man denke nur an die heißen und trockenen Sommer 2018, 2019, 2020 und die jüngsten Hitzewellen in Europa – und wir rechnen damit, dass das noch schlimmer wird." Eine mögliche Erklärung für das Phänomen sei die Erwärmung nördlicher Regionen wie Sibirien, des Nordens Kanadas und Alaskas. Jetstreams haben außerdem Einfluss auf eine Vielzahl von Wetterphänomenen in unseren Breiten. Ihre zunehmende Trägheit wird auch für Starkregen verantwortlich gemacht.

Hitze, obwohl "nur" 1,5 Grad wärmer?

Aktuell wird versucht, die Erwärmung des Planeten durch Treibhausgase wie CO2 auf durchschnittlich 1,5 Grad bzw. maximal zwei Grad zu begrenzen, um ein katastrophales Kippen des Weltklimas zu verhindern. Anderthalb bis zwei Grad klingen auf den ersten Blick nicht nach viel. Viele sind sich aber der Tragweite nicht bewusst, was schon eine durchschnittliche Erhöhung um "nur" 1,5 oder zwei Grad für einen Hitzesommer bedeutet.

Denn dabei handelt es sich lediglich um einen Mittelwert, der Wetterextreme wie die aktuelle Hitzewelle in Europa nur unzulänglich abbildet. So veröffentlichte die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) zuletzt Schätzungen, dass ohne Gegenmaßnahmen und eine Reduktion des CO2-Ausstoßes bis zum Jahr 2100 eine weitere Verdoppelung bis Verdreifachung der Zahl der Hitzetage zu erwarten ist.

Wie sehr diese an jeder beliebigen Adresse in Österreich in den vergangenen 60 Jahren bereits zugenommen haben, zeigt die interaktive STANDARD-Visualisierung.

Klimamodelle unterschätzen Extremereignisse

War einige Jahre noch diskutiert worden, inwiefern die teilweise düsteren Prognosen der Klimawissenschaft eintreten könnten, geht die Warnung der Forschenden aus Potsdam mittlerweile sogar in die andere Richtung: Klimamodelle würden vielmehr dazu neigen, Extremereignisse sogar zu unterschätzen. "Es ist möglich, dass wir extreme Hitzewellen in Wirklichkeit noch öfter und in stärkerer Intensität erleben werden, als es Modelle in diesen Szenarien ohnehin schon prognostizieren", heißt es dazu aus Potsdam. (Reinhard Kleindl, 22.7.2022)